Interview mit Michelle„Schlager ist nicht mehr nur die heile Welt“

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Michelle

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Köln – Michelle, sind Sie noch immer die Michelle, die vor 25 Jahren „Und heut Nacht will ich tanzen“ aufgenommen hat?

Nein. Wenn man sich heute „Paris“ anhört, ist das ein enormer Unterschied. 2015 ist mehr erlaubt.

Musikalisch?

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Schlagersängerin Michelle (43), die bürgerlich Tanja Hewer heißt, wurde in Villingen-Schwenningen im Schwarzwald geboren. Der Durchbruch gelang ihr 1993 mit „Und heut’ Nacht will ich tanzen“. 2001 trat sie mit „Wer Liebe lebt“ für Deutschland beim Eurovision Song Contest an und wurde achte. 2003 zog sie sich wegen gesundheitlicher Probleme zurück, betrieb zwischenzeitlich einen Hundesalon in Köln und kehrte 2009 auf die Bühne zurück. Michelle hat drei Töchter von drei verschiedenen Männern, unter anderem von Schlagersänger Matthias Reim. Mit zweien davon wohnt sie mit ihrem jetzigen Lebensgefährten und dessen beiden Kindern in den Niederlanden.

Nach lange Live-Pause meldete sich Michelle nun zum Tourauftakt im fast ausverkauften Konzerthaus in Wien zurück. Zuvor hatte sie noch eine Platin-CD für 15000 verkaufte Scheiben ihres „Best Of“ Albums in Österreich erhalten. (NR, og)

Auch das. Aber gerade im Schlager war es immer so, dass man sich irgendwie fügen musste. Man durfte nicht zu sexy sein. Mit meinen Tattoos war ich immer der Anecker. Heute darf jeder einzigartig sein. Schlager ist nicht mehr nur die heile Welt, in der alle mit ordentlichen Kleidern auftreten und glatt wie ein Aal sind.

Dann ist es jetzt einfacher für Sie?

Klar. Den Song „Idiot“ haben die Rundfunksender 2002 boykottiert. Hätte den Madonna gemacht, wäre es total egal gewesen. Heute sehen alle ein, dass die Welt ist, wie sie ist. Es ist keine Traumwelt, sondern eine mit Höhen und Tiefen. Früher hat sich auch keiner getraut zu sagen, dass er Schlager hört – vielleicht mal im Karneval. Heute schämt sich keiner mehr dafür.

Dank Helene Fischer?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Sie hatte das große Glück, zur richtigen Zeit das richtige Paket abzuliefern. Ich glaube, es gibt einfach immer so Phasen. Irgendwann hören die Leute wieder was anderes. Ich finde es toll, dass sich die Menschen gerade für den Schlager öffnen. Aber Musik ist eben Geschmackssache. Darüber lässt sich nicht streiten.

Höhen und Tiefen haben auch Sie durchlebt: Schlaganfall, Selbstmordversuch, Privatinsolvenz. Nach einem Abschied haben Sie 2009 Ihr Comeback gefeiert. Warum wollten Sie wieder auf die Bühne?

Irgendwann kommt der Punkt, an dem man weiß, wie man sich selbst erden kann. Als ich wieder fest auf dem Boden stand, konnte ich darüber nachdenken, was ich will, was zu meinem Leben dazu gehören soll und was nicht. Ich habe schnell verstanden, dass die Musik ein großer Teil meines Lebens ist. Die gehört zu mir wie meine Kinder.

Bereuen Sie, dass Sie sich zurückgezogen haben?

Nein. Ich bin so wie ich bin. Ich konnte den Menschen nicht mehr 100 Prozent geben. Ich bin ins Schwanken geraten und musste mich selber stärken. Hinfallen, Krönchen richten, aufstehen, weitergehen – das sage ich immer.

Ist das Best of-Album auch ein Abschluss mit dieser Zeit?

Ja, das Album ist wie eine Geschichte. Es ist ein Teil meiner Lebensgeschichte, ein Zeitabschnitt, der 2014 endet und 2015 neu beginnt. Wenn ich es anhöre, habe ich zu jedem Song einen Gedanken oder eine Story. Zum Teil waren es ja auch unbeabsichtigt authentische Songs.

Wie meinen Sie das?

Immer wenn ein Song rauskam, ist in meinem Leben irgendetwas passiert. Das ist mir beim Hören des Albums aufgefallen. Deswegen lebt es irgendwie.

Sie leben heute mit Ihrer Familie in den Niederlanden. 15 Jahre lang haben Sie in Köln gewohnt.

Ja, am Mediapark und in der Spichernstraße. Ich hatte hier meine erste eigene Wohnung als ich mit der Musik angefangen habe. Ich war aber nie ein Mensch, der gerne im Stadtkern gewohnt hat. Deshalb bin ich später auch an den Stadtrand gezogen – auch der Kinder wegen. Meine älteste Tochter geht aber in Köln zur Schauspielschule. Deswegen bin ich sehr häufig hier. Das sind ja nur zwei Stunden. Meine Heimat Köln habe ich nie verlassen, ich liebe die Stadt immer noch. Wenn ich den Dom sehe, weiß ich, dass ich zu Hause bin.

Das Gespräch führte Jenny Filon

Michelle tritt am 22. April um 19.30 Uhr im Palladium in Mülheim auf. Tickets sind ab 41,50 Euro im Vorverkauf erhältlich.

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