„Tut weh das zu sehen“Das Baumsterben verändert den Charakter der Friedhöfe in Köln

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Der Friefhof in Köln-Mülheim

  • Die Bäume auf Kölns Friedhöfen sterben. Der wenige Regen und Schädlinge machen es ihnen schwer.
  • „Inzwischen sind fast alle Nadel- und Laubbaumarten betroffen. Birken, Buchen, Ahorn, Eichen“, sagt ein Gärtner auf dem Westfriedhof in Köln.
  • Wie kann dem Sterben entgegen gewirkt werden? Hat die Stadt einen Masterplan? Ein Rundgang über die Kölner Friedhöfe.

Köln – Die gute Seite des bislang durchwachsenen Sommers ist der Regen für durstige Bäume, die selbst bei brütender Stadthitze noch kühlenden Schatten spenden: in den Parks, im Stadtwald – auf den Friedhöfen. „Auch wegen Corona haben wir hier hohe Besucherzahlen“, erzählt ein Gärtner auf dem Westfriedhof in Vogelsang. Der drittgrößte der 55 Kölner Kommunalfriedhöfe ist mit seinen stattlichen Bäumen und breiten Alleen tatsächlich eine weite Parkanlage. Und er macht Vogelsang alle Ehre: Über 30 Vogelarten singen über den Gräbern – und über toten Bäumen.

Auf dem Westfriedhof, so die grobe Schätzung des Gärtners, „haben wir allein im vergangenen Jahr 450 Bäume rausnehmen müssen, die schlichtweg vertrocknet sind.“ Dazu kämen Abgänge durch Schädlingsbefall wie Pilze oder Borkenkäfer. „Inzwischen sind fast alle Nadel- und Laubbaumarten betroffen. Birken, Buchen, Ahorn, Eichen“, so der Gärtner, der anonym bleiben will.

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Auf dem rechtsrheinischen Ostfriedhof stehen mannshohe Holzpolter: die Orkan- und Trockenschäden der vergangenen beiden Jahre. Auf dem Mühlheimer Friedhof in Höhenberg, erzählt ein Gärtner, sei vor Wochen ein im vollen Grün stehender großer Laubbaum plötzlich umgefallen. „Ein halber Meter unter der Erde war der Pilz drin.“ Ein Großteil des alten Laubbaum-Bestandes sei in einem bedenklichen Zustand.

Kölner Friedhofsgärtner: „Das ist eine völlig neue Situation“

Die neu gepflanzten, jungen Bäume zeigten glücklicherweise keine Anzeichen von Krankheiten, aber die alten, hochgewachsenen Lebensbäume, Fichten, Eiben, Zypressen sterben. Ihre trockenen, rotbraunen Skelette fallen sofort ins Auge. „Ich pflege den Friedhof seit 30 Jahren“, sagt der Gärtner in Höhenberg. „Ich habe die Bäume aufwachsen sehen. Es tut weh, wenn ich dabei zusehen muss, wie sie sterben.“ Der Kollege auf dem Westfriedhof erklärt: „Das ist eine völlig neue Situation. Wir brauchen einen Masterplan, wie wir damit umgehen sollen.“

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„Ich habe so etwas auch noch nie gesehen, nicht in der Stadt“, sagt Klaus Walter, der sich beim Kölner Nabu seit 1985 für die ökologische Vielfalt auch auf Kölner Friedhöfen engagiert. „Das Ausmaß an Baumsterben nach zwei trockenen Sommern ist dramatisch. Sogar Buchen sind betroffen. Viele stehen jetzt im prallen Sonnenlicht, weil hohe Nadelbäume, die ihnen Schatten gegeben haben, rausgenommen werden mussten.“ 

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Für viele Bäume kommt der Regen zu spät, sagt Joachim Bauer, stellvertretender Leiter des Kölner Amts für Landschaftspflege und Grünflächen. Das sei auf den Kölner Friedhöfen besonders gravierend, denn hier liege eben der Anteil der Nadelbäume – der traditionellen Friedhofsbäume – bei rund 80 Prozent. „Da geht es uns nicht anders als dem Bergischen Land, wo der Fichtenanteil auch besonders hoch ist.“

75 Bäume auf dem Mülheimer Friedhof gefällt

Auf dem Mülheimer Friedhof seien 75 Bäume gefällt worden, Thuja, die Flachwurzler Fichte und Birke, bilanziert Peter Figgen, beim Grünflächenamt zuständig für die 55 Kölner Friedhöfe. Auf dem Ostfriedhof sei der Nadelholzanteil sehr hoch, deshalb die extremen Fichtenausfälle und Holzpolter. Der Nordfriedhof seit stärker durchmischt, deshalb fielen die Ausfälle nicht so ins Auge. „Wir können nicht sagen, wie viele Bäume betroffen sind“, so Figgen. Erhebungen würden nicht weiterhelfen. „Wir müssen in jedem Einzelfall entscheiden, ob wir einen Baum erhalten können oder rausnehmen müssen.“ 

Ein Generalplan helfe da nicht weiter. „Viele Friedhöfe stehen unter Denkmalschutz. Unsre Aufgabe ist es auch, den Charakter und die Struktur jedes Friedhofs zu erhalten und Bäume zu pflanzen, die ursprünglich vorgesehen waren. Wir haben und werden weiter Verluste haben, aber wir wollen die Anlagen erhalten.“ Es hätten sich aber auch Bäume ausgebreitet, die nicht auf Friedhöfe gehörten. Oder ein Grabpächter pflanze ein Bäumchen, dass dann nach 20 Jahren auf andere Grabanlagen übergreife. „Die müssen wir auch irgendwann rausnehmen“, so Figgen.

Stadtgrün in Zahlen

In Köln gibt es 55 kommunale und vier konfessionelle Friedhöfe. Sie bilden in und um Köln 485 Hektar öffentliches Grün, etwas mehr als ein Prozent des Kölner Stadtgebiets, zum Teil mit Wald und parkähnlichem Charakter. Der erste städtische Hauptfriedhof war Melaten. Mit den Eingemeindungen kamen die kleinen Friedhöge dazu. 1910 wurden die vier großen Friedhöfe angelegt, mit dem Ziel alle kleinen Friedhöfe aufzugeben. Melaten sollte in den 20 Jahren in den Grüngürtel integriert werden. Die Umsetzung ist politisch aber nie vollzogen worden.

In der Nachkriegszeit wurde der Beschluss gefasst, alle 55 Friedhöge zu behalten. Mit 61,5 Hektar ist der Südfriedhof flächenmäßig der größte. Köln ist eine grüne Stadt mit 4000 Hektar Wald (17 Prozent des Stadtgebietes) und 2800 Hektar Grünfläche (841 Parkanlagen, 12 Prozent der Stadtfläche), sowie landwirtschaftliche Flächen (rund 16 Prozent). Dazu kommen 17 691 Kleingärten. An den Straßenrändern stehen zudem rund 80 000 Bäume. Die meisten davon sind Linden, Ahornbäume, Buchen und Platanen.

„Wir suchen ganz gezielt neue Baumarten für die immer extremer werdenden Standorte“, erklärt Joachim Bauer: Schnurbaum, Lederhülsenbaum, Blauglockenbaum, amerikanische Küstentanne. „Die Platanen auf der „Millionenallee“ auf Melaten haben gar kein Problem. Die kommen mit der Trockenheit gut zurecht.“ Auf Melaten wässert ein Gärtner die Thuja-Hecken und schüttelt den Kopf. „Wir können hier Wasser ohne Ende drauflaufen lassen. Es sickert nicht ein.“ Die großen alten Bäume, die auf Kölns Père lachaise die stattlichen Grabanlagen beschatten, würden regelmäßig von Baumkontrolleuren in Augenschein genommen. „Wir können ja nicht jeden Baum wässern“, sagt der Gärtner. „Nur die seltenen und alten, Naturdenkmäler und die frisch angepflanzten Bäume.“ 

Bislang wurden junge Bäume bis ins dritte Jahr gewässert. „Das haben wir geändert“, sagt Joachim Bauer. „Wir wässern jetzt bis ins siebte Jahr. Dann müssen wir die Bäume sich selbst überlassen.“ Seit April verfügt das Grünflächenamt über vier Gießwagen, die in der Stadt unterwegs sind. „Und wir haben viele Baumpaten, die uns unterstützen.“

Tote helfen den Kölner Bäumen auf den Friedhöfen

Und auch die Toten helfen den Friedhöfen. Immer mehr Kölner wollen unter einem Baum liegen: 700 bis 800 Baumbeisetzungen sind es jährlich in Köln, ein zunehmender Trend. Deshalb stehen insbesondere auf dem waldartigen Ostfriedhof viele junge Bäume. „Wir haben 65 Prozent Urnenbeisetzungen. Tendenz steigend, jährlich um ein, zwei Prozent“, sagt Peter Figgen.

Es würden nicht nur neue Bäume gepflanzt, auch der Flächenverbrauch durch Gräber nehme von Jahr zu Jahr ab – was besonders Klaus Walter vom Nabu freut. „Auf den frei werdenden Flächen haben wir jetzt die Chance, für mehr ökologische Vielfalt zu sorgen.“ So wird der flanierende Besucher auf dem Westfriedhof überrascht von Obstbäumen und Wildwiesen. „Wir würden uns wünschen, dass in den Randbereichen der Friedhöfe der Wildwuchs eine größere Chance bekommt. Da könnte das Grünflächenamt noch etwas mutiger sein.“

Für Peter Figgen sind die Naturschutzprojekte auf den Kölner Friedhöfen eine Win-Win-Situation, und er scheint auch ein wenig stolz auf die Arten-Bilanz: Auf dem Westfriedhof zählt der Nabu sieben Fledermausarten, angelockt von der Insektenvielfalt der Wildwiesen. Der Nabu hängt gemeinsam mit den Gärtner Nistkästen auf, Baumscheiben für Wildbienen, es gibt Greifvögel, Füchse, Rehe. Friedhöfe sollen Orte der Ruhe und des Innehaltens sein, Stadtoasen, die der Erholung und Begegnung dienen, so wünschen es sich die Kölner laut einer Umfrage. Sie sollen aber auch Lebensraum für Flora und Fauna sei, Lernort für Schulen. „Die Kölner hängen an ihren Friedhöfen“, sagt Joachim Bauer. „Deshalb sollen alle 55 Friedhöfe erhalten bleiben.“ Und sie werden sich verändern, so Peter Figgen. Die Kölner wünschen sich Friedhöfe mit hoher Biodiversität, ihre Friedhöfe sollen Schutzräume und Oasen sein in einer wachsenden Metropole – und dem Baumsterben trotzen.

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