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Nach Taten in Köln und RegionEinblick in die Welt der Geldautomaten-Sprenger

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Die Täter sprengten einen Geldautomaten der Volksbank in Brück

Köln – Die Wucht der Explosion hat die Türen der Bankfiliale in Brück um kurz vor drei Uhr in der Nacht zum Dienstag auf die Straße gedrückt, die Fahrbahn ist mit Glasscherben übersät, weiße Vorhänge wehen aus dem Kundenzentrum durch die fensterlosen Rahmen. Erneut haben Geldautomatensprenger eine Verwüstung in einem Wohnviertel angerichtet, das Gebäude der Volksbank an der Olpener Straße wurde erheblich beschädigt. Die Täter entkamen mit Beute in unbekannter Höhe.

Es war die vierte Tat der „Plofkrakers“ (wörtlich übersetzt: Knallknacker) in Köln dieses Jahr – so werden die Männer in den Niederlanden genannt, von wo aus sie einreisen, um im grenznahen Gebiet in NRW ihre Taten zu begehen.

Nur knapp zwei Stunden nach der Sprengung des Automaten in Köln-Brück detonierte gegen 4.45 Uhr auch im 50 Kilometer entfernten Meerbusch bei Düsseldorf ein Geldautomat in einer Bankfiliale. Die Fahrzeit zwischen beiden Tatorten beträgt eine Dreiviertelstunde. Die Polizei prüft mögliche Zusammenhänge. Ein dritter Geldautomat explodierte in derselben Nacht in Recklinghausen.

Die Täter sind junge Männer aus den Niederlanden

Auch wenn die Täter in allen drei Fällen flüchten konnten – die Polizei weiß ziemlich genau, mit wem sie es zu tun hat. Nach Angaben des Landeskriminalamts (LKA) handelt es sich bei den Geldautomatensprengern um einen Kreis von 350 bis 500 Männer zumeist marokkanischer Abstammung im Alter von 18 bis 35 Jahren.

Nicht wenige starten ihre nächtlichen Diebestouren im niederländischen Utrecht, in Wohngebieten, die dort „Marocaine Island“ genannt werden. „In diesen Vierteln ist in Sachen Integration viel zu wenig geschehen. Der Polizeiapparat wurde sukzessive kaputtgespart. Das Ergebnis dieser Missstände offenbart sich jetzt“, sagt Oliver Huth, stellvertretender NRW-Landesvorsitzender der Kripogewerkschaft „Bund Deutscher Kriminalbeamter“.

Seit sechs Jahren bekämpft das LKA die Sprengstoffbanden mit der eigens eingerichteten Ermittlungsgruppe „Heat“. Die Beamtinnen und Beamten haben es mit hochprofessionellen Tätern zu tun.

Im Februar 2020 fiel in Niedersachsen beispielsweise ein 29-Jähriger aus den Niederlanden auf, der bei einem Geldautomatenhersteller mehrere Geräte kaufen wollte und einen zweifelhaften Grund dafür nannte: Er wollte sie für eine „künstlerische Nutzung“ erwerben. Der Hersteller schaltete die Polizei ein, und die fand heraus, dass die „Plofkrakers“ mit den Geräten die Sprengung trainieren wollten.

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Nach Angaben des LKA tauschen sich die Täter in einem losen Netzwerk untereinander aus. Sie beschäftigen dieselben Anwälte und greifen auf dieselben Logistiker zurück, die ihnen die Fluchtfahrzeuge beschaffen, zumeist PS-starke Autos von Audi oder VW. So auch in Brück: Laut Polizei gelang den Tätern in einem A6 Kombi mit Bergisch Gladbacher Kennzeichen die Flucht. Es ist davon auszugehen, dass der Wagen und die Kennzeichen gestohlen wurden.

Nach Rückgang im Frühjahr steigen Fallzahlen jetzt wieder

In den Niederlanden stellen die Banken ihre Automaten längst nur noch in gut gesicherten Räumen auf, und nach 23 Uhr wird auch dort kein Geld mehr ausgegeben. Daher hat sich das Hauptbetätigungsfeld der Banden nach Deutschland verlagert.

Die drei Sprengungen aus der vergangenen Nacht eingerechnet zählt das LKA in diesem Jahr bisher 149 Taten in NRW, darunter 79 Versuche. Im Vorjahr waren es 176 Fälle bei 116 Versuchen. Für die gesunkene Zahl hat LKA-Sprecher Frank Scheulen eine Erklärung: Im Frühjahr herrschte in den Niederlanden ein wochenlanger Corona-Lockdown mit striktem Ausgangsverbot, selbst die Automatensprenger haben sich offenbar daran gehalten. „Das war an den Fallzahlen bei uns klar abzulesen“, sagt Scheulen. Seit einigen Monaten steigen sie wieder.

Täter verwenden zunehmend Sprengstoff statt Gas

Auch in Deutschland sind die Geldinstitute zunehmend sensibilisiert, manche Hersteller schützen die Geldautomaten neuerdings mit besonderer Technik. Das ist ein Grund, warum die Täter immer seltener Gas einsetzen, um die Geräte in die Luft zu jagen, sondern zunehmend hochwirksamen Sprengstoff. „Dadurch sind die Risiken noch unkalkulierbarer, die Gefahr für Anwohner und Passanten höher und die Schäden an den Gebäuden größer“, sagt Frank Scheulen.

In NRW habe es bislang keine schlimmeren Verletzungen gegeben. Nur einer der Gangster sei kürzlich bei einer Sprengung in Neuss so schwer verwundet worden, dass seine Komplizen ihn auf der Flucht in die Niederlande kurzerhand vor einem Krankenhaus abgelegt hätten.

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