Marlis Prinzing ist Professorin für Journalistik an der Kölner Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation.
Köln 2015/16Was haben die Medien aus der Silvesternacht gelernt, Frau Prinzing?

Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik
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Zehn Jahre nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016, in der hunderte Menschen, vor allem Frauen, vor dem Hauptbahnhof beraubt und sexuell belästigt wurden, hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit unterschiedlichen Menschen über die Nacht und ihre Folgen gesprochen.
Die Ereignisse jener Nacht, die massiven Übergriffe von Menschen, häufig mit migrantischem Hintergrund, vor allem auf Frauen, die Art, wie die Polizei das Geschehene herunterspielte und dass manche Medien diesem Narrativ einfach folgten, lösten eine breite gesellschaftliche Debatte aus. Sie wirkte wie ein klärendes Gewitter.
Der Presserat präzisierte den Pressekodex, ergänzte Durchführungsempfehlungen und förderte so, dass mehr Medien über solche Themen differenzierter berichten. Der Presserat zeigte, dass professioneller Journalismus nicht beliebig vorgeht. Die Regeln im Kodex wurzeln in europäischen Werte-Traditionen und in der Menschenrechtscharta, angewendet auf berufsspezifische Fragen.
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Die Öffentlichkeit muss erfahren, wenn es belegte massive Übergriffe gab und ebenso, wenn die Herkunft der Täter für das Verstehen eines solchen Ereignisses relevant ist
Der ethische Kompass schließt das Zumuten sowie das Unterlassen ein. Die Öffentlichkeit muss erfahren, wenn es belegte massive Übergriffe gab, und ebenso, wenn die Herkunft der Täter für das Verstehen eines solchen Ereignisses relevant ist. Dann handelt verantwortungsbewusst, wer diese Informationen zumutet. Besteht kein relevanter Sachbezug, handelt verantwortungsbewusst, wer es unterlässt, die Herkunft zu nennen, weil dies diskriminierend wirken kann.
Manche Redaktionen machten ihren Job sehr gut, „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Express“ und „Kölnische Rundschau“ zum Beispiel. Sie haben kritisch hinterfragt, recherchiert, mit Augenzeugen gesprochen, transparent gemacht, wenn eine Frage – etwa nach den Herkünften – in der Bevölkerung im Raum hing, die Antwort aber noch nicht belegbar war. Sie wurden mit dem Wächterpreis ausgezeichnet – auch mit dem Effekt, dass diese Art zu berichten auf andere Medien als Vorbild wirkten.
Derzeit verengt sich vor dem Hintergrund der aktuellen Migrationsdebatte der Blick. In einzelnen Bundesländern geht die Polizei dazu über, die Nationalität in ihren Veröffentlichungen grundsätzlich zu nennen. Das setzt Medien unter Druck und kann interpretiert werden, als verheimlichten sie etwas, wenn sie es nicht tun.
Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Medien standhaft bleiben, weiterhin differenzieren, wann das Nennen der Herkunft einer Person sachbezogen relevant ist und wann es grundlos diskriminiert — und dies ihrem Publikum erläutern, dann machen sie ihren Job verantwortungsbewusst. Das sollte uns allen etwas wert sein.
Aufgezeichnet von Tim Stinauer
