Karneval in KölnNazi-Wagen von 1936 im Stummfilm entdeckt

„Dem haben sie auf den Schlips getreten“ – antisemitische Hetze 1936; Zugweg durch die Schildergasse (r.)
Copyright: NS-Dok, Filmarchiv Bremen Lizenz
Köln – Es war im Herbst vergangenen Jahres, als der Historiker und frühere Redakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Carl Dietmar, einen folgenreichen Anruf vom Verein „Köln im Film“ bekam. Man habe da einen Film zugespielt bekommen, es gehe um Karneval in Köln vor dem Krieg. Ob er als Fachmann ihn sich mal anschauen könne. Nach der Sichtung des lange verschollenen Materials war Dietmar sofort klar: Das ist eine kleine Sensation. „Erstmals ist dort der perfideste antisemitische Wagen, der je in einem Kölner Rosenmontagszug mitgefahren ist, in bewegten Bildern zu sehen.“ Das Motto des Wagens mit der Nummer 13 – „Däm han se op d’r Schlips getrodde“ (Dem haben sie auf den Schlips getreten) – verhöhnte auf infame Weise die Juden, die von den Nazis mit den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 endgültig entrechtet worden waren.
Mit finanzieller Unterstützung des Festkomitees Kölner Karneval und des NRW-Kultusministeriums wurde der Film, der sich in einem sehr schlechten Zustand befunden hatte, restauriert und digitalisiert. Festkomitee-Präsident Markus Ritterbach, der die bislang unbekannten Aufnahmen bei der Präsentation am Montag erstmals in Augenschein nehmen konnte, machte deutlich, wie wichtig ihm das Thema ist. „Ich werde oft gefragt, ob man denn immer wieder über die Rolle des Karneval im Nationalsozialismus reden müsse. Und ich sage ganz klar: Ja.“ Die Bilder zeigten in erschreckender Weise, „wie das nationalsozialistische Gedankengut in den Karneval und in die Gesellschaft hineingetragen wurden. Das war kein kleiner Fehler, das war eine Riesenkatastrophe.“
Prinz Fritz Riese lieferte Hinweis auf Herstellungsdatum
Zwölf Minuten ist das historische Dokument lang, ein Stummfilm mit deutschen und englischen Zwischentiteln. Es zeigt die Stimmung am Zugweg auf Mittelstraße und Schildergasse, man sieht, wie der Prinz von zu Hause abgeholt wird und auf den Wagen steigt. Ein Hinweis auf das Herstellungsdatum fehlt. Dietmar suchte nach bekannten Gesichtern auf den alten Aufnahmen und wurde schnell fündig: Thomas Liessem, seit 1931 NSDAP-Mitglied, Festausschuss-Vorsitzender ab 1935 und auch nach dem Krieg lange Jahre Festkomitee-Präsident, reitet in Prinzengarde-Uniform hoch zu Ross durchs Bild. Auf einem Kamel kommt Karl Küpper schwarz geschminkt daher, der einzige bekannte Redner, der die Nazis regelmäßig durch den Kakao zog. Thema seiner Büttenrede in diesem Jahr: Berichterstatter aus Abessinien. Und natürlich der Prinz: „Das war Fritz Riese, der Inhaber des gleichnamigen Cafés, und damit war klar, dass der Film von 1936 stammen muss“, so Dietmar.
Bilder widerlegen den Mythos vom Widerstand der Jecken
Die Datierung des Streifens war damit gelungen. „Ungefähr bei Minute sieben habe ich gedacht: Jetzt muss nur noch dieser berüchtigte Hasswagen kommen“, schildert Dietmar die erste Sichtung. „Und kurz darauf rollte er tatsächlich ins Bild, das war schon toll.“ Und eine Genugtuung für den Historiker Dietmar, der sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Köln in der NS-Zeit beschäftigt.
„Dass der Karneval schon früh auf die Linie der NS-Ideologie eingeschwenkt ist, war lange ein Tabu“, so Dietmar. „Stattdessen wurde mit Hinweis auf die sogenannteNarrenrevolte die Legende vom Widerstand der Kölschen Jecken gegen die Nazis gepflegt.“ Tatsächlich waren ab 1934 und bis 1939 in jedem Zug antisemitische Wagen mitgefahren. Etwa der „Deviserich“ als Darstellung des internationalen jüdischen Großkapitals, oder 1934 der „Palästina“-Wagen „Die Letzten ziehen ab“ mit NS-typisch verzerrten Juden-Karikaturen.
Erst 1988 waren erstmals Fotos dieser Wagen aufgetaucht. Der lange verschollene Film ist ein weiterer Baustein, der das dunkelste Kapitel des Kölner Karnevals belegt. Gefunden wurde das Zeitdokument im Landesfilmarchiv Bremen. „Der Film wurde vermutlich im Auftrag der Norddeutschen Lloyd hergestellt“, so Marion Kranen, Vorsitzende des Vereins „Köln im Film“, die das Dokument zwecks Auswertung zur Verfügung gestellt bekam. Die Schiffsgesellschaft hatte ihn während der Überfahrten von Bremerhaven nach New York gezeigt. „Das erklärt auch die Zwischentitel in Englisch und Deutsch.“
Neben der Sequenz über den antisemitischen Mottowagen gibt der Film weitere Einblicke in zeittypische Eigenarten des Karnevals. So nannte sich Carl Umbreit als oberster Organisator des Zochs 1936 nicht Zugleiter, sondern bezeichnenderweise Zugführer. Die zuvor männlichen Tanzmariechen waren erstmals mit Frauen besetzt – eine Konzession an die Homophobie der Nazis. Und die jecke Menschenmenge am Zugweg war, wie damals üblich, größtenteils unkostümiert.
Das Festkomitee Kölner Karneval will den Film nun auch in die Ausstellung im Karnevalsmuseum am Maarweg einbauen. Derzeit laufen die Verhandlungen mit dem Landesfilmarchiv in Bremen, dem das Material weiterhin gehört.
Am Donnerstag, 4. Dezember um 19 Uhr wird das Filmdokument im NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, bei einem Filmabend zum Thema „Karneval in der NS-Zeit“ erstmals öffentlich gezeigt. Der Eintritt ist frei.