„Zu westlich orientiert“Bruder würgt Schwester – Kölner Gericht muss ihn freisprechen

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Das Justizzentrum in Köln

Köln – Die Basecap sitzt wie angewachsen, als Tarek M. (25, Name geändert) sich auf den Weg macht, um im Sitzungssaal 21 des Amtsgerichts auf der Anklagebank Platz zu nehmen. „Die Haare liegen heute überhaupt nicht“, nuschelt der Mann mit der wuchtigen Statur in T-Shirt und ausgebeulter Jogginghose. Die Bitte der Verteidigerin ignoriert er. Was hat er denn mit der Würde des Gerichtes am Hut? Die Kopfbedeckung bleibt wo sie ist. Die von seiner Anwältin angesprochene Benimmregel wischt er unbeeindruckt vom Tisch.

Da hat er die Rechnung nicht mit der vorsitzenden Richterin gemacht. Die nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht Klartext. Der forsche Ton macht dabei die Musik: „Wir sind hier nicht hier in einem Schönheits-Salon!“ 

Tarek M. schaut gequält unter dem Schirm der Basecap hervor. Er realisiert, dass er keine Chance hat, agiert in Zeitlupe: hebt vorsichtig die Mütze vom Kopf, richtet mit beiden Händen noch einmal sorgfältig die ohnehin akkurat gegelten Haare, legt Strähne für Strähne zur Seite, bevor die Staatsanwältin die Anklage verliest: Respekt vor Gericht, geschweige denn Regeln akzeptieren im Umgang miteinander – damit ist es bei Tarek M. offenbar nicht weit her.

Angeklagter Tarek M. würgt seine Schwester Cilan M.

Im Sommer vergangenen Jahres soll Tarek M. seiner jüngeren Schwester gegenüber handgreiflich geworden sein. Die junge Frau mit den falschen Wimpern, der Löwenmähne und knallengen Jeans hat verschüchtert neben ihrer Mutter im Saal Platz genommen. Sie reagiert folgsam auf die Anweisungen, die ihr der Bruder mit herrischer Gestik gibt, und der barsche Ton in der gemeinsamen Muttersprache lässt zu wünschen übrig. 

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Cilan M. wollte damals nur schwimmen gehen, ins nächste Freibad, als der Angeklagte laut Anklage ausrastete und die Schwester „würgte, bis sie keine Luft mehr bekam“. Die Verhaltensweisen der Jüngeren passten ihm nicht, „waren ihm zu westlich orientiert“ steht in den Akten. Thematisiert wird das im Gerichtssaal nicht. Aus gutem Grund, wie sich nach der Anklageverlesung herausstellt.

Der jungen Frau gelang es am Tattag schließlich mit erheblichem Kraftaufwand, sich zu befreien. Sie stürmte aus der Wohnung. Der Bruder folgte ihr, mit einem Teleskop-Stab in der Hand. Bis zum Kiosk an der Ecke gelang Cilan M. die Flucht, dort schloss sie sich auf der Toilette ein. Vergeblich donnerte der Bruder an die Tür und forderte sie auf, herauszukommen. Der Kioskbesucher hatte beim Anblick der malträtierten Frau einen Krankenwagen gerufen. Der brachte sie ins Krankenhaus. Dort schrieben die Ärzte ins Krankenblatt: „Es befinden sich ausgeprägte Würgemale am Hals der Patientin“.

Tarek M. stand schon mehrfach vor Gericht

Tarek M. erhielt daraufhin wegen Körperverletzung einen Strafbefehl über 1125 Euro (75 Tagessätze zu je 15 Euro). Der Justiz war er kein Unbekannter. Bereits als Jugendlicher hatte er 2014 vom Landgericht Landshut wegen schweren Raubes eine Haftstrafe von knapp vier Jahren kassiert. Danach sich wegen Beleidigung und Körperverletzung Geldstrafen eingehandelt. Insgesamt zehn Eintragungen listet das Bundeszentralregister mit seinem Namen.

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Doch vor Gericht kommt er nun – für Insider wenig überraschend – mit einem Freispruch davon. Sein Einspruch gegen den Strafbefehl ist erfolgreich. Denn seine Schwester weigert sich, gegen den eigenen Bruder auszusagen. Ob sie das aus freien Stücken tut oder dem Familienfrieden zuliebe, darüber lässt sich nur spekulieren. Als unmittelbare Angehörige hat sie jedenfalls ein Zeugnisverweigerungsrecht. So steht es im Gesetz. Auch Tarek M. schweigt auf Anraten seiner Verteidigerin. Da hat auch die Anklagevertreterin schlechte Karten: „Angesichts dieser Beweislage kann die Tat nicht nachgewiesen werden“, begründet die Staatsanwältin ihre Forderung nach einem Freispruch. Das sieht die Richterin ähnlich. „So etwas hatte ich schon beim Aktenstudium befürchtet“, merkt sie an, bevor sie freispricht.

„Wir haben keine Zeugen, da ist ein Freispruch das einzig Mögliche“, sagt sie im Urteil. „Ich wünsche Ihnen für die Zukunft, dass Sie sich gut mit Ihren Geschwistern verstehen“, gibt sie dem Angeklagten noch mit auf den Weg, der daraufhin kommentarlos mit mürrischer Miene den Saal verlässt. Und als erste Amtshandlung die Basecap wieder aufsetzt.

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