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Haftantritt, Teil 1Letzte Schritte in Freiheit

4 min

Müssen für 52 Monate ins Gefängnis: Ingo (links) und Marc melden sich zum Haftantritt in der JVA Euskirchen.

Köln – Eine Zigarette noch, bevor es ernst wird. Ingo und Marc (alle Namen geändert) stellen ihre Reisetaschen ab und fummeln die Kippen aus der Schachtel. „Jungs“, sagt ihr Kumpel Toni, der sie hierher gefahren hat, bis vor das Gefängnistor, „haltet den Kopp steif. Wenn wat is’, sagt mir Bescheid, dann schick ich die Artillerie.“ Toni, ein Baum von einem Mann, lächelt und streckt seine Hand aus, Ingo schlägt ein. „Heute Abend, 21.50 Uhr“, sagt er im Scherz, „wirfst du mir mein Handy hier übern Zaun, klar?“ Die drei Freunde lachen. Handys sind im Gefängnis verboten.

Ein Justizbeamter in grüner Uniform kommt auf die Gruppe zu. „Meine Herren, kann man Ihnen helfen?“ Hektisch zieht Ingo ein Blatt Papier aus der Tasche, seine Ladung zum Strafantritt. „Ja“, sagt er, „mein Kollege und ich, wir wollen hier zu Ihnen rein.“ Ingo und Marc drücken ihre Zigaretten aus. Sie schultern die Reisetaschen, folgen dem Bediensteten zur Anmeldetheke neben der Pforte. Justizvollzugsanstalt, Kölner Straße 250, 53879 Euskirchen – das ist ihre Postanschrift für die nächsten vier Jahre und vier Monate.

In den Zeitungen hießen sie „Panzerknackerbande“

Das Landgericht hat die Familienväter aus Köln wegen gewerbs- und bandenmäßigen Diebstahls sowie Verabredung zu einem Verbrechen verurteilt. Weil sie während des Gerichtsprozesses auf freiem Fuß waren, sind sie sogenannte Selbststeller, dürfen sich also selbstständig zum festgesetzten Termin im Gefängnis melden.

Mit zwei Freunden sind Marc, Ingo und Toni nachts in mehr als 15 Supermärkte, Baumärkte und Möbelhäuser in Köln und Umgebung eingebrochen. Haben die Tresore aufgebrochen und mehr als 200 000 Euro Beute gemacht. Ein paar Monate ging das gut, dann wurden sie gefasst. In den Zeitungen hießen sie „Panzerknackerbande“. Zwei Komplizen sitzen schon in Haft. Toni muss demnächst rein, sein Revisionsverfahren läuft noch. Er hofft auf ein milderes Strafmaß.

Eine traurige Zeit

Ein Freitagmittag im Juli, drei Tage vor Marcs Strafantritt. Seine Lebensgefährtin Katja stellt eine Flasche Cola und Gläser auf den Küchentisch. „Als die mich morgens auf der Arbeit in der Werkstatt verhaftet haben, habe ich zu dem Polizisten gesagt: Endlich seid ihr da, ich bin froh, dass es vorbei ist“, erzählt der 35-Jährige. Er habe ohnehin längst aufhören wollen. „Ein-, zweimal hätte ich vielleicht noch mitgemacht. Dann hätte ich von dem Geld einen Kiosk aufgemacht oder so.“

Es klingelt. Marcs Mutter kehrt mit ihrer Enkelin vom Spaziergang zurück. Die Zweijährige setzt sich auf den Boden und beginnt, die Schuhe aus dem Regal zu räumen. Sie kreischt vor Vergnügen. „Sie ist verrückt nach ihrem Papa“, sagt Katja, „es wird eine traurige Zeit für sie. Ich erzähle ihr, Papa ist auf Montage. Sie muss die Wahrheit nicht kennen, sie muss das auch nicht im Kindergarten erzählen. Das soll sie alles nicht belasten. “Und sie selbst? Katja? Die 26-Jährige starrt auf die Tischplatte. „Tja“, sagt sie schließlich, „wir haben eine Tochter, eigentlich sollte unsere Beziehung halten. Aber man weiß natürlich nicht, was die Zeit bringt. Es ist eine Belastungsprobe.“

„Das ist unser Strohhalm“

Marc lehnt mit einer Schulter an der Wand, er schaut der Kleinen beim Spielen zu. „Irgendwann“, sagt er, „wenn sie älter ist und fragt, dann erzähle ich es ihr.“ Seine ältere Tochter lebt bei der Ex-Frau, sie ist zehn, Marc hat sie eingeweiht. „Sie steckt das gut weg, sie kann das.“ Und er? Wie fühlt es sich an, die Familie im Stich zu lassen? „Ich habe einen Fehler gemacht und habe viel darüber nachgedacht: Was passiert zu Hause, wenn ich nicht da bin? Kommen die ohne mich klar? Sitzen die irgendwann ohne Strom da?“

Aber das sei alles geregelt: Die Miete zahlt das Sozialamt, den Unterhalt für seine Freundin und die kleine Tochter auch. Die Autoversicherung hat er für ein Jahr im Voraus bezahlt. Und das Wichtigste: Er hat eine feste Arbeitsstelle, sein Chef hält zu ihm. Marc hofft, dass er bald in den offenen Vollzug wechseln darf. Das heißt: morgens in die Werkstatt und nachmittags zurück ins Gefängnis. In den Mittagspausen könnte ihn seine Familie besuchen. „Das ist unser Strohhalm“, sagt Katja, „diese Aussicht hält uns am Leben.“ Aber wie konnte alles überhaupt so weit kommen?

„Schulden“, erzählt Marc, „ich habe seit jungen Jahren Schulden.“ Handyrechnungen, Bestellungen im Internet, Mahngebühren, Zinsen, Inkassokosten. Der 35-Jährige hat keinen Beruf gelernt, hat immer mal wieder Arbeit gefunden, manchmal haben die Chefs nicht bezahlt, zwischendurch war er beschäftigungslos. „Und irgendwann kommt der Punkt, wo man sagt: Leck mich am Arsch, jetzt mache ich meine Kohle, egal, wie.“

Lesen Sie im Teil 2, wie es weitergeht.