Kölner Pascal RaviolHistorisches Karussell restauriert

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Motorrad und Rennwagen: Die Holz-Gondeln sind liebevoll gestaltet.

Motorrad und Rennwagen: Die Holz-Gondeln sind liebevoll gestaltet.

Köln/Düren – Wie oft aus Physik Liebe wurde, bleibt das Geheimnis des alten Karussells. Pascal Raviol und seine Helfer arbeiten mit Hochdruck daran, dass die 68 Jahre alte Berg- und Talbahn ihre Kernkompetenz bald wieder entfalten kann: „Durch die Zentrifugalkraft kam man sich näher, man konnte knutschen.“ So war es früher, so soll es in Zukunft sein. Zehn Umdrehungen pro Minute können Ehen schmieden.

Es riecht nach Farbe und Lack in der früheren Speditionshalle in Düren. Das Gerüst und die sanft geschwungene Spur sind schon fertig. Seit einigen Monaten feiert hier ein Stück Alltagskultur aus rheinischer Produktion Wiederauferstehung. 1946, als die vom Krieg gezeichneten Menschen nach Unterhaltung gierten, baute die Kölner Firma Achtendung das kleine Karussell für einen holländischen Schaustellerbetrieb. 18 hölzerne Gondeln sausten fortan in stetigem Auf und Ab im Kreis, verziert mit Windmühlen und winterlichen Motiven, angetrieben von einem Elektromotor in der Mitte.

Viele Jahre leistete die Berg- und Talbahn, die wahlweise auch Raupenbahn oder „Fahrt ins Blaue“ genannt wurde, Schwerstarbeit auf dem Rummel. Als vor zwei Jahren Schausteller aus der Nähe von Frankfurt das völlig abgewirtschaftete Fahrgeschäft zum Kauf anboten, schlug Raviol zu. Nun will er ihm zu neuem Glanz verhelfen.

Seit etwa vier Jahren zieht der Mann mit der Schiebermütze und dem unverwüstlichen Glauben in die Kraft der Nostalgie mit einem historischen Jahrmarkt durch die Lande. Zwei alte Kinderkarussells und ein hölzerner Verkaufswagen aus den 1940er Jahren bilden den Kern seines Kleinbetriebs. In wenigen Wochen soll auch die Berg- und Talbahn im Einsatz sein und vor allem Jugendliche und Erwachsene begeistern.

Entschleunigung, Poesie, leise Verzauberung

Aber ganz anders als heutige Fahrgeschäfte. Am Wettkampf der üblichen Kirmes-Veranstaltungen will sich der 43-Jährige nicht beteiligen. Nicht das schrille Höher, Schneller, Lauter ist sein Credo. Dem gebürtigen Ost-Berliner und Wahlkölner, der viele Jahre Öffentlichkeitsarbeit für den Zirkus Roncalli gemacht hat, geht es um Entschleunigung, Poesie und leise Verzauberung. „Ich will zeigen, dass es eine tolle Tradition ist, auf den Rummel zu gehen.“ Raviol will seine Gäste in eine kleine gemütliche Märchenwelt entführen.

Als der Zirkus- und Kirmesfan die Berg- und Talbahn erstanden hatte, fuhren die Gefühle Achterbahn. So marode war das Fahrgeschäft, dass für viele Teile nur ein Nachbau in Frage kam. Aber als Raviol das Baubuch durchblätterte, war die Überraschung angenehm. Hier sind nicht nur technische Daten, sondern auch die Herkunft dokumentiert. Dass die Firma Achtendung und damit ein Hersteller aus Köln das Karussell gebaut hatte, freute ihn sehr: „Das ist für mich ganz toll als Immi“, sagt Raviol.

Petra Murrmann weiß nicht allzu viel über ihren Urgroßvater. Die 53-Jährige sitzt am Küchentisch ihrer Sülzer Wohnung und kramt fünf Schwarz-Weiß-Fotos hervor. Mehr ist nicht geblieben vom einstigen Familienbetrieb. Auf einer der Aufnahmen ist Albert Achtendung vor einer St. Moritzbahn zu sehen. Kleine im Kreis angeordnete Raketen sind bereit, spaßhungrige Kinder für wenige Minuten aus dem Alltag zu entführen.

Ein Eisbär hält die Diskokugel

Ein Porträt von Albert Achtendung zeigt einen sympathisch wirkenden Mann mit Scheitel und kreisrunden Brillengläsern. Möglicherweise ist das Foto in den 1930er oder 1940er Jahren entstanden. „Das muss ein ruhiger, zurückgezogener Mensch gewesen sein“, sagt Murrmann. Seine Karussells baute Achtendung an der Ecke Universitätsstraße/Berrenrather Straße – Raupenbahnen, Schiffsschaukeln, Schmetterlingsbahnen. In der Mitte der Kinderkarussells hielt meistens ein Eisbär eine Discokugel.

Nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg gab Achtendung seinen Karussellbau auf, offensichtlich, weil er das Sülzer Grundstück nicht mehr nutzen durfte. Petra Murrmanns Mutter ist vor drei Jahren unerwartet gestorben. Sie hätte noch viel mehr erzählen können vom Betrieb ihres Großvaters, der für sie wie ein Spielplatz gewesen sein muss.

Petra Murrmann berichtet, dass ihre Mutter immer Freunde zur Probefahrt einladen durfte, wenn wieder ein Fahrgeschäft fertig war. Ihre Uroma, eine resolute, stämmige Frau, die mit Albert Achtendung in wilder Ehe lebte, kochte dann Kakao.

„Es hat alles gerappelt und gewackelt“, erzählt Pascal Raviol über seine erste Begegnung mit der Berg- und Talbahn. Komplett marode war die fahrende Winterlandschaft, von der Raviol glaubt, dass sie spätestens in den 1970er Jahren von Holland zurück nach Deutschland kam. So viel alte Substanz wie möglich möchte er erhalten, aber an vielen Stellen ist das Fahrgeschäft einfach zu kaputt. Und die Sicherheit darf nicht auf der Strecke bleiben. Deshalb erneuern Raviol und seine Helfer nicht nur Eisenteile, Lackschichten und Reifen.

Allein die Malerarbeiten kosten 15.000 Euro

Viele Teile bauen sie auch nach – oder lassen sie nachbauen. An einem Punkt wird das Karussell auch in die Jetztzeit verfrachtet. Die Rückenlehnen der Gondeln lässt Raviol um 20 Zentimeter erhöhen: „Die Menschen sind im Laufe der Jahre viel größer geworden.“ Sein ganzes Geld investiert Raviol in das Herzensprojekt. Tausende hat die Restaurierung schon verschlungen, allein die Malerarbeiten kosten 15000 Euro. „Das geht ins Unermessliche“, sagt Raviol.

Petra Murrmann würde sich darüber freuen. „So eine Raupe ist schon witzig“, sagt sie: „Dieses Gerappel, ich finde, das hat etwas.“ Auf jeden Fall mehr Charme als heutige Karussells.

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