Soziologe Ansgar Hudde analysiert die Aufholjagd von Torsten Burmester bei der OB-Stichwahl und die politischen Verhältnisse von Köln
WahlergebnisWoran hat et jelegen? Die große Kölner Wahlanalyse

Daumen hoch: Torsten Burmester (SPD) ist zukünftiger Oberbürgermeister von Köln.
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„Köln besteht nicht nur aus der Innenstadt und aus Ehrenfeld und aus Nippes“
Mit diesem Satz hat Torsten Burmester eines seiner Instagram-Videos begonnen und die dahinterstehende Idee ins Rathaus gebracht. Vor einiger Zeit hatte ich die Ergebnisse der Bundestagswahl in den Kölner Veedeln analysiert und bin zum Schluss gekommen: „Ziehen wir in Gedanken einmal einen Kreis um das Kölner Rathaus mit einem Radius von 4,5 Kilometern. Innerhalb dieses Kreises leben genauso viele Kölnerinnen und Kölner wie außerhalb. Doch politisch ticken die beiden Hälften ganz anders“. Die Kommunalwahl bestätigte dieses Muster erneut. In der ersten Runde lag Berivan Aymaz innerhalb des Kreises mit Abstand auf Platz 1, gefolgt von Burmester und Markus Greitemann.
Außerhalb des Kreises war die Reihenfolge aber genau umgekehrt. Im ersten Wahlgang hatte Aymaz innerhalb des 4,5-Kilometer-Kreises schon 37 Prozent der Stimmen geholt, und konnte sich dort dann auf 57 Prozent verbessern. Außerhalb des Kreises hat sie sich aber nur von 19 auf 34 Prozent verbessert. Burmester konnte – ähnlich wie Aymaz – innerhalb des Kreises etwa 20 Prozentpunkte dazugewinnen von 19 auf 42 Prozent. Außerhalb des Kreises explodierte sein Ergebnis aber von mittelmäßigen 24 auf 66 Prozent.
Woher kamen die zusätzlichen Burmester-Stimmen?
Hahnwald liefert immer wieder Kuriositäten – und manche davon helfen, die größeren Muster zu verstehen. Im ersten Wahlgang hatte Burmester in Hahnwald 10 Prozent der Stimmen geholt, in der Stichwahl aber 85 Prozent. Das zeigt: Burmester war für wenige die erste Wahl – aber für viele die zweite Wahl. Über 50 Prozent stimmten im ersten Durchgang für Greitemann, 11 Prozent für Volker Görzel von der FDP. Es liegt nahe, dass viele von denen, und vielleicht sogar manche der 10 Prozent AfD-Wähler, zur SPD gewechselt sind.
Was sich in Hahnwald in Extremform zeigt, ist ein breites Muster: Wo CDU, FDP und AfD im ersten Wahlgang stark abschnitten, konnte Burmester jetzt deutlich zulegen. Einige dieser Wähler stimmten wohl weniger für den Sozialdemokraten Burmester als gegen die Grüne Aymaz.
Für Aymaz folgen die Veränderungen zwischen den Wahlen einem noch simpleren Prinzip als bei Burmester: Sie hat die Stichwahl in den Veedeln gewonnen, in denen sie und Heiner Kockerbeck von den Linken schon in der ersten Runde stark waren. Während Burmester also auch in den Hochburgen der Union zulegen konnte, hat Aymaz vor allem ihre Hochburgen ausgebaut.
Die SPD polarisiert am wenigsten
Dass Burmester in Runde eins eher abgeschlagen auf dem zweiten Platz lag, aber in der Stichwahl deutlich gewinnen konnte, spiegelt bundesweite politische Verhältnisse wider. Die SPD hat nur noch wenige begeisterte oder treue Stammwähler – und kaum regionale Hochburgen, in denen sie immer und sowieso gewählt wird. Andererseits gibt es keine andere Partei, von der mehr Menschen sagen: „Joa, könnte ich mir zumindest prinzipiell vorstellen, die mal zu wählen“. Die SPD ist also die Partei, die am wenigsten polarisiert. Diese Mischung aus schwacher Stammwählerschaft und großem Potenzial lässt ihre Wahlergebnisse stark schwanken, je nach Kandidat, Kampagne oder Wahlgang. Man denke an den „Schulz-Zug“, der die Partei in kurzer Zeit um zehn Prozentpunkte nach oben katapultierte. Burmester verkörpert dieses wenig polarisierende Profil. Er war nur für ein Fünftel die erste Wahl, aber für mehr als die Hälfte die zweite Wahl.
Bei den Grünen ist die Lage fast gegenteilig. Sie haben eine vergleichsweise treue Stammwählerschaft, und Aymaz ist in der ersten Runde deutlich auf Platz eins gelandet. Allerdings haben die Grünen auch eine große Gegnerschaft, die Partei polarisiert stark. In einer Stichwahl, bei der es um die absolute Mehrheit geht, ist das ein Nachteil.
Hätte, hätte, Fahrradkette
In einer Stichwahl hängen die Chancen davon ab, gegen wen man antritt. Für Aymaz wäre ein Duell gegen einen CDU-Kandidaten deutlich vielversprechender gewesen. So hätte sie die Mehrheit der Wähler links der Mitte hinter sich bringen und damit gewinnen können. Schließlich hat Köln eine Mehrheit links der Mitte, das hat die letzte Bundestagswahl genauso gezeigt wie die Stadtratswahl.
Aus Grünen-Sicht: Woran hat et jelegen?
Ich habe Aymaz Wahlkampf so wahrgenommen, dass sie sich vor allem um die zentrumsnahen Veedel bemüht, um die Nachbarschaften mit Grün-Links-Wahlmuster. Dieser Fokus auf das Kernklientel war vielleicht die richtige Taktik, um in die Stichwahl zu kommen, doch fürs Rathaus reicht er nicht. Den zentrumsnahen Bereich hat sie zwar gewonnen, doch der Vorsprung war zu gering, um ihre Schwäche in den Gebieten außerhalb auszugleichen. Ein alternativer Weg zum Ziel wäre eine sehr starke Mobilisierung in ihrem Kernbereich gewesen, aber auch das gelang nicht. In ihren Hochburgen ist die Wahlbeteiligung zwischen der ersten Runde und der Stichwahl in ähnlichem Umfang gesunken wie andernorts.
In Ehrenfeld hat Aymaz eine riesige Hauswand mit ihrem Porträt bemalen lassen, hier hat sie ihre Veedelstour gestartet und war im Kneipenwahlkampf. Hier holte sie ihr bestes Ergebnis und gewann über zwei Drittel der Stimmen. Doch selbst in diesem Stadtteil gelang es ihr nicht, genug Enthusiasmus zu erzeugen, um die Wahlbeteiligung auf über 50 Prozent zu bringen.
War Aymaz' Fokus auf die zentrumsnahen Grün-Links-Veedel letztlich ein Fehler? Vielleicht. Doch mit solchen Interpretationen sollte man vorsichtig sein, denn hinterher ist es immer leicht, die Strategie des Gewinners zu loben und die der Verliererin zu kritisieren. Aymaz hatte schließlich auch die schwierigeren Ausgangsbedingungen, und es bleibt fraglich, ob eine andere Strategie erfolgreicher gewesen wäre.
Wie überraschend ist das Stichwahlergebnis?
Insgesamt bleibt ein Stichwahlergebnis, das auffällig unauffällig ist. Die Wahlkarte entspricht dem, was man auf Basis vorheriger Wahlen erwarten konnte. Aymaz hat die Veedel und Stimmbezirke gewonnen, in denen auch bei der Ratswahl oder bei Bundestagswahlen viele Stimmen an die Grünen und an Die Linke gehen. Genauso hat Burmester die Gegenden gewonnen, in denen generell die Mehrheit bei der SPD oder rechts davon liegt. Starke Kandidateneffekte lassen sich in den Ergebnissen nicht erkennen, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Am Ende bleibt: Köln hat eine Mehrheit links der Mitte, aber nicht links der SPD. Gelingt es einem SPD-Kandidaten, neben der eigenen Basis auch viele CDU-Wähler anzusprechen, hat es eine grüne Kandidatin schwer.