Kölner BoxvereinDer SC Colonia 06 feiert sein 111-jähriges Bestehen

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Europameister 1927: Franz Dübbers, Jacob Domgörgen und Hein Müller vom SC Colonia 06 kamen alle aus dem Severinsviertel.

Europameister 1927: Franz Dübbers, Jacob Domgörgen und Hein Müller vom SC Colonia 06 kamen alle aus dem Severinsviertel.

Köln – Die Fenster der Trainingsstätte des SC Colonia 06 am Olympiaweg in Müngersdorf lassen die Sonne rein, Boden, Ring, Wände, alles sehr hell, das Training ist durchgetaktet, keiner murrt, keiner flippt aus, keine Boxerklischees, nirgends; nur die Luft erfüllt die Erwartung: Mit jeder Minute, die die Athleten auf die Sandsäcke eindreschen, Schattenboxen, laufen, Liegestütze machen, sparren, säuert und gärt sie mehr.

Berni Schlößer, der eingerahmt von Pokalen auf der Empore sitzt und sich an die 111-jährige Geschichte seines SC Colonia 06 erinnert, macht das keine Schnappatmung. In der Boxhalle hat schon immer mehr Schweißdunst und Testosteron zirkuliert als Sauerstoff, „so muss es doch sein“. Schlößer (75) sieht drahtig aus, er fährt noch jede Woche Rennrad; Boxen, das gehe nicht mehr, da würden ihm die Knochen zu weh tun, sagt er, aber wenn er zum Ring guckt, wo die breitschultrige WM-Dritte Nadine Apetz ein Sparring absolviert, der deutsche Jugendmeister im Superschwergewicht, Nelvie Tiafak, leichtfüßig tänzelt, der ehemalige Jugend-Olympiasieger Artur Bril den Sandsack quält, dann leuchtet der alte Boxer auf.

Berni Schlößer (75) erinnert sich.

Berni Schlößer (75) erinnert sich.

Er war auch mal jung. 40 Kämpfe hat Schlößer für den SC Colonia 06 gemacht, nur knapp gegen den Europameister verloren, einmal lief ein Kampf von ihm zufällig sogar im Fernsehen und er gewann. Die Jugend darf in der Erinnerung gern zurückkehren.

Der ehemalige Arbeitssport ist längst gesellschaftsfähig

Schlößer ist im Vringsveedel groß geworden. Er wusste schon als Bub, dass die Boxer vom SC Colonia nach dem Training im Schmitze Lang in die nächste Runde gingen. „Ich war nicht so wie die“, sagt Schlößer, „aber interessant fand ich die harten Jungs doch.“ Als sein Vater ihn fragte, welchen Sport er denn machen wollte, gab es für Bernie nur einen.

Schon lange vor seiner Geburt war das Severinsviertel eine Hochburg des europäischen Faustkampfs: 1927 boxten sich Franz Dübbers, Jacob Domgörgen und Hein Müller („Das Dreigestirn“) in Berlin zum Europameistertitel, alle kamen sie aus dem Vringsveedel, alle vom SC Colonia 06, der Mittwoch mit Champagner und feinen Häppchen seinen 111. Geburtstag feiert.

Mannschaftsfoto aus dem Jahr 1924.

Mannschaftsfoto aus dem Jahr 1924.

Längst ist der ehemalige Arbeitersport gesellschaftsfähig, beliebt bei Intellektuellen und Managern. Der SC Colonia 06 bot vor 25 Jahren als erster deutscher Boxverein Manager-Boxen an – es ist ein fester Bestandteil des Betriebs geblieben. Sterneköche, Vorstandsvorsitzende und Intellektuelle kämpfen am Olympiaweg in Müngersdorf. Der Kölner Bestseller-Autor Frank Schätzing hat lange mitgeboxt, zum Festakt hält er eine kleine Rede. Boxen sei für ihn „Meditation und Kampfkunst“, hat Schätzing in einem Interview gesagt.

Interesse stieg durch den Medienrummel um den ersten schwarzen Weltmeister Jack Johnson

Als der SC Colonia 1906 gegründet wurde, gab es nur eine Radsport- und Leichtathletikabteilung. Boxen war in Deutschland noch offiziell verboten – obwohl 1904 in St. Louis schon olympische Sportart. Es war ein Engländer, der die Kölner fürs Boxen begeisterte, 1912 errangen die Vereinsmitglieder Ludwig Neeke und Lampert Fischer die ersten Meistergürtel für den SC Colonia – Boxen war ab sofort die wichtigste Sportart des Vereins; und erfuhr mehr und mehr Interesse durch den weltweiten Medienrummel um den ersten schwarzen Schwergewichtsweltmeister Jack Johnson. Mit Johnson begannen die mythischen Geschichten von Außenseitern, die durchs Boxen zu Stars aufstiegen.

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Für Journalisten gab es keine interessanteren Storys – allein mit Büchern über Muhammad Ali lassen sich mehrere Regalwände füllen. Wenn die Kämpfe von Henry Maske, Graciano Rocchigiani, Mike Tyson oder den Klitschko-Brüdern übertragen wurden, hat sich das beim SC Colonia immer bemerkbar gemacht – es kamen dann mehr Neugierige, um mitzutrainieren. Einen richtigen Boom gab es aber nur, als 1976 der erste „Rocky“-Film mit Sylvester Stallone als Boxer Rocky Balboa in die Kinos kam.

Allein Geschichten von Kölner Jungs, die nicht wussten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten, übers Boxen aber in die Spur fanden, könnte Franz Zimmermann tagelang erzählen. „Es ging mir immer darum, die Jugend von der Straße zu holen. Wenn sie mit unserer Hilfe die Schule schafften, später einen Job fanden und eine Frau, war ich zufrieden“, sagt er.

Franz Zimmermann war 55 Jahre Geschäftsführer

Franz Zimmermann war 55 Jahre Geschäftsführer des SC Colonia 06. Er sollte den Job 1960, als ein paar Aufmüpfige den Vorstand abgewählt hatten, nur kommissarisch für ein paar Wochen übernehmen und ist dann geblieben. Als er Colonia-Chef wurde, war er vier Wochen verheiratet, die eigene Box-Karriere hatte der ehemalige Mittelrheinmeister im Fliegengewicht (102 Pfund) früh beendet. Inzwischen sind es 57 Jahre Ehe, die mitunter stark unter dem Engagement für den Club gelitten hat. Um Ehe und Verein zu retten, holte Zimmermann seine Frau Irmgard 1979 mit in den Verein. Bis vor zwei Jahren war sie Kassiererin, er Geschäftsführer.

Franz Zimmermann, oben als Aktiver, unten mit Henry Maske.

Franz Zimmermann, oben als Aktiver, unten mit Henry Maske.

Heute ist Franz Zimmermann, zweitjüngstes und letztes noch lebendes Kind von 13 Geschwistern aus Oberschlesien, Ehrenvorsitzender des Clubs und firmiert noch als Sportwart des Mittelrheinischen Amateurboxverbands. „Auch den Job will ich im nächsten Jahr aufgeben“, sagt er. Er ist 81, im vergangenen Jahr hatte er einen Schlaganfall. „Colonia ist meine zweite Familie, seit ich 15 bin“, sagt er. „Das wird auch so bleiben.“ Seine Geschichte ist kein Mythos, aber für den Club gibt es wohl keine wichtigere.

Max Schmeling war zwei Jahre Mitglied beim SC Colonia

Der Club ist eine Familie, das findet Berni Schlößer auch. Manchmal war er so viel für den SC unterwegs, dass sein Job als Außendienstler stark gefährdet war. Schlößer war beim SC alles außer 1. Vorsitzender und Kassierer, „auch Ringrichter, Trainer, Hausmeister“, am liebsten aber Pressewart. Geschichten erzählen, das ist sein Ding. Die Luft ist nach einer Stunde und 20 Minuten Training so dünn und scharf, dass es Mut erfordert, durch die Nase zu atmen.

Max Schmeling war zwei Jahre SC-Colonia-06-Mitglied.

Max Schmeling war zwei Jahre SC-Colonia-06-Mitglied.

Schlößer erzählt von Max Schmeling, der für zwei Jahre Mitglied beim SC Colonia war, bevor er Profi wurde, von den seltsamen knappen Niederlagen des Clubs in den 1960er Jahren, die erst aufhörten, als der SC eigene Kampfrichter stellte, von August Engel, Bruder des Sängers Tommy Engel, ebenfalls ein Deutscher Meister aus dem Vringsveedel – wie bis heute 85 Kämpferinnen und Kämpfer des Clubs. Der SC Colonia 06 ist der älteste und erfolgreichste Boxverein Deutschlands.

„Stell dir vor, dein Gegner hat in der Milchbar deine Frau angemacht!“

Schlößer erinnert sich an die Schauspieler Til Schweiger und Hannes Jaenicke, die beim SC trainierten, an den Halbschwergewichtler mit der „legendären Rechten“, der im Kampf regelmäßig versagte, und dem sein Trainer nach einer verheerenden ersten Runde sagte: „Stell dir vor, dein Gegner hat in der Milchbar deine Frau angemacht!“ „Ehrlich, Trainer, hat er?“ „Ja!“ Es habe dann keine drei Minuten mehr gebraucht, bis der Gegner am Boden gelegen habe.

Artur Bril, Jugend-Olympiasieger, und die WM-Dritte Nadine Apetz.

Artur Bril, Jugend-Olympiasieger, und die WM-Dritte Nadine Apetz.

Eine Legende des Clubs war Ludwig Neeke, ein Trainer, der eine spezielle Gymnastik und Übungen vor Spiegeln einführte; als Aktiver bevorzugte Neeke die Linke als Führhand, das predigte er später auch seinen Schützlingen. Franz Zimmermann hat dann so gekämpft, Max Schmeling und Berni Schlößer, heute tun es Artur Bril, Nadine Apetz und Nelvie Tiafak genauso. Die Gesichter des SC Colonia ändern sich, das Wesentliche bleibt, auch die saure Luft.

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