JVA Köln-OssendorfFür inhaftierte Mütter ist die Weihnachtszeit besonders schwer

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Kopie von Knast3

Die Fotos von ihren Kindern geben Leila Reinhardt Halt.

  • Die Weihnachtszeit ist für inhaftierte Mütter in der JVA Ossendorf besonders schlimm
  • Aufgrund der diesjährigen Konstellation liegen fünf Feiertage am Stück ohne Besuch und ohne Gruppenangebote vor den Frauen
  • Leila Reinhardt erzählt von ihren Erlebnissen – „Ich weine sehr viel“

Köln – Schlimm ist es immer. Aber in diesem Jahr ist es die Höchststrafe: Wenn sich am Heiligen Abend nach dem Weihnachtsgottesdienst in der Kapelle der JVA Ossendorf die Zellentür wieder hinter ihr schließt, liegen aufgrund der diesjährigen Konstellation fünf Feiertage am Stück vor Leila Reinhardt (23)*. Endlose Tage, in denen aufgrund der dünnen Personalbesetzung keine Besuche stattfinden können und auch kein Gruppenangebot. „Das ist eine ganz schwierige Zeit“, konstatiert Angelika Linnartz, Leiterin des Frauenstrafvollzugs der JVA Ossendorf.

Am schwierigsten ist es für die Mütter, die hier leben. Von den rund 300 inhaftierten Frauen haben mehr als die Hälfte Kinder. So wie Leila: Ihre Tochter Zara ist ein Christkind. An Heiligabend wird sie vier Jahre alt und muss ihren Geburtstag zum zweiten Mal ohne ihre Mutter feiern. Ihre Kleine, Dana, ist ein Jahr alt. Im Mai wird sie zwei. Geboren wurde sie in der Haft.

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Irgendwie muss Leila diese Tage rumkriegen. Wenn die Sehnsucht groß wird, greift sie zu einem Ritual: Sie nimmt dann das Lieblingsfoto ihrer Töchter mit ins Bett, zieht sich die Decke über den Kopf und weint. „Ich weine sehr viel.“ Das entlastet und ist ihre Art, mit ihren Kindern emotional in Verbindung zu sein. Sie versucht sich dann zu sagen, dass sie schon ein ganzes Stück Weg geschafft hat. Genau genommen ein Jahr und fünf Monate.

Bei der Verhaftung im achten Monat schwanger

Als Leila am 27. April 2017 verhaftet wurde, war sie im achten Monat schwanger. Der Tag, an dem die Wehen einsetzten – es war der 19. Mai –, hat sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Die Fahrt in Handschellen ins Krankenhaus. Und dann die Entbindung, an jeder Seite neben ihr ein Beamter. Fünf oder sechs Stunden durfte sie ihre neugeborene Tochter bei sich haben, zum Stillen und wiegen wurden die Handfesseln gelöst. Dann musste sie sich von ihrer Tochter trennen und das Baby ihrer Mutter übergeben. Die kümmert sich seither um die beiden Mädchen. Leila wurde zurückgebracht in ihre Zelle. „Das war so krass. Ich war völlig fertig mit den Nerven und bin zusammengebrochen. Sein Kind abzugeben, das tat so weh. Neun Monate ein Kind im Bauch zu haben, es zu gebären und dann hier zu stehen, als ob das alles gar nicht wahr wäre.“ Eine große Leere im buchstäblichen Sinne machte sich in ihr breit.

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Die JVA Ossendorf

„Das eigene Neugeborene zurücklassen zu müssen, das ist für viele Frauen, die in der Haft entbinden, eine traumatische Erfahrung“, berichtet Nicole Hippert vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Sie und ihre Kollegin kümmern sich in der JVA Ossendorf um Frauen wie Leila, die in der Haft ein Baby bekommen und mit der emotionalen Ausnahmesituation umgehen müssen, dieses unfreiwillig wieder hergeben zu müssen. Denn Leila ist in der JVA längst kein Einzelfall. Die Sozialarbeiterinnen vom SkF versuchen, durch ihr regelmäßiges Gesprächsangebot die Mütter trotz des Trennungsschmerzes zu stabilisieren und Entlastung zu verschaffen.

Die Kinder können nichts dafür

Leila ist in Gedanken immer bei ihren Kindern und kann doch nicht für sie da sein. Sie konnte nach der Geburt viele Monate nicht schlafen, hat kaum etwas gegessen. „Die Kinder können ja nichts dafür, dass ich Mist gebaut habe. Mir tut es so leid, dass sie jetzt dafür bestraft werden.“ Es ist ein Gefühl, dass sie mit den allermeisten Müttern in Haft teile, erläutert Hippert. „Sehr viele haben mit Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen zu kämpfen, dass sie ihren Kindern das antun.“ Leila ist verhaftet worden wegen Einbruch und Diebstahl. Vier Jahre und drei Monate hat sie bekommen. Geldprobleme gab es bei ihr und ihrem Mann, dann habe man es eben mal versucht. Es schien so einfach, und dass man erwischt werden und welche Konsequenzen das haben könnte, wurde einfach ausgeblendet. Bis zu jenem 27. April.

SkF engagiert sich für Mütter in Haft

Der Sozialdienst katholischer Frauen wurde 1900 offiziell als Verein von Marie Le Hanne Reichensperger gegründet, die sich seit ihrer Rückkehr nach Köln im Jahr 1899 für inhaftierte Frauen und Prostituierte engagierte.

Die Straffälligenhilfe ist seither Kernbestandteil der Arbeit des SkF e.V. Köln. Pro Jahr werden etwa 100 Frauen in der JVA Köln betreut, darunter rund 30 Frauen, die schwanger inhaftiert wurden. Die Arbeit im Strafvollzug wird von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern gemeinsam geleistet wird.

Ehrenamtliche werden gemeinsam mit dem SKM Köln ausgebildet und in ihrer Arbeit begleitet. Interessierte, die sich ehrenamtlich in der JVA Köln engagieren wollen, erhalten weitere Informationen zum Ehrenamt und zu den für das Jahr 2019 geplanten Schulungen unter ehrenamt@skf-koeln.de (ari) 

Viermal im Monat darf Leila ihre Kinder sehen. Drei Mal im Besucherraum für eine Stunde. Und einmal als Langzeitbesuch: für drei Stunden. Dann darf sie ins Familienzimmer, das die JVA eigens für Langzeitbesuche eingerichtet hat, um einmal im Monat so etwas wie Privatheit zu ermöglichen. Einfach mal mit den Kindern spielen oder in der kleinen Küche im Raum ein paar Nudeln für sie zu kochen. Einmal im Monat für kurze Zeit das Gefühl zu haben, eine normale Mutter zu sein. Auch wenn das Fenster hinter einem vergittert ist und die Stahltür hinter einem verschlossen wird.

Nicht immer das erhoffte emotionale Muttererlebnis

Auf die Besuche fiebert Leila jedes Mal hin, zählt die Tage. Aber nicht immer ist es das erhoffte emotionale Muttererlebnis, das sie sich erträumt, sondern manchmal auch eine Quelle von neuem Schmerz. Denn die Haft sorgt unvermeidbar für eine Entfremdung, gerade, wenn die Kinder noch klein sind. „Meine Jüngere, die gerade in der Fremdelphase ist, hat Angst vor mir. Mein eigenes Kind hat Angst vor seiner Mutter. Im Grunde kennt die Kleine mich nicht wirklich. Sie sagt zu ihrer Oma Mama.“ Da ist die Sorge, ob irgendwann nach der ganzen Zeit hier wieder so etwas wie Urvertrauen wachsen kann. Auf der anderen Seite ist Leila froh, dass es ihre Mutter gibt und die Kinder nicht in eine Pflegefamilie mussten. Und dass sie noch zu klein sind, um zu begreifen, wo ihre Mutter ist. „Und dass sie in der Schule nicht deswegen gehänselt werden.“

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Einmal im Monat darf Leila mit den Kindern im Spielzimmer der JVA spielen. 

Nach vielen Monaten, in denen es ihr schlecht ging und sie sich in sich selbst zurückgezogen hat, geht es Leila seit einigen Wochen besser: Sie arbeitet nun von sechs Uhr morgens bis 14 Uhr in der Gefängnisküche. „Etwas zu tun, tut mir gut. Es ist ein Schritt in die Normalität.“ Nicht nur, weil dann die sich endlos dehnende Zeit schneller umgeht. Aus dem dortigen Fenster kann sie nun beim Spülen rausschauen: „Ich sehe zum ersten Mal wieder Autos vorbeifahren, letztens habe ich aus dem Fenster einen Kinderwagen gesehen. Ein Außenstehender kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr man sich darüber freuen kann.“

Begleiteter Ausgang bei guter Führung

In das neue Jahr geht sie entschieden mit Hoffnung. Das Ziel ist, im kommenden Jahr bei guter Führung begleiteten Ausgang bewilligt zu bekommen, um ihre Kinder auch einmal außerhalb der Gefängnismauern zu sehen. „Mein größter Wunsch ist, irgendwann wieder normalen Alltag mit meinen Kindern zu leben. Mal gemeinsam auf den Spielplatz oder vielleicht sogar in den Zoo zu gehen – das wär mein Traum von Glück.“

Erst einmal hofft sie, dass ihr Weihnachtswunsch erfüllt wird: Mit ihrer Tochter am Heiligabend zu telefonieren. Wenigstens um kurz zum Geburtstag zu gratulieren. Den Antrag hat sie gestellt, die Bewilligung steht noch aus. „Aber ich hoffe.“

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert

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