Gefahr durch DenkmalschutzKölner Grundschüler können Türen nur zu zweit öffnen

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Die Türen in der Schule lassen sich nur zu zweit öffnen.

Köln – Wenn Schulleiter Stefan Waasem sagt: „Ich liebe diese Schule“, dann nimmt man ihm das sofort ab. Er ist nicht nur mit Leib und Seele seit 20 Jahren Schulleiter der Maternus-Grundschule in Nippes. Der Pädagoge, der im ersten Leben gelernter Schreiner war und selbst Bewohner eines denkmalgeschützten Hauses ist, liebt auch die besondere Architektur des Baus des Architekten Rudolf Schwarz an der Bülowstraße. Aber so schön und wertig seine Schule auch ist: Der Denkmalschutzstatus der 1965 fertig gestellten Schule macht ihm auch an manchen Stellen Bauchschmerzen, weil er die Sicherheit seiner Schützlinge nicht gewährleistet sieht.

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Die Lärchenholz-Fenster lassen sich größtenteils nur kippen.

Um zu verstehen, was er meint, braucht man nur ein paar Minuten auf dem Schulhof zu stehen und die beiden Erstklässlerinnen Mina und Shania auf ihrem Weg aus dem Gebäude über den Schulhof zur Toilette beobachten. Den Gang aufs stille Örtchen treten die Grundschüler an der Maternus-Grundschule grundsätzlich nur zu zweit an. Erstens, weil vor allem die Erst- und Zweitklässler die massiven doppelseitigen Eichentüren, die auf dem Weg dorthin liegen, sonst nicht geöffnet bekommen. Und zweitens aus Sicherheitsgründen: Zu zweit hängen sich die beiden zierlichen sechsjährigen Mädchen mit beiden Händen an die über eine Tonne schwere Eichentür und ziehen mit voller Körperkraft. Eine Mädchen umkrallt dann die einen breiten Spalt geöffnete Tür und klemmt ihren Körper dazwischen, ehe sie beide rasch durchrutschen. Die Tür schließt sich durch einen eingebauten Mechanismus erst sehr langsam, die letzten 20 Zentimeter aber mit voller Wucht wie ein Fallbeil.

Tür wie ein Fallbeil

Für Waasem ist es ein Riesenglück, dass bislang noch keine Kinderfinger zwischen die im gesamten Gebäude verbauten doppeltürigen Eichentüren gekommen sind. Einer seiner Kolleginnen ist das nämlich bereits passiert: Ihre Fingerkuppen gerieten dazwischen. Sie kam mit extremen Knochenquetschungen ins Krankenhaus und fiel für vier Wochen aus. „Ich mag mir gar nicht ausmalen, was ist, wenn das mit einem Kinderfinger passiert wäre.“ Er will dafür die Verantwortung nicht übernehmen und hat sich bereits mehrfach an die Gebäudewirtschaft gewandt. Dann komme jemand, der den Schließmechanismus nachziehe, damit die Tür nicht die letzten 20 Zentimeter wie ein Katapult zufällt. Das helfe dann eine Weile, dann sei alles wieder beim Alten.

Renommierter Architekt

Warum muss eine Schule, in der Sechs- bis Neunjährige lernen, mit zehn Zentimeter dicken massiven Doppel-Eichentüren ausgestattet werden? Warum nicht Türen aus einem leichteren Material? Das wäre preiswerter, praktikabler und sicherer. Die Antwort: Weil der Denkmalschutz keinen Pragmatismus kennt und Argumente wie Praktikabilität oder Gesundheitsschutz augenscheinlich nachrangig sind. Die Schule wurde in den 60er Jahren von dem renommierten Kölner Architekten Rudolf Schwarz geplant und gebaut. Der Architekt, der in der Nachkriegszeit vor allem Kirchen baute, leitete zwischen 1946 und 1952 als Generalplaner den Wiederaufbau der Stadt. Er verantwortete die Restaurierung des Gürzenich und den Bau des Wallraf-Richartz-Museums. Die Maternus-Schule ist sein einziger Schulbau. Und sie war für die damalige Zeit ein Novum: Bestehend aus würfelartigen Bauten, die teilweise versetzt angelegt sind, sollte eine Art Stadt in der Stadt entstehen. Umgeben von versetzten Schulhöfen und einem Schulgarten. Im Innern wurde damals hauptsächlich Holz verbaut: Massive Fenster und Türen aus Lärchenholz, Eichen-Echtholzparkett in allen Klassen und in den Sporthallen. Außerdem edle Lärchenholz-Deckenvertäfelungen.

Corona-Fälle durch Lüftungsprobleme

Als der Bau bereits vor 20 Jahren sanierungsbedürftig war, wurde die Schule durch die Stadt drei Jahre lang für mehr als 13 Millionen Euro denkmalschutzgetreu kernsaniert. Unter anderem wurden dabei nicht nur die Lärchentüren durch massive maßangefertigte Eichentüren ersetzt (warum zu Eiche gewechselt wurde, ist unklar), auch die durch Feuchtigkeitsschäden nicht mehr nutzbaren Fenster wurden im gesamten Schulgebäude durch maßangefertigte Fenster aus Lärchenholz ersetzt, so wie der Architekt es damals auch vorgesehen hatte. Das Problem: „Die müsste man theoretisch alle paar Jahre streichen, damit keine Feuchtigkeit eindringt und sich das Material nicht verzieht. Und sie sind im Schulalltag wenig praktikabel.“

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Die von dem renommierten Kölner Architekten Norbert Schwarz geplante Schule.

Das hat sich gerade in der Zeit der Corona-Pandemie fatal ausgewirkt: Denn die großen mehrteiligen Lärchenholzfenster sind – so hat es der Architekt vorgesehen – nicht flächig zu öffnen, sondern können lediglich unten aufgekippt werden. Nur ein seitliches, sehr kleines Teilfenster war theoretisch ganz zu öffnen. Bis die Corona-Pandemie auftrat, war diese kleine Fläche allerdings verschraubt. Das Gesundheitsamt sorgte dann qua Anweisung dafür, dass zumindest diese – im Verhältnis zur gesamten Fensterfläche – sehr kleinen Fenster mit einem speziellen Schlüssel von den Lehrern geöffnet werden können. „Aber das reicht eigentlich immer noch nicht, um einen kompletten Luftaustausch hinzubekommen“, so Waasem. Zumal bei einigen der ebenfalls nur kippbaren Oberlichter das Lärchenholz teilweise schon so verzogen ist, dass sie mit den eingebauten Motoren nicht mehr zu öffnen sind.

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Der negative Effekt der Fenstersituation zeigte sich in der Pandemie sehr rasch: Es gab an der Schule zahlreiche Corona-Fälle. Eine Klasse musste gar drei Mal, also insgesamt sechs Wochen, in Quarantäne. Der Schulleiter hat schon längst bei der Stadt 25 Luftfilter bestellt, für jeden Raum einen. Angekommen ist noch keiner. Waasem hofft sehr, dass sich das nach den Herbstferien, wenn es auf den Winter zugeht, ändert, weil doch eigentlich die Grundschulen bevorzugt beliefert werden sollten. Ob es das alles wert sei mit den vom Architekten so geplanten nur flächig nach außen kippbaren Massivholz-Fenstern? Schulleiter Wassem plädiert dafür, bei aller Liebe zum Denkmalschutz bei der nächsten Sanierung eine Abwägung vorzunehmen und zumindest auf komplett zu öffnende Kunststofffenster zu setzen. „Und für das Türproblem muss man sich jetzt schon was einfallen lassen. Sonst ist irgendwann der Unfall passiert.“

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