„Hauptsache, nicht zurück ins Gefängnis“Therapie statt Strafe – junge Süchtige bekommen die Chance auf ein neues Leben

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Drei Männer schauen aus dem Fenster.

Manuel, Peter und Jupp absolvieren eine Drogentherapie.

Der Sozialdienst Katholischer Männer Köln betreibt die Fachklinik Tauwetter. Drei Männer erzählen ihre Geschichten.

Peter hat ADHS. Wie er seine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung bekämpfen kann, spürt er schon früh. Als Peter zum ersten Mal Cannabis raucht, ist er acht Jahre alt. „Das hat mich ruhiger gemacht“, sagt der 31-Jährige. Später kommen dann Alkohol und Amphetamine dazu, Peter mutiert zum Gewalttäter. „Bei dieser Mischung bin ich explodiert.“

Peters Karriere endet wie die von Jupp und Manuel: Wegen diverser Straftaten infolge ihrer Drogensucht werden sie zu Freiheitsstrafen verurteilt. Doch die Richter wenden den „35er“ an. Es ist der Paragraf im Betäubungsmittelgesetz, der den Verurteilten die Chance für ein neues Leben bietet: Therapie statt Strafe.

Drogenabhängige Täter ins Gefängnis zu schicken, die danach erneut durch Beschaffungskriminalität vor Gericht stehen, ist ein Kreislauf, den auch die Justiz unterbinden möchte. Daher kann die Strafe nach erfolgreicher Therapie zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Strafe oder der noch zu verbüßende Strafrest darf jedoch nicht höher als zwei Jahre sein. Aber: Es können mehrere Strafen gleichzeitig zurückgestellt werden, wenn jede einzelne maximal zwei Jahre beträgt.

Drogentherapie in der Fachklinik Tauwetter in Bornheim

Peter, Manuel, und Jupp (alle Namen geändert) sind so genannte Rehabilitanden und absolvieren ihre Therapie in der Fachklinik Tauwetter in Bornheim. Träger ist der Sozialdienst Katholischer Männer in Köln. Oberstes Ziel ist neben der Abstinenz die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, um später einmal ein Leben führen zu können, das im Volksmund als „geregelt“ bezeichnet wird. Dazu zählt unter anderem auch eine Arbeitstherapie. Peter etwa ist in Hauswirtschaft tätig und unter anderem für die Wäsche zuständig. Zudem gib es auf dem 45.000 Quadratmeter großen Klinik-Areal im Grünen eine Schreinerei, Gärtnerei, einen Küchenbereich und Sportplätze.

Das Gelände wirkt geradezu idyllisch, Herzstück ist eine historische Villa. Doch in den Räumen geht es schon mal „ans Eingemachte“, wie Manuel sagt. Geschäftsführer Norbert Teutenberg formuliert es so: „Wir haben es teilweise mit Leuten zu tun, die noch nie gearbeitet haben, die aus ganz prekären Verhältnissen stammen.“

Blick in eine Schreinerei.

Eine Schreinerei ist der Ort für eine Arbeitstherapie.

Die Klientel ist verschieden. Nur einige Rehabilitanden sind aufgrund des Paragrafen 35 vor Ort. „Mit einer Abhängigkeitserkrankung stehen oftmals weitere Störungsbilder und Beschwerden in Verbindung“, sagt Henriette Ruppel, ärztliche Leiterin der Einrichtung. „Psychosen, Angststörungen, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen etwa.“

Oftmals seien durch die Sucht auch Gewalterfahrungen nicht ausgeblieben. 40 Therapieplätze gibt es, ein Team von etwa 20 Mitarbeitenden, darunter Fachärzte, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter und Suchttherapeuten, kümmern sich um die individuellen Ziele der Rehabilitanden. Bis zu sechs Monate kann eine Therapie dauern.

Kölner gerät durch Telefonüberwachung ins Visier der Ermittler

Für Manuel ist es die Zeit, die er einfach nutzen muss, wie er sagt: „Da steht so viel auf dem Spiel. Entweder ich verkack's komplett und muss zurück in den Knast, oder ich krieg' die Kurve.“ Dann spricht er über seine Halle im Kölner Süden, wo er später eine Werkstatt aufmachen könnte. Manuel hat eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker absolviert. Aber parallel dazu begann er zu kiffen, dann kamen Kokain, Raubüberfälle und Einbrüche, um die Drogen finanzieren zu können. „Irgendwann habe ich angefangen zu dealen, ich bin in der Szene immer größer geworden“, sagt der 29-Jährige.

Durch eine Telefonüberwachung eines anderen Verdächtigen geriet auch Manuel ins Visier der Ermittler. Zwei Jahre ohne Bewährung lautete das Urteil. „Ich habe einfach nichts aus meinen zwei Bewährungsstrafen zuvor gelernt“, weiß Manuel heute. „Die Droge war wichtiger. Wenn du drauf bist, steht die Droge über allem.“

Selbst seine Familie war ihm nichts mehr wert. Wenn Manuel erzählt - über seine sieben Geschwister, seine Mutter, die ausgewandert ist und seinen Vater, der schwer krank ist - dann passt das nicht zu dem Bild, das man aufgrund der Ermittlungsakten der Polizei von ihm haben könnte.


Drogenreport 2023 – Alle Folgen der Serie


Manuel möchte jetzt eine Stütze für seine Familie sein. Das hat auch Jupp vor. Der 28-jährige Kölner hat eine einjährige Tochter. Auch er startete seine Drogenkarriere mit Cannabis, Jugendstrafen wegen Körperverletzungen oder räuberischer Erpressung wurden zur Bewährung ausgesetzt. Jupp arbeitete als Kellner in Köln, trotzdem konsumierte er weiterhin Cannabis und Amphetamine. „Als ich dann arbeitslos wurde, hat das Geld gefehlt. So bin ich zum Drogenverkauf gekommen. Naja, und so fing das wieder an.“

Henriette Ruppel und Norbert Teutenberg stehen vor der Fachklinik Tauwetter.

Henriette Ruppel und Norbert Teutenberg sind in der Fachklinik Tauwetter in leitender Funktion.

Zwei bis dreimal die Woche trifft Jupp seine Familie. Vor allem, wenn er seine Tochter sieht, sagt er, wisse er, was auf dem Spiel stehe. Dass die Drogen Auslöser für Vieles sind, sei Fakt. Sich jedoch deshalb in die Opferrolle zu begeben, führe zu nichts, betont Tauwetter-Geschäftsführer Norbert Teutenberg. „Trotz alledem bleibe ich dafür verantwortlich, was ich tue und muss mich dem stellen.“ Genau das falle vielen in einer Therapie schwer. „Die Haltung, ich hatte ein schwieriges Leben, und alle anderen sind schuld, ist relativ einfach. Aber zu schauen, was mein Teil der Verantwortung dabei ist, und wie ich zukünftig damit umgehe, erfordert einiges.“

Seine Kollegin Henriette Ruppel verdeutlicht die Komplexität: „Eine Suchterkrankung steht eigentlich nie alleine.“ Es gebe kaum eine Erkrankung ohne Konsum und umgekehrt.

Warum Tauwetter-Geschäftsführer Teutenberg das Wort „Junkie“ nicht mag

Daher stört sich nicht nur Teutenberg an dem Wort „Junkie“, wie Drogenabhängige oft bezeichnet werden. „Ich möchte einen Menschen nicht als Müll sehen. Nein, das sind teilweise hoch kreative Menschen. Sie haben Fähigkeiten, die wir nur neu entdecken müssen, um sie dann in vernünftige Bahnen zu lenken.“

Mehr als 50 Prozent der Rehabilitanden beenden die Therapie regulär. Wie hoch die Rückfallquote ist, wissen Teutenberg und sein Team nicht, da sie nicht darüber informiert werden, wenn es Rückfälle gibt. Teutenberg: „Wir bekommen aber von denen, die es geschafft haben, oftmals Besuche oder Briefe.“

Bis dahin haben Peter, Manuel und Jupp noch einen langen Weg vor sich. „Hauptsache, nicht zurück ins Gefängnis“, lautet ihr Motto. Schließlich sei die Rückfallgefahr dort groß. „Natürlich gibt es Drogen im Knast“, sagt Peter. Die seien nur – wie alles hinter Gittern – wesentlich teurer. Es gebe JVA-Beschäftigte, die bestechlich seien. „Man entwickelt mit der Zeit eine Sympathie zu den Beamten. Das ist ja nur menschlich.“

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