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Einrichtung für Suchtkranke in Köln-HöhenbergAus dem Seniorenheim zur Methadonvergabe

Lesezeit 5 Minuten

Norbert Wassenbergs Bus kommt erst in neun Minuten. Er kennt die Zeit genau, steht aber aus Angst, den Bus zu verpassen, bereits in der Würzburger Straße an der Haltestelle um die Ecke des Oranienhofes

Höhenberg – Sechs Uhr neunzehn. Dann fährt der Bus mit der Nummer 153 in der Würzburger Straße in Höhenberg ab und braucht exakt drei Minuten bis zur Station Fuldaer Straße.

Norbert Wassenberg ist 52, sieht aber manchmal aus wie 70. Er ist arbeitsunfähig, verrentet, 100 Prozent schwerbehindert – und opiatabhängig seit er ein junger Mann war. Ein Schlaganfall 2005 lähmte ihn halbseitig. Mit ihm kam er in ein Methadonprogramm, was für ihn jeden Morgen eine Fahrt mit Bus und Bahn mit zweimaligem Umsteigen bis zur Suchtfachambulanz der LVR-Klinik Merheim bedeutet. Startpunkt ist seine neue Bleibe: die Senioreneinrichtung Oranienhof in Höhenberg.

Mit der Linie 1 nach Merheim

Wassenberg kann schlecht gehen, sein linker Arm baumelt am Körper herab. Und doch ist er an der Krücke eilig unterwegs. Und sehr nervös. Dabei kommt die nächste Linie 1 Richtung Bensberg erst in zwölf Minuten. Unten auf dem Bahnsteig angekommen, so etwas wie ein Witz: „Die Rolltreppe funktioniert. Ein guter Tag.“

Wassenberg gehört zu den – vorsichtig geschätzt – 10.000 drogenabhängigen Menschen in Köln, die früher selten älter als 40 Jahre wurden. 2200 wurden im Jahr 2014 substituiert. Mit dem Fortschritt dieser „Medikation“ und immer besseren Substanzen wie Methadon, Buprenorphin oder Diamorphin werden sie immer älter. Sie altern aber auch deutlich früher. Norbert Krütt-Hüning, Drogenkoordinator beim Gesundheitsamt: „Sie fangen an mit 45 Jahren alt zu werden – mit sämtlichen Folgeerkrankungen, die eine Sucht mit sich bringt.“ Dazu gehören neben Schlaganfällen, Hepatitis, HIV, Diabetes und psychische Krankheiten. Eine Bedarfserhebung gibt es von städtischer Seite dazu noch nicht. „Da kommt was auf uns zu.“ Doch bislang öffnen sich nur wenige Seniorenheime für diese Gruppe der Vorgealterten. Rühmliche Ausnahme ist der Oranienhof, der seit 2010 mit dem „Meilenstein“ sogar eine eigene Station für 20 Menschen, die substituiert werden, betreibt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite wie Norbert Wassenberg zu Fuß Richtung Suchtfachambulanz läuft.

Zu Fuß Richtung LVR-Klinik

Leiterin Marion Greif muss für diese Haltung zwar mit einem schlechten Ruf nach außen leben. Doch wichtiger ist ihr, dass sich im Haus alle wohlfühlen. Seit 25 Jahren hat sie bereits alkoholabhängige Bewohner, die schon allein wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes woanders abgelehnt wurden. „Warum soll ich denen noch die Tortur eines Entzuges zumuten? Wir lassen sie in Ruhe, nehmen sie so wie sie sind. Jeder hat das Recht so zu leben, wie er will.“ Im Haus wird kontrolliertes Trinken praktiziert, Bewohner wie Wassenberg holen sich morgens selbstverständlich ihr Methadon.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über das Warten auf die Drogenausgabe.

Tägliches Wiedersehen

Von einem kleinen Taschengeld kauft sich, wer will, Bier oder auch Schnaps – wie überall. „Aber hier tut es niemand heimlich. Wir haben ein nasses Konzept. Bei uns darf auch geraucht werden.“ Norbert Wessenberg wurde schon in einem Wohnheim „vor die Tür gesetzt, weil ich geraucht hab.“ Mit Mitte 20 war der gebürtige Oberhausener ohne Umwege ans Heroin geraten. Seine erste Tochter war gerade geboren, da sei ihm die Verantwortung für Firma und Familie über den Kopf gewachsen, sagt er. „Und das Zeug hat mir geholfen über Unsicherheiten wegzukommen.“

Doch er betont: „Ich habe trotz Abhängigkeit immer gearbeitet.“ Bis er auf Drängen seines Teilhabers und seiner Frau seine erste Langzeittherapie begann, weil es nicht mehr ging. In der ersten Nachsorgeeinrichtung in Köln erhielt er gute Prognose und eine neue Arbeit. Das zweite Kind kam. „Eine zeitlang lief das gut.“ Dann kam der Rückfall. Und die Scheidung. Seine Kinder hat er lange nicht gesehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über noch mehr Warten und drängende Eile.

Im Wartebereich der Klinik

Bevor Norbert Wassenberg nicht sein Methadon hat, ist er unruhig und könne schlechter laufen. „Ist halt auch ein Opiat“, sagt er reflektiert. Mit den entsprechenden Nebenwirkungen, aber alternativlos. Um sieben Uhr fünfundzwanzig macht Wassenberg den ersehnten Schluck: 12 Milliliter Methadon mit etwas Heidelbeersirup. Wie das schmeckt? „Neutral“, findet er. „Noch eine halbe Stunde, dann bin ich fit.“ Zwei haben ihn vorgelassen, damit er den 158er Bus um 7 Uhr 33 erwischt, der ihn wieder zur Linie 1 und mit einer weiteren Bus-Kurzstrecke zurück zum Oranienhof bringt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wieder zurück im Meilenstein.

Im Eingangsbereich sitzen dieselben alten Männer und Frauen wie jeden Morgen und beobachten den Straßenverkehr. Sehr viel ältere Männer und Frauen. Nur im Meilenstein fühlt sich Wassenberg unter seinesgleichen und findet auch mal einen Gesprächspartner in seinem Alter – wie Jürgen. „Mit dem kann ich schon mal quatschen. Auch tiefer. Nur weil ich hier wohne, heißt das nicht, dass ich nichts mehr mitkriege.“ Er liest gern Zeitung, liebt die Nibelungenfestspiele, ging früher gerne in Theater. Auf dem zweiten Bildungsweg hat er sein Fachabi absolviert. Innenarchitektur wollte er mal studieren. „Da hat Helmut Kohl das Bafög gestrichen.“

In der Küche sitzen sie und warten auf ihr Frühstück. Wassenberg schmiert sich sein Brötchen lieber auf dem Zimmer und denkt über sein Leben nach. „Mir fehlen meine Kinder und die Arbeit und das damit verbundene Selbstwertgefühl“, sagt er. „Ich habe immer gern gearbeitet.“ Der morgendliche Weg nach Merheim, wo jeden Morgen zwischen 7 und 7.30 Uhr das Methadon ausgegeben wird, tut ihm gut. „Das gibt mir Struktur und ich sehe mal andere Gesichter. Und zwischen fünf und sechs Uhr morgens aufstehen, sei für ihn normal. „Das war immer meine Zeit.“

Als er vor drei Jahren in den Oranienhof zog, habe er noch geglaubt, hier bald wieder auszuziehen. „Mittlerweile habe ich das ad acta gelegt.“ Trotz 26 Jahren versicherungspflichtiger Arbeit bekam er nur 890 Euro Rente. Plus 100 Euro Wohngeld. „Ich könnte mir gar keine Wohnung mehr leisten.“ Die Rente wird nun komplett einbehalten. Ihm bleiben 100 Euro Taschengeld im Monat. Er brauche auch nicht viel. „Bisschen Tabak. Ein oder zwei Mal Kino im Monat. Das ist schon in Ordnung. Man muss seine Ansprüche halt runterschrauben. Ich bin hier zu Hause.“