Trotz Schimmel und Kakerlaken„Haben das Gefühl, bestraft zu werden“ – Stadt Köln erhöht Mieten für Geflüchtete

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Zu sehen ist ein Raum, in dem sich ein Spind, ein Bett und ein Wäscheständer befinden.

Ein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft in der Kölner Mündelstraße.

Eine Kölner Sozialrechtlerin hält die neue Gebührenordnung der Stadt Köln für rechtswidrig - und integrationsfeindlich. 

Viele Geflüchtete, die arbeiten gehen und in städtischen Unterkünften leben, haben in den vergangenen Wochen drastisch erhöhte Gebührenbescheide erhalten. Zum Beispiel Pieter O.: Ursprünglich zahlte er für sein 14 Quadratmeter großes Zimmer in der Mündelstraße 180 Euro. Küche, Dusche und Toilette teilt sich Pieter mit anderen Bewohnern. Die Decke in der Gemeinschaftsdusche ist verschimmelt, einige der Duschen funktionieren nicht. „Die Heizung fällt immer wieder aus und es gibt Kakerlaken“. sagt Pieter.

Zu sehen sind marode Duschkabinen in einem Raum.

Marode Sammelduschen in der Flüchtlingsunterkunft.

Im Januar erhielt der Mann aus Nigeria ein Schreiben, das ihn ratlos zurückließ: 650 Euro sollte er nun für sein bescheidenes Zimmer zahlen. Der Betrag orientiert sich an der Mietobergrenze für den freien Wohnungsmarkt – „dort würde man allerdings von Mietwucher sprechen“, sagt Gemeindereferentin Marianne Arndt, die in der Mülheimer Flüchtlingshilfe engagiert ist.

Wir haben das Gefühl, dafür bestraft zu werden, dass wir arbeiten. Ich weiß nicht mehr, wie ich bis zum Monatsende meine Rechnungen bezahlen soll
Jarvis, Geflüchteter

Pieter sitzt mit neun anderen Geflüchteten im Besprechungsraum der Willkommensinitiative Mosaik in Mülheim. Männer aus Afghanistan, Somalia, Nigeria und Albanien, die Vollzeit arbeiten – als Lageristen, Verkäufer, in Wäschereien, Fabriken und bei Reinigungsdiensten – und die nicht verstehen, warum sie plötzlich viel mehr für ihr Zimmer oder ihre Wohnung zahlen sollen. „Wir haben das Gefühl, dafür bestraft zu werden, dass wir arbeiten“, sagt Jarvis. „Ich weiß nicht mehr, wie ich bis zum Monatsende meine Rechnungen bezahlen soll.“

Wohnkosten: Familie aus Albanien soll 600 Euro mehr zahlen als bisher

Viele der Männer sehen sich 100 oder 200 Prozent höheren Mietkosten gegenüber, gegen die sie vorläufig nur Widerspruch einlegen können. „Die neue Abrechnung ist wie eine Bombe eingeschlagen“, sagt Jarvis, der als Bäckereifachverkäufer arbeitet, mit vielen Überstunden knapp 2000 Euro netto im Monat verdient – und ab 1. Januar für seine 79 Quadratmeter-Wohnung, in der er mit Frau und vier Kindern lebt, 1450 Euro zahlen soll – statt vorher 850 Euro. Menschen in dem Haus, die weniger Kinder haben, „zahlen deutlich weniger als wir. Werden wir also auch noch dafür bestraft, dass wir vier Kinder haben?“, fragt Jarvis.

Seit dem 1. Januar 2024 gilt für Geflüchtete, die in städtischen Unterkünften leben, eine neue Satzung für Nutzungsgebühren. Die alte Satzung hatte dazu geführt, dass Hunderte Geflüchtete, die arbeiteten, Mahnbescheide erhielten – weil das Jobcenter sich weigerte, die Kosten von bis zu 54 Euro pro Quadratmeter zu übernehmen. 1128 von der Stadt untergebrachte Menschen hatten einen Härtefallantrag stellen müssen, um nicht horrende Unterbringungskosten allein zahlen zu müssen – so sollte eine Familie aus dem Irak 4500 Euro für die Unterbringung in einem Flüchtlingswohnheim zahlen. 

Initiativen wie der Kölner Flüchtlingsrat protestierten gegen die aus ihrer Sicht rechtswidrige Satzung und kündigten Klage an – die Stadt ruderte zurück und setzte nach einem Ratsbeschluss eine neue Satzung auf.

Marianne Arndt berät Geflüchtete im Büro der Willkommensinitiative Mosaik in Mülheim.

Marianne Arndt berät Geflüchtete im Büro der Willkommensinitiative Mosaik in Mülheim.

Die emeritierte Kölner Sozialrechtlerin Dorothee Frings glaubt, dass auch die neue Gebührensatzung der Stadt Köln rechtswidrig ist: „Mieterinnen und Mieter müssen nach dem sogenannten Äquivalenzprinzip einen Gegenwert bekommen, der den Preis für die Unterkunft rechtfertigt“, sagt sie. „Das ist in vielen Fällen bei derart hohen Kosten nicht gegeben.“ Die Stadt orientiere sich bei der Kostenbemessung allein an Mietobergrenzen auf dem freien Wohnungsmarkt, „berücksichtigt aber nicht den Zustand der Unterkünfte“.

Frings hält es für wahrscheinlich, dass „das Verwaltungsgericht darüber entscheiden muss, ob die Stadt Köln ihre Gebührensatzung erneut zurücknehmen muss. Die aktuelle Satzung sei „rein bürokratisch gedacht: es wurde lediglich berücksichtigt, welche Kosten vom Jobcenter übernommen werden können“, sagt Frings. „Was die Satzung für die arbeitenden Geflüchteten bedeutet, wurde nicht bedacht.“

Viele Menschen sollen das Doppelte für ein kleines Zimmer in einem Haus zahlen, wo ohnehin schon keine menschenwürdigen Zustände herrschen
Marianne Arndt, Flüchtlingshelferin

Marianne Arndt und Ottmar Bongartz, die den Geflüchteten helfen, Widerspruch einzulegen oder Anträge auf Wohngeld zu stellen, sprechen von einer „doppelten Bestrafung“ für arbeitende Flüchtlinge: „Viele Menschen sollen das Doppelte für ein kleines Zimmer in einem Haus wie in der Mündelstraße zahlen, wo ohnehin schon keine menschenwürdigen Zustände herrschen“, sagt Arndt. „Da das Gebührennutzungsmodell nicht unter den freien Wohnungsmarkt fällt, glaubt die Stadt Köln, sich das erlauben zu können – das ist ein Skandal“, sagt Bongartz.

Gebührensatzung der Stadt Köln: Flüchtlingshelfer wollen klagen

„Wir wollen eine Musterklage gegen die Stadt Köln anstrengen“, kündigt Arndt an. Auf dem freien Wohnungsmarkt dürfen Mieten binnen drei Jahren lediglich um 20 Prozent erhöht werden – wie will die Stadt Köln begründen, für viele Menschen die Nutzungsgebühren nun um 100 oder 200 Prozent zu erhöhen?“ Die Mietobergrenze sei zudem „eine bewusste Diskriminierung von Großfamilien – dadurch wird Integration aktiv behindert.“

Die Stadt Köln ist der Ansicht, dass die Verhältnismäßigkeit bei Warmmieten von 19 Euro pro Quadratmeter für Wohnungen, 27,70 Euro bei Systembauten und 29,50 Euro bei Wohncontainern gewährleistet sei. Den Geflüchteten werde Wohnraum zur Verfügung gestellt, „der ansonsten nicht vorhanden wäre“, heißt es auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zur Begründung.

Befristet errichtete Systembauten und Container seien „für die Stadt Köln mit hohen Bau-, Errichtungs- und Anmietkosten verbunden, die sich aufgrund allgemeiner Preisentwicklungen in letzter Zeit noch gesteigert haben“. 67 Widersprüche gegen die stark erhöhten Unterbringungskosten seien bislang eingegangen. 

„Wir haben vorher schon jeden Euro durchgerechnet, um genug Geld bis zum Ende des Monats zu haben“, sagt Jarvis. 3100 Euro habe er mit Kindergeld und allen Zuschüssen für seine sechsköpfige Familie pro Monat zu Verfügung. „Ich kann nicht fast die Hälfte davon für die Wohnung zahlen.“ Die Familie muss nun Wohngeld beantragen – „bis zur ersten Auszahlung kann es ein halbes Jahr dauern“, sagt Marianne Arndt. 

Die neue Gebührenordnung ist vielleicht gut gemeint, aber leider sehr schlecht gemacht
Marianne Arndt, Flüchtlingshelferin

Dass Familien für die gleiche Wohnung deutlich mehr zahlen müssen als Paare oder Alleinstehende, liege an „der Konstruktion der Mietobergrenze“, teilt die Stadt Köln mit. Das sei jedoch, „kein Problem, da Jobcenter bzw. Sozialamt sich bei ihrer Erstattung auch an dieser Mietobergrenze orientieren. Eine Familie wird dadurch nicht schlechter gestellt.“ Für Familien wie jene von Jarvis, die bislang keine Transferleistungen erhalten, ist das indes sehr wohl ein Problem.

Manche Geflüchtete müssen wegen der gestiegenen Wohnkosten nun auch Sozialleistungen beantragen – „wodurch sie – obwohl sie arbeiten und sich integrieren – ihre Wartezeit auf einen deutschen Pass verlängern“, so Arndt. „Die neue Gebührenordnung ist vielleicht gut gemeint, aber leider sehr schlecht gemacht.“

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