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Menschen ohne KrankenversicherungTrotz Zusage aus Politik wurde 2025 noch kein Anonymer Krankenschein ausgestellt

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann schläft in der Nähe des Hauptbahnhofs in einer Unterführung.

162 Menschen sind 2024 mithilfe eines Anonymen Krankenscheins medizinisch versorgt worden, 2025 noch niemand (Symbolbild).

Nach langer Hängepartie schien die Zukunft des Anonymen Krankenscheins gesichert. Doch noch immer ist das Geld nicht da. Viele Verbände schlagen Alarm. Wie kann das sein?

Annette de Fallois kann von zahlreichen tragischen Schicksalen berichten, die durch das Fehlen des Anonymen Krankenscheins (AKS) dramatisch verschlimmert werden: „Da ist zum Beispiel eine 62-jährige Frau mit Magenkarzinom. Ohne den AKS kann sie gerade nicht weiter behandelt werden.“ Die Konsequenz, so die Leiterin des Fachdienstes für Migration des Diakonischen Werks: „Die Frau wird früher sterben, als sie müsste.“

Eigentlich schien die Zukunft des Anonymen Krankenscheins (AKS) nach einer langen Hängepartie gesichert. Durch den Schein können Menschen ohne Krankenversicherung ambulant oder stationär an Experten überwiesen werden, auch Rezepte für teure Medikamente können so ausgestellt werden. Weil die Stadt Köln sparen musste, stand auch der AKS vor dem Aus. Ende 2024 entschied sich das Ratsbündnis aus CDU, Grünen und Volt nach viel Protest und Berichten, unter anderem im „Kölner Stadt-Anzeiger“, um und sagte dem Projekt Ende 2024 rund 700.000 Euro zu. Nur: Angekommen ist das Geld noch nicht.

Geld wurde schon Ende 2024 zugesagt

„Wir sind sehr besorgt und verunsichert, was die Zukunft des AKS angeht“, sagt auch Heinrich Flammang, Mitglied des Arbeitskreises AKS und ehrenamtlicher Arzt bei der „Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung“. „Seit Anfang des Jahres können wir keine Überweisungen ausstellen und müssen unsere Patienten vertrösten.“ Dabei war die Hoffnung Ende des Jahres noch groß, dass es anderes kommen würde. „Nach der Berichterstattung und den Protesten gegen das Ende des AKS hatten wir das Gefühl, dass sich etwas tut, dass wir auf einem guten Weg sind. Dies Gefühl ist jetzt wieder weg. Wir sitzen noch immer auf dem Trockenen.“ Er appelliert an Politik und Verwaltung: „Bleibt bei eurem Wort!“

22.05.2025
Köln:
Trotz Zusagen soll 2024 noch immer kein Geld für den Anonymen Krankenschein geflossen sein. Ehrenamtliche von u.a. Diakonie und Malteser berichten, was das für Konsequenzen hat. 
Dr. Heinrich Flammang (Malteser), Annette de Fallois (Diakonie Köln) , Silvio Vander (Rom e.V.), Birte Lange (Kölner Flüchtlingsrat), Shaghayegh Zafari (agisra e.V.)
mgoyert@web.de

Dr. Heinrich Flammang (Malteser), Annette de Fallois (Diakonie Köln), Silvio Vander (Rom e.V.), Birte Lange (Kölner Flüchtlingsrat), Shaghayegh Zafari (Agisra e.V.) (v.l.) sorgen sich um die Zukunft des AKS.

Annette de Fallois zählt auf: „Allein im vergangenen Jahr haben wir 277 AKS an 162 Personen ausgestellt.“ Für sie, wie für alle anderen Mitglieder des Arbeitskreises ist der AKS eine Erfolgsgeschichte – zumal mit einem vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand: „Wir konnten nicht nur vielen Menschen in akuten Notfällen helfen, sondern auch viele den Weg zurück in die Regelversorgung lotsen.“

277 Anonyme Krankenscheine im vergangenen Jahr ausgestellt

Zwar habe es aus Politik und Verwaltung immer wieder positive Signale gegeben, dass es weitergehen würde mit dem AKS, „aber trotz allem warten wir noch immer auf das Geld“. Und das hat Konsequenzen, wie de Fallois schildert: „Wir haben Menschen, die mit HIV infiziert sind und mit Medikamenten eigentlich symptomfrei leben könnten. Weil sie aktuell aber keine erhalten können, werden sie teilweise wieder infektiös.“ Wie kann das sein?

„Zwar hat der Rat Ende 2024 per Dringlichkeitsantrag entschieden, Geld für den AKS bereitzustellen“, sagt Birte Lange, stellvertretende Geschäftsführerin des Kölner Flüchtlingsrates. „Doch war das Geld zunächst für das noch laufende Jahr 2024 ausgewiesen.“ Weil es aber bis Ende des Jahres bei weitem noch nicht ausgeschöpft worden war, sollte es dann auf das Jahr 2025 übertragen werden, so die Idee. „Doch dann hieß es, das könne erst passieren, wenn auch der Haushalt verabschiedet und genehmigt worden ist.“ Tatsächlich verzögerte sich die Verabschiedung des Haushalts 2025/26, unter anderem weil lange darüber gestritten wurde, wo und wie viel die Stadt einsparen muss. Nach zähem Ringen genehmigte die Bezirksregierung den Haushaltsplan letztendlich Anfang April. Für das Jahr 2026 sind dort 500.000 Euro für den AKS vorgesehen. Doch das Geld für dieses Jahr ist noch immer nicht übertragen – was Birte Lange und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht nachvollziehen können.

Immerhin: Am Freitag gab es die lang ersehnte Nachricht der Stadt. Schon in der kommenden Woche sollen Finanzausschuss und Rat die Übertragung der Mittel genehmigen und die Zukunft des AKS bis Ende 2026 final sichern, ein entsprechender Ratsbeschluss soll am 27. Mai verabschiedet werden.

Flammang und seine Kolleginnen und Kollegen hoffen, dass sie ihren Patientinnen und Patienten dann endlich wieder mit dem Krankenschein helfen können. So ganz glauben sie aber wohl erst daran, wenn es wirklich so weit ist.