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Gummibärchen im NotfallpaketDiabetes-Ambulanz schult Kinder im Umgang mit Krankheit

Lesezeit 5 Minuten
Diabetes-Klinik Kinder

Die sicherste Messung des Blutzuckerspiegels erfolgt mit einem Tropfen Blut.

Köln – Konrad muss jetzt Butterkekse essen. Diabetesberaterin Aynur Eren hat sie vor ihm auf dem Tisch gelegt, eine eindeutige Aufforderung. Konrads Messgerät hat den Wert angezeigt: 67 Milligramm Glucose befinden sich derzeit in einem Deziliter seines Blutes. Der Pfeil neben der Zahl wies in die Richtung rechts unten. Der Wert ist abnehmend.

Der Sechsjährige muss Kohlehydrate zu sich nehmen, damit sein Blutzuckerwert wieder in einem sicheren Bereich liegt. „Wir möchten, dass er sich zwischen 70 und 160 bewegt“, kommentiert Eren. Konrad gehört zu einer Gruppe von Vorschulkindern, die heute bei ihr zu einem besonderen Workshop in der Unikinderklinik zu Gast ist. Sie alle sind an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt, kommen jetzt in die Schule – und basteln sich für dort ein Notfallpaket. Es soll schnell greifbar sein, wenn ihr Blutzuckerwert zu stark gesunken ist, und beinhaltet Dinge, die viele Kinder gerne mögen, Traubenzucker und andere Süßigkeiten, wie beispielsweise Gummibärchen.

Kinder finden Krankheit nicht schlimm

Eine eigene Box mit Süßigkeiten in der Schule griffbereit zu haben, ist immerhin ein Vorteil der Krankheit. Überhaupt sei es gar nicht so schlimm, Diabetiker zu sein, finden alle Kinder einhellig. „Das Leben ist nur ein bisschen anders“, sagt die fünfjährige Sophia „Unser Blutzucker stimmt oft nicht so richtig, weil unsere Bauchspeicheldrüse kein Insulin produziert.“ Die Kinder sind kleine Experten.

Stolz präsentieren die Kinder ihr Messgerät, das sie an einen Sensor unter ihrer Haut halten.

Sophia war erst 14 Monate alt, als die Krankheit bei ihr ausbrach. Für ihre Mutter war es eine beängstigende Situation. „Sie trank zwei bis drei Liter am Tag, musste dauernd zu Toilette, war unheimlich schlapp und hatte schließlich eine sogenannte Kussmaulatmung, das heißt, sie atmete mit offenem Mund und sehr schwer“, erinnert sich Caroline Wimmer. „Ich war eine Woche lang jeden Tag mit ihr beim Kinderarzt. Er hat die Krankheit nicht diagnostiziert. Dabei hatte sie die typischen Symptome.“ Als Sophia kaum noch ansprechbar war, fuhren die Eltern mit ihr ins Krankenhaus. Dort wurde die Diabetes festgestellt. „Eineinhalb Stunden später wäre sie tot gewesen, haben die Ärzte mir gesagt“, erzählt Wimmer.

Diabetes-Ambulanz gehört zu den größten in Deutschland

Heute geht es Sophia gut. Stolz zeigt sie die Insulinpumpe, die sie immer trägt und die sie regelmäßig mit dem Hormon versorgt. Die anderen Kinder bekommen es zweimal am Tag gespritzt. Daran haben sie sich längst gewöhnt, mit Unterstützung ihrer Eltern und der Mitarbeiter der Uniklinik. Die Diabetes-Ambulanz der Kinderklinik an der Kerpener Straße 62 betreut 250 Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 21 Jahren und gehört damit zu den größten derartigen Ambulanzen in Deutschland. Regelmäßig schult das Beratungsteam auch schon ganz junge Kinder im Umgang mit ihrer Krankheit.

Der von Eltern gegründete Förderverein für Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus ist eine wichtige Kraft im Hintergrund. Er hat die Ausbildung einer der Diabetes-Beraterinnen finanziert, fördert Kindergarten- und Schulbesuche, bei denen auch Lehrer und Mitschüler im Umgang mit der Krankheit aufgeklärt werden, veranstaltet Schulungsfahrten für Familien und Jugendliche und Fortbildungsveranstaltungen für Kinderärzte und Eltern. Auch eine Lehrküche hat der Förderverein der Klinik spendiert. Dort haben die Kinder Nudeln mit Bolognese-Soße gekocht, bevor sie die Notfallpäckchen bastelten.

Kinder müssen viel über Ernährung wissen

Sie müssen einiges mehr über Ernährung wissen als andere Kinder – wie wichtig es ist, Kohlehydrate zu verspeisen, wenn der Blutzucker fällt, und viel zu trinken und sich zu bewegen, wenn er sehr hoch ist. Sie müssen sich daran gewöhnen, den Wert regelmäßig zu messen. Zweimal am Tag, immer wenn sie die Insulinspritze bekommen, sollten sie möglichst genau messen mit einem Tröpfchen Blut, das durch einen kleinen Nadelstich in den Finger gewonnen wird. Dabei und bei den Stichen helfen die Eltern.

Für die regelmäßige eigene Kontrolle des Werts haben die meisten Kinder einen Sensor unter der Haut im Fettgewebe. Mithilfe eines Messgeräts, das sie daran halten, können sie den Blutzuckerwert im Gewebe bestimmen. Wie es genau geht, lernen jüngere Kinder in der Diabetes-Beratung: „Kinder, die noch nicht in der Schule sind, wissen, dass zwei Ziffern bedeuten, dass sie eher etwas essen müssen und drei Ziffern, dass sie etwas trinken und sich bewegen sollten“, kommentiert Eren. Das ist noch relativ ungenau. Entscheidend ist aber auch, wie sie sich fühlen. Dank der Unterstützung des Diabetesteams der Uniklinik lernen sie, auf die Signale ihres Körpers zu achten und entsprechend zu regieren – notfalls mit einem Butterkeks.

Informationen zu der Krankheit

Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ist eine krankhafte Störung des Zuckerstoffwechsels. Man unterscheidet verschiedene Diabetesformen hinsichtlich ihrer Ursachen, Symptome und Behandlung.

Diabetes mellitus Typ 1 macht etwa fünf Prozent aller Diabeteserkrankungen aus. Er kann prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten, ist aber vor allem eine häufige Ursache für Diabetes bei Kindern. 31.000 Kinder und Jugendliche sind bundesweit daran erkrankt und etwa 350.000 Erwachsene. Jedes Jahr kommen 2000 bis 3000 Neuerkrankungen bei Kindern hinzu. Bei Diabetes mellitus Typ 1 handelt es sich um eine genetisch veranlagte Autoimmunerkrankung.

Die Autoimmunreaktion richtet sich gegen Zellen der eigenen Bauchspeicheldrüse. Wegen der geschädigten Zellen kann die Bauchspeicheldrüse nur noch wenig oder gar kein Insulin mehr bilden. Insulin ist aber notwendig, um Zucker aus der Blutbahn in die Zellen zu schleusen. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel stark an. Der Stoffwechsel entgleist mit lebensbedrohlichen Folgen. Deswegen muss der Mangel lebenslang durch das Spritzen von Insulin ausgeglichen werden.

Deutlich häufiger ist Diabetes mellitus Typ 2. Früher erkrankten daran vor allem ältere Erwachsene, heute sind auch Kinder betroffen. Bewegungsmangel, Übergewicht und eine sehr zucker- und fetthaltige Ernährung sind zumeist die Ursachen. (se)

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