Widdersdorfer Straße bis DomNeugierige Wohngemeinschaften und kölsche Italiener

Lesezeit 5 Minuten
Aldo Capua und seiner Frau Hannelore verbringen viel Zeit mit Urenkelin Marie vor dem Haus auf ihrem kleinen Bänkchen.

Aldo Capua und seiner Frau Hannelore verbringen viel Zeit mit Urenkelin Marie vor dem Haus auf ihrem kleinen Bänkchen.

Köln – Ein Mann, seine Bank und die Straße. Aldo Capua (70), der kölscheste Italiener oder italienischste Kölsche der Stadt – je nach Standpunkt, ist der Herr über die Widdersdorfer Straße. Er sitzt jeden Tag auf seinem Bänkchen vor dem Haus, nahe dem Bistro Pütz. „Wie in Italien eben“, sagt er. Die Aussicht ist dort in Ehrenfeld aber eindeutig schlechter. Keine malerischen Hügel oder steile Weinberge. Capua schaut jeden Tag auf vorbei rasende Autos, grobe Industriegebäude und verwilderte Brachflächen.

Mit seiner Frau Hannelore (60) und der kleinen Urenkelin Marie (1) genießt er trotzdem die Sonne und seinen Kaffee. Jeder, der vorbeigeht, scheint ihn zu kennen – er grüßt zurück. Zu Beginn ist der rüstige Mann sehr wortkarg, lässt seine Frau reden. Mit der Zeit scheint er Vertrauen zu fassen. „Im August bin ich 50 Jahre in Deutschland, und ich bin mit Leib und Seele Kölner“, erzählt er. Früher hat er beim Grünflächenamt gearbeitet, daher hat er auch seine heiß geliebte Bank.

Doch Capua ist nicht die erste Begegnung auf dem sechs Kilometer langen Fußweg von der Kreuzung Widdersdorfer Straße/Vitalisstraße in Müngersdorf zum Dom. Um 9 Uhr, zu Beginn der Wanderung, haben Nicole Zitzen und ihre Stieftochter Loredana Mai gerade einen Großeinkauf beim Bäcker auf der Vitalisstraße hinter sich. „Wir frühstücken gleich erstmal“, sagt Zitzen. Beide Frauen sind noch halb im Schlafanzug, sie wohnen gleich um die Ecke von der Bäckerei. Ein Expertengespräch über bunte Haarfarben entbrennt, braun und blond ist ihnen zu langweilig: Ob man die grauen Haare von Vater Mai, der bei der Post arbeitet, nicht sehr gut schwarz und gelb färben könnte? Eben wegen der Post? Ein guter Auftakt.

Die Widdersdorfer Straße - Grau, trist und zäh

Weiter geht es die Widdersdorfer Straße entlang. Grau, trist und zäh. Ein Dauerrauschen der Autokolonnen in den Ohren. Ein starker Kontrast zu den farbenfrohen Frauen von vorher. Über den Baumarkt-Parkplatz geht es in Richtung Vogelsangerstraße weiter. Links und rechts liegen verlassene Grundstücke, Graffiti an allen Häusern, ein schmutziges Hotel.

Es ist kurz nach 10 Uhr. Ein neugierig Blick in den Außenbereich des Underground-Clubs zeigt: Es ist noch niemand da. Durch einen zufälligen Schritt weiter taucht ein großes Tor im Hinterhof auf. Salvatores Schrauberhalle. Da ist auf jeden Fall schon jemand wach. Namensgeber Salvatore Nicoletti (37) taucht auf. Der Tag steht offenbar ganz im Zeichen der Italiener. Für Nicoletti hat er aber sehr schlecht angefangen. „Heute morgen habe ich die Kündigung für meine KFZ-Werkstatt bekommen. Das war schon lange klar, aber jetzt ist es offiziell.“ Seit 13 Jahren schraubt er tagsüber neben dem Club und trinkt dort zum Feierabend mal ein Bierchen. „Ich habe zehn Makler im Einsatz. Bisher hat mir keiner eine neue Halle anbieten können“, erzählt er enttäuscht. Der angrenzende Club soll auch weg. Aber der gebürtige Italiener ist optimistisch.

Auf dem angrenzenden Parkplatz hinter dem Club, zwischen Bauzäunen, Industrieschrott und Mülltonnen, sitzt Garry Sharpe in einem Van und hört Musik. Er ist Tour-Manager der Metalcore-Band „Between The Buried And Me“ aus den USA, die am Abend im Underground auftreten. Sharpe sieht noch ziemlich verschlafen aus. „Wir sind heute Nacht erst angekommen“, sagt er auf Englisch. Er ist zum zehnten Mal in Köln. „Ich habe es zumindest geschafft, mir den Dom anzuschauen. Oben war ich noch nicht.“ Und gefrühstückt hat er auch noch nicht. „Der Pizza-Imbiss, der hier stand, wurde abgerissen. Wo soll ich denn hin?“ Sein Kollege Andy Tawnserd, der Gitarren-Techniker der Band, hat schon gegessen. Eis und Bier, sagt er und grinst.

Weiter auf der Vogelsanger Straße

Die Vogelsanger Straße weiter runter, vorbei an kleinen Geschäften und Cafés, sitzt Marika auf der Fensterbank ihrer WG im Erdgeschoss. Nackte Füße, gerade aufgestanden, mit einem Kaffee neben sich. Innen steht Bastian Siebenmorgen, ein Freund und Dauergast in der WG, und raucht. Die beiden scheinen sich über die Gesellschaft zu freuen. „Wir sitzen oft hier und sprechen mit den Leuten, die vorbeikommen.“ Dann stelle sie Fragen, die sie selbst nicht beantworten könne. Beispielsweise: Wer war der erste Kaiser? Stören tue es sie nicht, dass sie direkt an der Straße seien. „Ich bekomme hier viel mit. Manchmal kommt ein Mann vorbei, der gibt uns Süßigkeiten aus seinem Stoffbeutel. Wir nennen ihn nur den Candy-Man“, erzählt sie lachend. Irgendwann möchte sie die ganze Nachbarschaft kennen. Mit dieser Begegnung im Kopf geht es weiter auf dem Weg zum Dom.

Weiter durch den Inneren Grüngürtel. Vorbei an Basketball spielenden Studenten, dem Beton-Tennisplatz und fleißig rasenmähenden Stadt-Mitarbeitern. Immer weiter. An der Burgmauer entlang, mit Blickkontakt zum Ziel, geht es durch die Heerscharen von kamerabehängten Touristen auf die Domplatte. Es windet, wie so oft. Viele potenzielle Gesprächspartner – die Auswahl reduziert sich aber von allein. Die meisten sind mit unterschiedlichen Formen der Selbstdarstellung beschäftigt. Scheinbar unbeteiligt an der Szenerie sitzt Rikscha-Fahrer Dieter Reitz in seinem Gefährt und blickt hinauf. Wer könnte besser etwas über das geliebte Wahrzeichen der Kölner erzählen als jemand, der es jeden Tag sieht – und das seit zehn Jahren? „Der Dom hat eine ganz besondere Energie. Aber für die meisten Touristen ist er nur eine Kulisse. Im Prinzip fotografieren sie nur sich selbst und beachten dem Dom gar nicht. Das ist traurig.“ Er liebt seinen Job, aber was er währenddessen beobachtet, ist schrecklich für ihn. Um den Dom werde es immer aggressiver, lauter und dreckiger. Er freue sich trotzdem immer wieder, ihn zu sehen.

KStA abonnieren