Kleingärten in KölnWie Schrebergärten boomen und das Klima schützen

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Überholtes Symbol des Kleingartens oder tatsächlich häufig noch Gartenwächter? Der Gartenzwerg.

  • Schrebergärten galten lange als Inbegriff der Spießigkeit und Kleinbürgertums.
  • Doch 100 Jahre nach der Gründung des Kölner Verbands boomt das Urban Gardening.
  • Junge Familien machen bereits jetzt 45 Prozent der Pächter aus.
  • Wie hat sich die Kleingartenanlage gewandelt? Wie helfen sie dem Klima? Eine Analyse.

Köln – Kleingärtner galten vor einigen Jahren noch als Inbegriff deutscher Spießigkeit. Abgezirkelte Hecken, flatternde Deutschlandfahnen, Gartenzwerge und perfekt frisierte Rasenflächen waren die gängigen Klischees. Der Schrebergarten als Hort der Beständigkeit, wo Nachbarn schon seit Generationen mal mehr, mal weniger einträchtig nebeneinander gärtnern. Eine geschlossene Welt mit Vereinszugehörigkeit und eben unterm Strich eher etwas für Rentner.

Heute aber – 100 Jahre nach der Gründung des Kreisverbandes Kölner Gartenfreunde – boomt in Köln und Umgebung das Kleingartenwesen: Gärtnern in der Stadt auf der eigenen Scholle ist Kult geworden. Und zu den Geranien und Rosen gesellen sich Disteln und Malven, weil die viel insektenfreundlicher sind.

„In den Anfängen – vor allem während der Kriege und in der Nachkriegszeit – ging es den Kleingärtnern vor allem um Selbstversorgung. Später dann um Naherholung. Heute geht es zunehmend um die ökologischen Aspekte der Gärten“, umreißt Michael Franssen, Vorstandsvorsitzender des Kreisverbandes, den Wandel. 50.000 Kölner gärtnern in den 115 Kölner Kleingartenvereinen. Bundesweit sind es fünf Millionen Bürger, die sich regelmäßig in städtischen Kleingärten aufhalten.

45 Prozent der Pächter sind bereits junge Familien

Dabei hat sich die Gruppe der Schrebergärtner deutlich verändert: Immer mehr Pächter sind junge Familien – inzwischen machen sie in Köln 45 Prozent aus. Die Kleingärtner sind nicht nur deutlich jünger und die Wildblumenwiesen zahlreicher geworden, sondern auch multikultureller. Nicht nur in der Vorzeigeanlage „Vor St. Gereon e.V.“, wo Deutsche, Inder, Türken, Polen, Russen, Spanier, Iraner und Italiener Gartenzaun an Gartenzaun harken. 100 Nationen pflanzen und graben in Köln und haben die ganze Bewegung wie nebenbei zum Freiluft-Integrationsprojekt gemacht.

Während noch vor zehn Jahren die Parzellen bisweilen schwer zu vermitteln waren, „gibt es heute quasi keinen Leerstand mehr“, sagt Franssen. Dabei gilt: je innenstadtnäher, desto begehrter sind die Parzellen. Innenstädtische Schrebergärten wie die des Vereins Flora e.V. in Nippes haben lange Wartelisten. „Immer wenn 40 auf der Warteliste sind, wird diese geschlossen und erst mal abgearbeitet“, sagt der 42 Jahre alte Vereinsvorsitzende Daniel Grothe. Zehn bis 20 Interessenten muss er jeden Monat absagen.

Der Ingenieur, der mit der Geburt seiner Zwillinge vor fünf Jahren ins Kleingartenwesen einstieg, ist eine Rarität. Denn obwohl immer mehr junge Menschen den städtischen Gartenplatz suchen, scheuen sich doch die meisten davor, das zeitintensive Ehrenamt zu übernehmen. Die meisten Vereinsvorsitzenden sind deshalb deutlich älter als 60. Viele Vereine haben Schwierigkeiten überhaupt noch jemanden zu finden, der die Arbeit übernimmt.

Auch Grothe könnte sich damit begnügen, mit seiner Familie täglich draußen zu sein und sein Gemüse und Obst anzubauen. „Das waren ja die Motive, warum ich den Garten gepachtet habe. Aber dann war vor drei Jahren die Kleingartenanlage plötzlich gefährdet, weil ein Investor auf einem Teil des Areals Wohnungen bauen wollte.“ Der erfolgreiche Kampf dagegen hat ihn politisiert.

Gärtnern in der Stadt ist nicht nur ein Trend

Er sieht sein Amt auch als Engagement für ökologischen Anbau und für Klimaschutz. Denn das Gärtnern in der Stadt ist nicht einfach nur ein Trend: Es steht für die großen gesellschaftspolitischen Themen der Zeit und für deren Konfliktpotenzial: Da ist auf der einen Seite die wachsende Sehnsucht der Städter, sich in Verbindung mit der Natur zu erleben und für die immer größere Bedeutung von Grünflächen für Artenvielfalt, Insekten- und Klimaschutz einzusetzen. Auf der anderen Seite steht der Kampf um knappes Bauland in einer stark wachsenden Stadt, in der Wohnungen Mangelware sind und „Nachverdichtung“ das Rezept der Wahl.

Michael Franssen macht sich keine Illusionen, was für ein Kampf da nun auf die Kleingärtner zukommt. „Bis jetzt konnten wir Überbauung abwenden. Aber die Zeiten werden rauer.“ Selbst wenn das Umweltbundesamt den Kleingärten gerade in Zeiten des Klimawandels eine wichtige Funktion zur Abmilderung von Hitzeinseln attestiert. So versucht sich die Kölner Kleingartenbewegung zukunftsfähig zu machen. Schließlich wird 2022 der Generalpachtvertrag, den der Verein mit der Stadt für die Gärten abgeschlossen hat, neu verhandelt.

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Die Strategie: Relevanz steigern. Erstens durch ökologisches Gärtnern im Sinne des Klimaschutzes. Vorsitzende wie Grothe werben in ihrer Anlage für den ökologischen Gemüseanbau, aber auch dafür, den Rasen einfach mal ein paar Zentimeter stehen zu lassen, um Insekten anzulocken. Es gibt Workshops zum Basteln von Nisthilfen, über das Gärtnern ohne Pestizide bis zum Anlegen von Wildbienenwiesen. „Alles ausgebucht. Wir haben einen Green Slam veranstaltet mit Infoveranstaltungen von Referenten aus ganz Deutschland. Da hatten wir teilweise über 100 Leute im Vereinsheim.“ Als der Leipziger Arzt Moritz Schreber die Schrebergartenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts gründete, zwang die Industrialisierung die Menschen, in die immer volleren Städte zu ziehen, um in den Fabriken zu arbeiten. Schreber wollte die kränkelnden Städter zur körperlichen Ertüchtigung im Freien anregen. Viele hatten damals Sehnsucht nach der Natur. Eigentlich gar nicht so anders als heute, da jeder Gartenkübel mit Gemüsesamen als Urban Gardening bezeichnet wird.

Heute versucht man, über das Experimentieren mit neuen Formen des Gärtnerns mehr Menschen den Zugang zum Kleingartenwesen zu ermöglichen. Etwa indem man die Anlagen stärker für die Allgemeinheit öffnet und größere Gemeinschaftsgärten anlegt oder Kooperationsprojekte mit Schulen und Kitas startet, um den Nachwuchs ans Gärtnern heranzuführen. Seit dem letzten Jahr stellt die Stadt auf einem Areal in Höhenberg und ab diesem Jahr auch in Holweide sogenannte Gartenlabore zur Verfügung, die künftig vom Kreisverband betreut werden. Dort können – mit EU-Mitteln gefördert – Bewohner in sozial benachteiligten Stadtteilen auf kleinen, voreingesäten Parzellen kostenlos gärtnern und einander begegnen.

Das ist es, was Christiane Overkamp vom Kleingartenverein „Schlössers Gärten“ in Ehrenfeld neben dem Umweltaspekt besonders am Herzen liegt. „Kleingärten sind einzigartige Orte der Begegnung, die man unbedingt stärken muss.“ Wo gebe es das sonst, dass sich Menschen unterschiedlicher Generationen und Hintergründe oder verschiedener Nationen begegnen. Allenfalls noch im Fußballverein. Darum sei es wichtig, bei diesem ökologischen Wandel diejenigen mitzunehmen, die schon sehr lange dabei sind und mit seitenlangen Satzungen zum Thema Nachhaltigkeit nicht so viel anfangen können. „Sonst laufen wir Gefahr, dass wir die Gentrifizierung, die wir in bestimmten Stadtteilen beklagen, auf die Gärten übertragen.“

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