Mitten in einer MillionenstadtWie eine Kölner Nonne das Schweigen lernte

Schwester Mirjam Kiechle lebt seit 42 Jahren im Kölner Karmel Maria vom Frieden. Am liebsten wäre sie Einsiedlerin geworden.
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- Als Schwester Mirjam Kiechle vor 42 Jahren in den Orden der Karmelitinnen eintrat, musste sie das Schweigen lernen. Heute könnte sie nicht mehr ohne.
- Obwohl sie mitten in Köln lebt, verbringt sie ihre Zeit am liebsten im ruhigen Klostergarten.
- Welchen Sinn die Stille hat und wie man das Schweigen lernen kann, erklärt sie im Interview.
Köln – Wenn die schwere Klostertür am Karmel für den Frieden hinter einem ins Schloss fällt, dann ist abrupt Ruhe. Nur ein paar Steinwürfe vom Gewusel und Lärm der Severinstraße entfernt, gibt es hier mitten in der Stadt eine Oase der Stille, die wenige kennen. Alles wirkt hier aus der Zeit gefallen. Vom langsamen Gang der Schwestern bis zu den Möbeln: Alles atmet den Geist einer Welt, die sich der Beschleunigung entzogen hat.
Der Lebensentwurf der Karmelitinnen, die hier mitten in der Stadt einen großen Teil ihres Lebens im Gebet und im Schweigen verbringen, wirkt wie ein Kontrast, wie eine Anfrage. Schwester Mirjam lächelt mich mit offenem Blick an und beginnt das Gespräch ganz weltlich mit dem Wetter.
Stille und Schweigen haben angezogen
Sie wirken auf Anhieb nicht wie jemand, für den das Schweigen ein wesentlicher Teil des Lebens ist. Eher wie jemand, der mit Freude kommuniziert. Konnten Sie das von Anfang an, Stille halten?
Ich musste das auch lernen, und anfangs war es schwer. Ich habe nach dem Abitur in Süddeutschland die Biografie von Edith Stein aus Köln gelesen, und das hat bei mir eingeschlagen. Das hat mich so sehr fasziniert, dass ich mich intensiv mit dem Karmel beschäftigt habe und vor 42 Jahren hier eingetreten bin. Obwohl das anfangs schwer war, haben mich die Stille und das Schweigen sehr angezogen.
Was finden Sie persönlich in der Stille?
Ich bin nicht still um der Stille wegen. Für mich als Nonne ist die Stille eine Hilfe. In der Stille kann ich sehr viel abladen. Bestenfalls ist Stille Gebet, in dem ich die Gegenwart Gottes spüren und auch Freundschaft mit Jesus Christus leben kann. Für jemanden, der nicht glaubt, ist das natürlich schwer nachzuvollziehen. Vielleicht könnte man dem erklärend sagen, dass ich in der Stille etwas Übergeordnetem begegnen kann, das größer ist als ich.
Mit der eigenen Person konfrontiert
Auf der Suche nach Stille stößt man fast immer auf Religion. Finde die Stille, dann findest du Gott, heißt es etwa im Zen-Buddhismus. Warum ist die Stille der Kern vieler Religionen?
Im Schweigen, in der Stille kann man, anders als im Lärm und im Alltag, nicht davonlaufen. In der Stille bin ich mit mir selber konfrontiert. Der Sinn der Stille ist, Raum zu schaffen für Wesentliches. Man möchte ja immer etwas tun, darüber definieren wir viel. Aber in der Stille tut man einfach nichts. Stille ist etwas, in dem mein Sein zum Einsatz kommt und nicht mein Machen.
Viele Menschen sehnen sich nach Stille. Manche kommen als Gast für eine Auszeit zu Ihnen ins Kloster. Es erfordert Mut, sich in der Stille mit sich selbst zu konfrontieren. Reisen manche auch ab, weil sie die Stille nicht ertragen?
Das kommt vor. Unsere sechs Zimmer im Gästehaus, wo man sich für eine Auszeit einquartieren kann, werden aber gut angenommen. Es gibt sehr viel Sehnsucht danach, einfach mal dort zu sein, weil meine Umwelt so laut ist und so viel auf mich einstürmt. Aber es kann einfach nicht jeder aushalten, sich selbst zu begegnen. Es gab sogar mal eine Interessentin, die kam morgens und reiste schon am selben Tag abends wieder ab, weil ihr die Decke auf den Kopf gefallen ist. Wir können ja im Alltag immer die Stille unterbrechen: Radio, Fernsehen, Internet. Immer und überall Gedudel. Vor allem jetzt in den Kaufhäusern und auf dem Weihnachtsmarkt. Alle ärgern sich darüber, aber wenn das wegfällt, können das die meisten noch weniger ertragen. Dann steht man einfach nur da. Und was ist dann: Nichts.
Aufmerksamkeit für Details wächst
Ist es nicht schwierig, so ein Lebenskonzept mitten in der Stadt zu leben, wo das andere Leben ständig in Wahrnehmungsnähe ist? Zieht es Sie nicht manchmal raus?
Als junge Schwester fand ich es toll, mal am Neumarkt zum Einkaufen zu gehen. Oder ich bin, wenn mir die Decke auf den Kopf fiel, einfach mal losgerannt. Einmal am Rhein entlang und wieder zurück. Dann ging es wieder. Heute gehe ich nur noch gelegentlich raus. Je älter ich werde, desto weniger habe ich das Bedürfnis, in die Innenstadt zu gehen. Eigentlich nur alle 14 Tage zum Einkaufen oder für Arztbesuche. Ich liebe den großen Klostergarten. Und da ist mir im Laufe der Jahre etwas aufgefallen.
Was denn?
Wie in der Stille die Aufmerksamkeit für Details wächst. Wie ich hier im Garten so meine Runden drehe wie ein Hamster im Rad, entdecke ich plötzlich Dinge, die ich nie vorher gesehen habe: die ersten Veilchen, das Geäst von einem Baum oder die im Herbst fast strahlenden gelben Blätter des Gingkobaumes. Das wäre mir außerhalb des Klosters gar nicht aufgefallen, wenn ich nicht fokussiert wäre. Aber ich gestehe: Im letzten Jahr habe ich doch noch mal probiert, über einen Weihnachtsmarkt zu gehen.
Advent ist eine innere Form
Und, wie war es?
Der blanke Horror. Ich habe eine alte Schwester im Rollstuhl zum Zahnarzt begleitet, in der Nähe vom Dom. Da hatten wir beide die Idee, mal drüberzuschlendern über den Weihnachtsmarkt am Dom. Nach noch nicht einmal der Hälfte der Budenreihen haben wir das Gedudel und das Gedränge nicht mehr ausgehalten und sind umgedreht. Man gewöhnt sich an stillere Räume, so dass man so etwas extremer empfindet. Vielleicht reagiert man da genauso drauf, wie andere umgekehrt reagieren, wenn sie hier bei uns reinkommen. Der Kontrast ist enorm. Vor allem in der Adventszeit, die ich immer weniger mag.
Dabei ist doch der Advent die Zeit für die Sehnsucht...
Und die sorgt dann dafür, dass wir immer noch mehr und noch lauter rennen? Das, was da draußen läuft, hat mit Advent eigentlich nichts zu tun. Advent ist eine innere Form der Vorbereitung auf Weihnachten. Aber dann müsste man natürlich auch Weihnachten anders feiern. Ohne dieses ganze Theater: an jeder Ecke ein Weihnachtsbaum oder eine Krippe. Das ist alles total überladen.
Nachrichten reichen ein Mal pro Tag
Aber das ganze Überladene – vom Lebkuchen bis zur Deko – steht ja auch für eine Sehnsucht. Aber von dem weihnachtlichen Tand sind Sie ja im Kloster befreit.
Gott sei Dank. Wir schenken uns nichts. Aber es gibt Menschen aus Köln und der Region, die uns Schwestern an Weihnachten bedenken. Das ist schön. Wir sind sehr verbunden mit der Stadt und nehmen teil am Stadtleben, auch wenn wir nicht oft rausgehen. Wir informieren uns über Medien täglich über das, was in der Stadt und in der Welt passiert. Wir sind ja nicht zurückgezogen im eigentlichen Sinne, nur weil wir hinter der Klostermauer leben. Wir bekommen viele Gebetsanliegen. Wenn wir Fürbitte leisten, müssen wir doch wissen, was los ist. Aber einmal am Tag Nachrichten reicht. Man muss das ja auch alles verarbeiten können.
Das ist für viele ein zunehmend fremder Gedanke, durch Gebet die Welt verändern zu wollen. Mancher würde das naiv nennen...
Mir ist klar, dass durch mein Gebet kein Krieg aufhört. Aber ich nehme quasi die Welt ins Gebet. Fürbitte ist für mich eine Form, im Geist an Ort und Stelle zu sein. Da draußen ist gerade jemand, der in Not ist. Und ich kann im Gebet bei ihm sein. Es geht nicht um einen Gebetsautomatismus, sondern darum, eine Beziehung herzustellen über die irdische Grenze hinweg. Warum greift Gott nicht ein? Ich weiß es nicht. Aber ich vertraue und hoffe. Mehr geht nicht. Der Mann meiner Cousine ist 54 Jahre alt. Er hat Speiseröhrenkrebs und liegt im Sterben. Der wird nicht wieder gesund. Das Gebet ist eine Möglichkeit, da zu sein. Ich kann nichts machen, aber ich vertraue darauf, dass ihm das hilft.
In der Stadt eine Alternative vorleben
Sie gehören mit ihren 64 Jahren in ihrem 15 Schwestern umfassenden Konvent zu den Jüngeren. Ist es manchmal belastend, gegen das langsame Sterben eines jahrhundertealten, mutigen Lebenskonzepts hier in Köln anzuleben?
Ja, das belastet schon. Und man fragt sich, wie das perspektivisch weitergehen soll. Die großen Räumlichkeiten, die unterhalten werden wollen von einem immer älter werdenden Konvent. Wir leben von unserer Hostienbäckerei und von meiner Kerzenwerkstatt. Das Kloster soll sich ja erhalten von dem, was gearbeitet wird. Und das wird immer schwieriger.
Was würde der Stadt denn fehlen, wenn es den Karmel hier in Köln nicht mehr gäbe?
Wir Karmelitinnen sind immer in der Stadt oder in der Nähe der Stadt angesiedelt. Vielleicht, um gerade in der Stadt eine Alternative vorzuleben und zu zeigen, dass es auch Werte gibt, die nicht so gängig sind. Dass man sein Leben auf etwas setzen kann, das keinen Reichtum einbringt.
Zur Person
Schwester Mirjam Kiechle (64) trat vor 42 Jahren in den Kölner Karmel vom Frieden ein. Die Karmelitinnen leiten ihre Ordensregeln von der Lebensführung der Einsiedler ab, die sich zur Zeit der Ordensgründung um 1150 zur Kontemplation in das israelische Karmel-Gebirge zurückzogen. Sie beschränken ihre Habe auf das Allernötigste und schweigen den größten Teil des Tages. (ari)