Kölner Obdachlosen brutal attackiertWie sich Jean-Pierre zurück ins Leben kämpft

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Jean-Pierre M.

Bernard Duchemin (l.) hilft Jean-Pierre M., wo er kann. 

  • Es war eine schlimme Tat, die viele Kölner schockierte: Vor rund einem Jahr traten zwei Jugendliche einen Obdachlosen so brutal zu Boden, dass dieser tagelang um sein Leben rang.
  • Heute lebt Jean-Pierre M. in einem Alten- und Pflegeheim in der Eifel. Er sitzt im Rollstuhl. Er ist nicht mehr der Alte, sagen Bekannte.
  • Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Staatsanwaltschaft die beiden Jugendlichen jetzt angeklagt.

Köln – Jean-Pierre M. ist nicht mehr der alte. Das sagen Menschen, die ihn gut kennen. Vor etwas mehr als einem Jahr sollen zwei Jugendliche den 69-jährigen Obdachlosen auf der Neusser Straße in Weidenpesch brutal verprügelt haben. Die Tat sorgte in der ganzen Stadt für Empörung. Tagelang kämpfte der französische Ex-Jockey im künstlichen Koma gegen den Tod. Er gewann den Kampf, wurde aus der Uniklinik entlassen und verbrachte anschließend sechs Wochen in einer Reha-Klinik. Nach Köln ist er nicht mehr zurückgekehrt.

Heute lebt Jean-Pierre M. in einem Alten- und Pflegeheim in der Eifel. Er sitzt im Rollstuhl. „Man kann sich zwar mit ihm unterhalten“, sagt Isi Geller, die ihn vor 20 Jahren kennengelernt hat und ihn nun regelmäßig besucht, „aber er nuschelt und spricht unzusammenhängend.“ Die meiste Zeit, sagt Geller, sitze er vor dem Fernseher.

Beide mutmaßlichen Täter offenbar angeklagt

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Staatsanwaltschaft die beiden Jugendlichen jetzt angeklagt. Das Verfahren vor dem Jugendschöffengericht wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt, ein Termin steht noch nicht fest. Mit Vorabinformationen ist das Amtsgericht – wie bei Jugendstrafsachen üblich – zurückhaltend. Weder das Alter der beiden Angeklagten, noch den Tatvorwurf teilte ein Sprecher auf Anfrage mit, Details zum Geschehen erst recht nicht.

Die Polizei hatte seinerzeit wegen gefährlicher Körperverletzung gegen die Schüler ermittelt. Ihre Verteidiger wollten sich auf Anfrage nicht äußern. Der Anwalt und gesetzliche Betreuer von Jean-Pierre M. dagegen spricht von einem „Skandal“, dass die Staatsanwaltschaft fast ein Jahr für die Ermittlungen gebraucht habe. „Gerade im Jugendstrafrecht gilt in besonderem Maße, dass die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen sollte“, sagt Andreas Mertens.

Jean-Pierre war nicht vernehmungsfähig

Ulrich Bremer, Sprecher der Staatsanwaltschaft, entgegnet, es sei unter anderem „eine Vielzahl“ an Zeugen vernommen worden – auch vor dem Hintergrund, dass sich einer der beiden Beschuldigten nicht eingelassen habe. Außerdem habe man noch gewartet in der Hoffnung, Jean-Pierre M. werde gegebenenfalls wieder vernehmungsfähig. „Aber das war leider nicht der Fall“, so Bremer.

Der ehemalige Jockey kann sich an die Tat offenbar nicht erinnern. „Ich habe ihn einmal ganz vorsichtig gefragt, ob er überhaupt wisse, was passiert sei“, erzählt Isi Geller. „Er hat Nein gesagt.“ Dafür kursierte in den Tagen nach dem Vorfall ein Handyvideo eines Augenzeugen im Internet.

Wird Jean-Pierre jemals wieder gesund?

Darauf ist zu sehen, wie die Täter den angetrunkenen, seit vielen Jahren obdachlosen Mann an einer Haltestelle an der Neusser Straße angreifen. Einer tritt Jean-Pierre M. nach einem kurzen Disput in Kung-Fu-Manier zu Boden. Er kippt rückwärts, stößt mit dem Hinterkopf gegen eine Hauswand und schlägt auf dem Boden auf, wo er reglos liegen bleibt. Der zweite Jugendliche tritt ihm noch in den Rücken. Welche Strafe die beiden mutmaßlichen Täter erwartet, ist unklar. Sie sind nicht vorbestraft. „Ich habe sie vor der Tat fast täglich in Weidenpesch gesehen“, sagt Isi Geller. „Seitdem aber kein einziges Mal mehr.“

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Ob Jean-Pierre M. jemals wieder gesund wird, ist ebenso ungewiss. Aber wenigstens seine finanziellen Sorgen scheint er vorerst los zu sein. Nach der Berichterstattung in den Medien haben seinerzeit viele Menschen Geld gespendet. Der Verein „Kölner Opferhilfe“ von Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma übernahm die Kosten für die Krankenversicherung – denn zum Zeitpunkt der Tat hatte M. seit Jahren keine Beiträge mehr gezahlt. Die Opferhilfe beglich die ausstehende Summe, M. war damit rückwirkend versichert, inzwischen kommt die Versicherung für alle Kosten auf. Der 69-Jährige erhält zudem eine staatliche Opferrente.

Auch sein Freund und Mitstreiter aus alten Jockey-Tagen an der Rennbahn in Weidenpesch, Bernard Duchemin, will M. bald im Heim besuchen, erzählt er. Die beiden Männer haben sich vor 53 Jahren während ihrer Jockey-Ausbildung auf der weltberühmten Pferderennbahn im französischen Chantilly kennengelernt. Mithilfe der französischen Botschaft in Frankfurt hat Duchemin versucht, Angehörige von Jean-Pierre in Frankreich ausfindig zu machen – bisher erfolglos. Seine Eltern sind tot, es soll noch einen Bruder geben, aber von dem fehlt jede Spur.

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