Clubbetreiber über Open-Air„Köln hat eine unterentwickelte Toleranz für Lärm“

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Stefan Bohne im Biergarten des Artheater

  • Stefan Bohne vom Artheater in Ehrenfeld spricht im Interview über einen Start zwischen Euphorie und starren Regeln und der Öffnungsperspektive für Clubs im September.

Köln – Herr Bohne, wie lief der Start der Open-Air-Saison im Biergarten des Artheater in Ehrenfeld?

Stefan Bohne: Das war schon irre. Auch eine Überbelastung, diese Regeln umzusetzen. Zunächst galten die Auflagen für die Inzidenz zwischen 100 bis 50. In der Eröffnungswoche fiel der Wert unter 50. Gleichzeitig haben wir uns also auf den Wechsel vorbereitet. Trotz aller Hektik war es natürlich schön, so viele Menschen wiederzusehen, wobei es auch surreal war. Jeden Tag reichte eine Stunde vor Öffnung die Schlange bis zur Bartholomäus-Schink-Straße. Wir konnten die Leute natürlich nicht alle reinlassen, mussten sie darauf aufmerksam machen, Distanz zu halten.

Eine lustige Truppe, Artheater-Stammgäste, stand mehrere Stunden vor dem Tor, ich bin dann immer wieder raus und habe mich entschuldigt. Nach 4,5 Stunden kamen sie dann auch endlich rein und haben gejohlt. Die Stimmung war unglaublich.

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Was war besonders herausfordernd?

Es durften zwei Haushalte zusammenkommen. Mittlerweile sind es zehn Personen aus drei Haushalten. Das nachzuvollziehen, war extrem schwierig, da muss man nämlich Adressenvergleiche durchführen. Wir hatten drei Leute nur am Einlass, die kontrolliert haben. Dann mussten Impfungen kontrolliert werden. Pässe oder Zertifikate. Genesene zu kontrollieren ist ganz schwierig. Das funktioniert nämlich über PCR-Test, da muss man nach dem Datum schauen. Da wir eine zertifizierte Teststation sind, haben wir denen einfach geraten, sich eben testen zu lassen.

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Der Biergarten im Artheater

Wie war das für die DJs nach all der Zeit wieder Musik aufzulegen?

Alle DJs waren hochgerührt und haben ausgeatmet. Endlich mal wieder eine musikalische Kommunikation mit Menschen und ein gemeinsames Erleben in irgendeiner Form. Der erste, der aufgelegt hat, war extrem verunsichert. Er fand die Schlange beängstigend. Er hatte etwas vorbereitet, wusste aber nicht, ob er das so spielen soll. Wie verbinde ich mich mit den Leuten? Die Plätze sind fixiert, es gibt ja nicht diese organischen Bewegungen wie beim Tanzen. Außerdem: Es war der erste Tag, man weiß nicht wie die Leute drauf sind. Dann war es sehr schön. Beim Applaus am Ende wurde er kalkweiß, er hat ohnehin die ganze Zeit kaum aufgeschaut.

Bohne plädiert für kontrollierte Veranstaltungen auf Außenflächen in Köln

Kaum war die Hitze da, waren die Partyhotspots in Köln sofort voll. Die Stadt verzichtet aber darauf, die Maßnahmen zu verschärfen. Wie finden Sie das?

Gut, weil das Sperren solcher „Ballungsräume“ in Städten nur zur Verlagerung der Mengen und zu Verstärkung von Antihaltung und Frust führen würde. Da sollte eher mit Moderation vorgegangen werden. Zudem muss die Immunisierung der Gesellschaft durch Impfungen endlich vorangetrieben werden, das hilft mehr als weiter zu beschneiden.

Spricht das nicht eigentlich dafür, mehr Außenflächen zur Verfügung zu haben, auf denen kontrolliert etwas veranstaltet werden kann? Berlin etwa stellt im August über die Bezirke verteilt zehn Flächen bereit, auf denen mit Hygienekonzept getanzt werden darf. Ist das in Köln vorstellbar?

Vorstellen können wir uns das schon, wir fragen ja auch schon seit Monaten danach. Eine Idee ist zum Beispiel, sich mit anderen Clubs zusammenzutun und ein Konzept einzureichen. Wir könnten als Artheater zwei Mal im Monat auf einem gemeinsamen Nutzungsareal mit einem Stand und einer Bühne vertreten sein und ein Tanzspecial organisieren.

Wo wäre denn so ein gemeinsames Nutzungsareal?

Wir haben schon Vorschläge mit anderen Veranstaltern eingereicht: Brachliegende Flächen etwa in Mülheim, wo Bebauungspläne da sind, die aber noch nicht umgesetzt sind. Industrielle Flächen, deren Status unklar ist, mit guter Nähe zu Straße oder Bahn. Köln wächst nach innen, verdichtet sich, daher haben wir weniger Flächen als in Berlin. Und eine etwas unterentwickeltere Toleranz, was Lärm angeht. Es reicht ein Beschwerdeführer, damit zu einer bestimmen Uhrzeit Schluss ist. Wir würden zum Beispiel auch in gemeinsamer Verantwortung den Blücherpark aktivieren. Aber auch das ist schwierig, obwohl wir da mit dem Odonien früher um 21, 22 Uhr Schluss gemacht und die Wiese anschließend sauber gemacht haben.

Wir bekommen aber keine Reaktionen. Auch keine Alternativvorschläge. Wir kriegen immer nur Neins von der Stadt zu hören. In Berlin haben die gleich einen Wettbewerb daraus gemacht.

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Zum ersten Mal seit der Pandemie ist für die Clubs eine Perspektive formuliert worden. Ab dem 1.9. soll ein Öffnen unter Auflagen möglich sein. Welche Auflagen sind damit gemeint und wie realistisch ist das?

Das war meine große Frage, als ich die Meldung zum ersten Mal las. In den verschiedenen Verbänden und in NRW haben wir darüber schnell diskutiert. Es ist sehr pauschal formuliert. Da ist von „möglicher Öffnung“ die Rede. Die Regeln sollen den jeweiligen Inzidenzstufen entsprechen, aber diese sind wiederum auch nicht konkret, was die Musikclubs anbelangt. Tanzen war bisher ja immer ausgenommen gewesen. Ein Szenario für Indoor gibt es gar nicht: wie z. B. das Schachbrettmuster in Kinos oder Theatern oder Bestuhlungskonzepte bei Veranstaltungen, Betischungspläne für Restaurants oder Außenbereiche. Das hat mich also sehr stutzig gemacht, denn: Das ist keine Perspektive. Es ist eine Aussage, die mir vorkam, als ob man damit die Gemüter beruhigen wollte.

Zur Person und zum Club

Stefan Bohne (56) ist gebürtig aus Hannover und betreibt seit 22 Jahren gemeinsam mit Bernd Rehse  den Club Artheater in Ehrenfeld. Bohne hat Schauspiel in Wien studiert sowie an diversen Theatern gespielt. Zudem ist er in verschiedenen Interessenvertretungen aktiv: Er war Gründungsmitglied der Kölner Klubkomm sowie der Livekomm, dem Verband für Live-Musikstätten und ist aktuell Vorstandsmitglied der LINA, dem neuen Verband der im Bereich Konzerte, Club- und Musikveranstaltungen Tätigen in NRW.

Rehse ist wie Bohne ebenfalls Schauspieler. Beide stehen hier sonst auch auf der Bühne, auf der normalerweise auch Theater und Kleinkunst stattfinden. Musikalisch bewegt sich der Club im elektronischen Bereich. (gam)

Niedersachen hat vergangenes Wochenende die Clubs geöffnet, weil dort die Inzidenz stabil unter 35 liegt.

Ja, mit 50 Prozent der Kapazität, negativem Test und Maskenpflicht. Im Stufenplan NRW gibt es aber keine Regel für das Tanzen im Inneren. Wir müssen uns klar werden, unter welchen Umständen wir Clubs sinnvoll öffnen können. In Hannover haben nicht alle Clubs mitgemacht. Für viele machte das keinen Sinn. Niedersachsen hofft nun auf das Verantwortungsbewusstsein der Gäste. Wie soll man denn kontrollieren? Mit einer Kohorte von Security hingehen und sagen, geht auseinander, tanzt nicht zu eng? Das ist doch Wahnsinn. Mal abgesehen davon, dass die mit den Masken irgendwann Erstickungsanfälle bekommen könnten, bei der Hitze und wenn man schwitzt. Man bräuchte dann Unmengen an Personal, um alles sicherzustellen.

Könnten Sie denn unter diesen Voraussetzungen Ihren Betrieb hochfahren?

Im Basement hier würde trotz 50-Prozent-Auslastung Atmosphäre entstehen. Anders wären 50 Prozent im ganzen Haus verteilt: Also Saal, Bar und Keller. Da würden sich die Leute verlieren. Aber im Keller ja, das würde funktionieren, das ließe sich gut kontrollieren. 

Ist Ihnen die Lust am Nachtleben vergangen?

Wir waren zwar alle müde nach dem letzten Wochenende und sind es nicht mehr gewohnt, aber mir fehlt diese Kultur. Das gemeinsame Rezipieren von Musik in einer emotionalen Situation, in der sich irgendwer neben einem befindet und der sich genauso über einen musikalischen Impuls freut. Egal aus welcher Ethnie, egal welche Gender-Grenzen da sein können. Man kann das sehr gut über Bord schmeißen und Dinge erleben, die man sich vorher nicht ausdenken kann. Seit es gar nicht mehr möglich ist, merke ich, wie sich auch in meinem Verhalten Distanzen eingeschlichen haben, die ich eigentlich nicht mag.

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