Nils Herzogenrath spielt als „Vomit Heat“ psychedelische, träumerische Musik. Der gebürtige Essener über die experimentelle Szene, Köln-Kalk und den „besten Plattenladen der Welt“.
Kölner Sänger „Vomit Heat“Psychedelische Musik gegen politische Leere

Nils Herzogenrath alias „Vomit Heat“ im Café Wahlen in der Kölner Innenstadt.
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„Den Namen“, sagt Nils Herzogenrath alias „Vomit Heat“ (Vomit = Erbrochenens, Heat = Hitze), „habe ich, seitdem ich im jugendlichen Alter damit angefangen habe und von den Umständen auf der Welt und in meinem Leben frustriert war“, „Damit“, das ist seine Musik, die Einflüsse aus Psychedelic Rock, Krautrock und Post-Punk aufweist.
Herzogenrath selbst beschreibt seinen träumerischen Klang als „Sammelsurium der Musik und Bands, deren Fan ich bin.“ Früher seien das viel Noise und Free Jazz gewesen, sagt er. Und: „Elektronischer Kram, sehr viel Indierock, immer wieder My Bloody Valentine, die frühen Sonic Youth, Slowdive und oft sphärische Gitarrenmusik“, so der 31-Jährige.
„Ich mag Musik, bei der ich Gefühle von Abschied habe.“ Herzogenraths aktuelles Album heißt „Second Skin“, also „zweite Haut“. Es ist nicht seine erste Platte als „Vomit Heat“, aber, so erzählt er, es ist das erste Album einer neuen Phase. Der Vorgänger „Spirit Desire“ erschien bereits 2016, also sechs Jahre vor „Second Skin“. Viele der Tracks waren noch deutlich älter. „Es war daher wie ein Neuanfang“, sagt Herzogenrath.
Der Song ist entstanden, als der ganze Pegida-Schwachsinn aufkam
Die Singleauskopplung „Leere“ vom neuesten Album, in der der Sänger allein die Kollaborateurin Stella Sommer singen lässt, wirkt wie das Ergebnis einer kurzen Zeitreise in die Vergangenheit der 1960er-Jahre, als der Psycheledic Rock mit Bands wie Jefferson Airplane („White Rabbit“) auf seinem Höhepunkt war. Das Gefühl der Leere umgab Herzogenrath früher stärker als heute, sagt er. Seit drei Jahren ist er in einer glücklichen Beziehung und lebt mit seinem Partner zusammen in Köln-Kalk. „Glücklicherweise sind wir noch vor Corona zusammengekommen“ sagt er mit einem Lächeln. „Es gibt trotzdem immer noch Momente der Einsamkeit, ob freiwillig oder unfreiwillig.“ Als autobiografisch würde er das Album aber nicht bezeichnen, obwohl: „Es kommt ja aus einem selbst heraus.“ Musik und Musiker könne man nie gänzlich voneinander trennen.
In „Leere“ geht es aber weniger um Einsamkeit. „Der Song ist schon älter und entstanden nach dem Aufkommen dieses ganzen Pegida-Schwachsinns, insofern beschreibt er eine Leere aus einem politischen Gefühl heraus. Ich dachte, es gibt gerade genug Anlässe für progressive gesellschaftliche Bewegungen. Und dann passiert das Gegenteil.“ Es sei ein Gefühl der Ohnmacht, das sich in diesem Text ausdrückt und nicht an Aktualität verloren hat.
„Fast schon bescheuert klischeehaft“
Das politische Gefühl hat Nils Herzogenrath in der Vergangenheit nicht selten begleitet: „Ich war Teil eines Kollektivs, das öfter Häuser besetzt hat, mit dem Ziel, kreative Freiräume zu schaffen. Gerade im Ruhrgebiet ist viel durch große Konzerne besetzt“ – der Wahl-Kölner stammt ursprünglich aus Essen. Es sei „fast schon bescheuert klischeehaft“, wie teilweise mit Kulturraum umgegangen wird, sagt er. „Da gab es Raumnutzungskonzepte für Studios, Proberäume und so weiter, weil Jugendzentren schließen und durch Parkplätze oder sonstiges ersetzt werden.“ 2017 ist Herzogenrath schließlich aus dem Ruhrpott weggezogen.
Nicht nur aus Frustration, sondern auch um Mediale Künste an der Kunsthochschule zu studieren. „Dann haben Freundinnen und Freunde, und ich bin auch Teil davon, das Makroscope in Mülheim an der Ruhr gegründet. Sie bezogen ein altes Hotel in der Mülheimer Innenstadt, das jetzt einer der wenigen Orte ist, an denen die Experimentalszene unkommerziell und frei stattfinden kann.“ Das Makroscope beschreibt sich selbst als „Soziokulturelles Kunsthaus“ und setzt sich gegen Rechtsextremismus ein.
In Köln gibt es den „besten Plattenladen der Welt“
Inzwischen lebt Herzogenrath in Köln-Kalk. Die Stadt war aber immer schon ein Anziehungspunkt für ihn: „Ich bin früher schon viel auf Konzerte nach Köln gefahren oder in den – kein Schmarrn – besten Plattenladen der Welt, das a-Musik.“ Das seit 1995 am Kleinen Griechenmarkt ansässige Schallplattengeschäft ist auf experimentelle Musik spezialisiert. „Es gibt seit den 1970ern eine großartige Musikszene.“
Mit seinem Partner („und vielleicht später mit einem kleinen Hund“) ist der 31-Jährige derzeit auf Wohnungssuche für eine neue, größere Wohnung in Köln. Eine schwierige Sache, die sich jetzt schon mehr als ein Jahr lang hinziehe, sagt Herzogenrath. Gegen das Image von Kalk als „Problem-Viertel“ widerspricht er aber. „Ich hatte, bevor ich nach Köln kam, ein Jahr Zwischenstation in Duisburg-Hochfeld.“ Hochfeld gilt als sozialer Brennpunkt. „Ich finde diese Kategorisierungen oft rassistisch, weil sie sich auf hohe migrantische Anteile beziehen. Ich bin in Kalk schon mit einem Freund von Homo-Partys gekommen, wie sahen aus wie sonst was, und hatten nie Probleme“, sagt er. Es verändere sich aber auch etwas in Kalk. „Wir sind natürlich Teil der Gentrifizierung.“
„Vomit Heat“ ist nicht das einzige Projekt von Nils Herzogenrath, der schon an seinem nächsten Album arbeitet. Früher war er Teil der Indie-Band „Oracles“, ist Mitglied bei der Krautrock-Gruppe „Transport“ und eine Hälfte des Elektro-Duos „Gras“. Er spielt und singt aktuell außerdem beim Kollektiv „Nasssau“ (mit drei „S“), die am 20. Januar 2023 mit dem Chor von Elisa Kühnl in der Kölner Philharmonie spielen. „Da werden knapp 50 Menschen auf der Bühne stehen“, sagt Herzogenrath. „Das wird abgefahren.“