Interview zu Antisemitismus an Kölner Schulen„Hakenkreuze an der Tafel und tätliche Angriffe“

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Zwei Jungen mit Kippa auf einer Treppe.

Jüdische Schülerinnen und Schüler brauchen jetzt ein besonderes Augenmerk.

Bettina Levy vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde erklärt, was jüdische Kinder jetzt brauchen und warum die Schulen so wichtig sind.

Wie erleben Sie die Situation derzeit in Köln für jüdische Familien mit Kindern?

Bettina Levy Die Situation hat sich schon in den Wochen und Monaten vor dem unmenschlichen Überfall der Hamas auf Israel zugespitzt. Schon da war es so, dass vermehrt Eltern an uns herangetragen haben, dass es antisemitische Vorfälle an Kölner Schulen gibt. Jetzt hat sich das nochmal verschärft und wir sind in einer wirklich akuten Lage. Es gibt bei den Eltern eine große Verunsicherung, was die Sicherheitslage für ihre Kinder angeht.

Was erleben jüdische Kinder gerade an Kölner Schulen?

Es kommt immer wieder vor, dass jüdische Kinder für die Situation in Israel böse beschimpft werden. Die Kinder werden konfrontiert mit einer Mischung aus Antisemitismus und anti-israelischen Äußerungen. Das zu Hause Gehörte wird ungefiltert in die Schule getragen. Auch die direkten Angriffe haben sich verstärkt: Es gibt nicht nur Hakenkreuze an der Tafel, es werden auch jüdische Schülerinnen und Schüler auf dem Schulhof geschubst oder geschlagen.

In vielen Klassen sitzen arabisch-stämmige und jüdische Kinder in einer Gruppe. Das NRW-Schulministerium hat dazu aufgefordert, den Nahost-Konflikt in den Schulen zu thematisieren. Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach derzeit die Schulen?

Die Schulen haben jetzt eine enorm wichtige Aufgabe, denn es gibt bei den Kindern und Jugendlichen eine große Unwissenheit. Nur dort gibt es einen Zugang zu allen Kindern. Schule ist der einzige Raum, wo Erklärung überhaupt möglich ist. Es ist die einzige Zeit, in der sie einem Kind etwas beibringen können, das nicht durch die sozialen Medien oder die vorgefasste Meinung anderer Erwachsener gefiltert ist. Sie können über Fakten sprechen und Geschichte erklären. Alle anderen Lebensbereiche außer Schule sind emotional aufgeladen.

Sind die Schulen dieser Aufgabe gewachsen?

Wir möchten in Köln ein Partner für alle Schulen sein. Das Unwissen über das Judentum, die Shoa und auch bezogen auf die politische Situation von Israel ist enorm. Wenn, dann wird das alles als etwas Historisches betrachtet. Die Relevanz des Ganzen für die Gegenwart hat keinen Stellenwert. Wir hören immer wieder von Lehrerinnen und Lehrern, dass sie sich aktuell von dieser Aufgabe überfordert fühlen. Aber es ist eindeutig ihr Verantwortungsbereich. Das NRW-Schulministerium hat den Schulen Material zur Verfügung gestellt. Auch wir als Synagogen-Gemeinde stehen sehr gerne unterstützend zur Verfügung. Schon lange haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, auf Schulen zuzugehen und dort auch Aufklärung zu leisten.

Bettina Levy steht an einem Fenster

Bettina Levy, Vorstand Synagogen-Gemeinde Köln

Haben sich denn jetzt in der aktuellen Situation Schulen bei der Synagogen-Gemeinde Köln gemeldet?

Bei uns haben sich sehr schnell einige Kölner Gymnasien gemeldet. Leider waren es ausschließlich Gymnasien. Sie haben uns ihre Solidarität und Unterstützung zugesagt. Und sie haben darum gebeten, dass wir uns sofort melden sollen, wenn Kinder der betreffenden Schulen antisemitisch oder anti-israelisch angegangen werden. Leider gibt es auch ein negatives Beispiel. Eine Schule hat einen völlig verharmlosenden Brief an die Schülerschaft verfasst. Nachdem jüdische Eltern empört und betroffen reagiert haben, wurde das mit dem Versuch erklärt, man habe eine eventuell konfrontative Situation beschwichtigen wollen. Das geht für uns gar nicht. Die Eindeutigkeit ist das, was hilft. Kein Raum für „ja, aber…“

Was brauchen die jüdischen Kinder an den Kölner Schulen jetzt?

Bei den Schulen, die sich an uns gewandt haben, war es so, dass die Lehrkräfte proaktiv auf die jüdischen Kinder zugegangen sind. Sie haben ihnen Unterstützung zugesagt und sie gebeten, direkt auf sie zuzukommen, wenn es eine ungute Situation für sie gibt. Das ist ungemein wichtig und das sollte überall so sein. Ich wünsche mir, dass unsere Kinder jetzt gestärkt werden und spüren, dass es ein Verständnis für ihre schwierige Situation gibt. Es ist jetzt wichtig, dass sie hören, dass man sie im Blick hat, für sie da ist und bedingungslos zu ihnen steht. Dass die Kinder darauf vertrauen können, dass die Lehrkräfte einschreiten, wenn sie verbal oder tätlich angegriffen werden. Und dass Antisemitismus und Israelhass in keiner Form geduldet werden.

Welche Rolle in der aktuellen Situation spielen die sozialen Medien?

Eine enorme Rolle. Es gibt erstmals einen Krieg, der in den sozialen Medien transportiert wird. Dort konnte man quasi live die grausamsten Ereignisse, die in Israel stattgefunden haben, sehen. Viele Kinder und Jugendliche auf beiden Seiten haben das mitverfolgt und waren dem ausgesetzt. Da sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit etwa über Tiktok direkt auf das Smartphone unserer Kinder gekommen. Das ist Teil der Kriegsführung der Hamas und die Kinder können das gar nicht verarbeiten. So kommt dieser Teil des Krieges in allen Klassenzimmern an.

Was würden Sie sich außer informierten, einfühlsamen Lehrerinnen und Lehrern wünschen?

Genauso wichtig wäre es, dass die Öffentlichkeit mitmacht. Dass auch die Kinder spüren, dass die Gesellschaft zu uns steht. Ich empfinde da gerade ein lautes Schweigen, das sich auch auf die Schulen überträgt. Ich würde mir auch hier in Köln mehr mutige Positionierungen der Gesellschaft wünschen. Man hört Slogans wie „Tod den Juden, Israelis raus“ – mitten in Deutschland. Es werden in Deutschland Molotowcocktails auf Synagogen geworfen, Judensterne auf Hauswände gesprüht, Klingelschilder mit jüdischen Namen werden beschmiert. Es gibt keine Schamgrenzen mehr. Wir werden wieder gekennzeichnet. Dass das wieder möglich ist in Deutschland, verunsichert Kinder wie Erwachsene sehr.

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