Bewegende FamiliengeschichteWarum in einem Hotel auf der Galapagos-Insel Bilder vom Kölner Dom hängen

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Ingrid (l.) und Erika Wittmer am Strand von Floreana

Ingrid (l.) und Erika Wittmer am Strand von Floreana

Die Kölner Familie Wittmer siedelte sich 1932 auf der Galapagos-Insel Floreana an, auf der sich kurz danach Dramatisches ereignete.

Den Horizont im Auge behalten. Atmen, atmen. Zwei Stunden dauert die ruppige Überfahrt im einfachen Schnellboot nach Floreana. Die Motoren dröhnen, Gischt spritzt auf. Der Black Beach von Floreana – der so heißt, weil er aus dunkler Lava-Asche besteht – kommt in Sicht. Direkt daran steht das Hotel Wittmer, gegründet von der Kölnerin Margret Wittmer, die 1932 mit ihrem Mann Heinz auf die kleine Galapagos-Insel kam. Sie sollten zu den wenigen Überlebenden eines menschlichen Dramas gehören, das als Galapagos-Affäre um die Welt ging und noch heute Stoff für Spekulationen und Hollywood-Filme ist.

Viele Bilder vom Kölner Dom im Hotel Wittmer

Auf dem schwarzen Sand dösen Seelöwen. Eine Frau fegt hinter dem Eingangstor des Hotels. Es ist Erika Wittmer (58), die Enkelin von Margret und Heinz Wittmer. Sie spricht Deutsch. „Guten Tag, wie war die Anreise?“ Sie führt in den Speiseraum des Hotels, in dem ein kleines Museum mit Erklär-Tafeln eingerichtet ist. Und es gibt jede Menge Bilder vom Dom. „Ja, das war der Oma immer sehr wichtig, alles was mit Köln zusammenhängt“, sagt Erika Wittmer.

Das Hotel Wittmer am Black Beach, auf dem Seelöwen dösen

Das Hotel Wittmer am Black Beach, im Lavasand dösen Seelöwen.

Ihre Schwester Ingrid (63) wischt die Theke an der Black Beach Bar ab. Auch sie spricht Deutsch. Sie hat lange mit Mann und Tochter auf dem Festland gewohnt, aber dann zog es sie zurück. 150 Menschen leben derzeit auf Floreana, die meisten arbeiten im Nationalpark und sind Selbstversorger, dazu kommt ein bisschen Tourismus. „Im Moment kommt das Schnellboot nicht jeden Tag und eines ist in Reparatur.“ Aber über Buchungsportale ist das Hotel mit der Welt verbunden.

Ingeborg Wittmer in ihrem Garten, sie trägt eine Kappe und ein beiges Shirt

Ingeborg Wittmer in ihrem Garten.

Die „Mutti“, sagt Ingrid Wittmer, habe trotz des Besuchs aus Köln darauf bestanden, wie gewohnt zum großen Garten am Berg zu fahren und mit der Machete alles sauber zu halten und zu ernten. „Mutti“, das ist Ingeborg „Floreanita“ (86), die Tochter von Margret und Heinz Wittmer. Sie ist auf der Insel geboren, spricht aber im kölschen Singsang. „Stolpern Se nicht über die Ananas“, sagt sie zur Begrüßung. Sie steht aufrecht vor prächtigem Kohl, Salat, Mangold und Bananenpflanzen. Dreimal in der Woche arbeitet sie hier. „Das ist im Blut drin.“ Die Disziplin habe sie wohl geerbt. „Bleiben Sie doch über Nacht. Ist doch so ein weiter Weg.“ 

Siedler auf Floreana hatten sich alle Zähne ziehen lassen

Nichts erinnert an die düstere Vergangenheit. Die Enkelinnen sind die Fragen danach gewohnt, zucken mit den Schultern. „Letztes Jahr hatte ich drei Dokumentarfilmer hier“, erzählt Ingrid. Was so alles berichtet würde, könnten sie nicht kontrollieren. Die Oma hat zwar in ihrem eigentümlich emotionslosen Buch „Postlagernd Floreana“ die Geschehnisse beschrieben, aber damit nichts zur Aufklärung beigetragen. „Es war eine unangenehme Zeit“, sagte Margret Wittmer später einmal.

Margret Wittmer, die in Köln unter anderem bei einer Bank gearbeitet hatte, war schwanger, als sie mit ihrem Mann Heinz, Sekretär des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Adenauer, und dessen zwölf Jahre alten, körperbehinderten Sohn Harry aus erster Ehe nach Floreana zog. Aufmerksam geworden auf das Eiland waren sie durch die von Zeitungen verbreiteten Berichte des Berliner Zahnarztes Dr. Friedrich Ritter, der die unbewohnte Insel zusammen mit seiner Gefährtin Dore Strauch als erster besiedelt hatte. Er hatte den Traum von einem autarken, naturverbundenen, vegetarischen Leben fern der Zivilisation –  ein „Zurück zur Natur“-Trend, der in der Zeit viele Anhänger fand. Kurios: Die beiden hatten sich sämtliche Zähne ziehen lassen, um etwaige Probleme mit Wurzelentzündungen oder ähnlichen Erkrankungen zu umgehen. Sie teilten sich ein Eisengebiss.

Heinz und Margret Wittmer vor ihrem ersten Steinhaus mit den Söhnen Harry und Rolf

Heinz und Margret Wittmer vor ihrem ersten Steinhaus mit den Söhnen Harry und Rolf

Auch die Wittmers suchten damals die große Freiheit auf dem Inselchen. Bei der Ankunft trat jedoch erst einmal Ernüchterung ein: „So trostlos sieht alles aus. Und hier wollen wir leben? Hier soll das Paradies sein?“, schrieb Margret Wittmer später in ihrem Buch. In der Tat ist Floreana keine tropische Idylle, sondern eine struppige Vulkanlandschaft. Die Wittmers lebten zunächst in einer einst von Piraten ins Lavagestein gehauenen Höhle, die heute noch besichtigt werden kann.

Die Piratenhöhle, ein dunkles Loch in einer Felswand.

Die Piratenhöhle war die erste Unterkunft der Wittmers.

Sie arrangierten sich mit Dr. Ritter, der nicht begeistert war, dass er nun nicht mehr der einzige Robinson war und das wertvolle Quellwasser teilen musste. Unter großen Schmerzen brachte Margret Wittmer Sohn Rolf zur Welt, das erste Kind, das auf Floreana geboren wurde, später Tochter Ingeborg. Die Wittmers bauten sich ein Steinhaus am Hang, bestellten erfolgreich Garten und Felder.

Ein Steinhaus inmitten von Grün.

Das erste Steinhaus der Wittmers steht noch am Hang, nahe der Quelle.

Doch mit dem Frieden war es vorbei, als sich eine angebliche österreichische Baronin, eine Hochstaplerin, mit gleich zwei Liebhabern auf der Insel breit machte. „Ein Mann reicht doch wohl“, meinte Margret Wittmer. Die ausgesprochen freizügige „Baronin“ behauptete, hier ein Luxushotel für reiche Weltenbummler eröffnen zu wollen. Sie misshandelte ihre Geliebten und stahl den Inselmitbewohnern Vorräte. 1934 eskalierte die Situation. Einer der gequälten Liebhaber floh zu den Wittmers und verließ die Insel mit einem Boot. Das havarierte, die Leiche des jungen Mannes wurde später völlig ausgedörrt auf einer unbewohnten und wasserlosen Insel des Archipels gefunden.

Hochstaplerin verschwand spurlos, Vegetarier starb an verdorbenem Fleisch

Die Baronin und ihr zweiter Begleiter erklärten den Wittmers, dass sie Floreana mit einer Yacht Richtung Tahiti verlassen zu wollen. Und verschwanden danach spurlos. Außer einiger Fußspuren im Sand fand man nichts. Schiffe verkehrten zu der Zeit nachweislich nicht in der Nähe der Insel. Dann starb der Vegetarier Dr. Ritter, mutmaßlich an verdorbenem Fleisch. Sein Gefährtin Dore Strauch wurde kurz von den ecuadorianischen Behörden verhört, durfte aber dann ausreisen.

Wer hatte hier wen auf dem Gewissen? Waren es Morde, Suizide oder Unfälle? Lag ein Todesfluch über der Insel? Und welche Rolle spielten die Wittmers? Die Weltpresse spekulierte und sogar „Maigret“-Autor Georges Simenon reiste nach Floreana, schrieb Zeitungsberichte und einen Roman über den Fall. Die Schuldfragen konnte auch er nicht klären.

Kölnerin wurde zur „Königin von Floreana“ erklärt 

Margret und Heinz Wittmer blieben unerschütterlich, wie Felsen in der Brandung. „Die Oma und der Opa konnten alles“, sagt Enkelin Erika. Heinz Wittmer habe während seiner militärischen Ausbildung viele Handwerke gelernt, er schreinerte, fertigte Schuhe an. Für Margret Wittmer, später als „Königin von Floreana“ betitelt, war ein ordentlicher Haushalt mit Tischdecken, Geschirr und Braten wichtig. Stolz bewirtete sie prominente Gäste wie Felix Graf von Luckner, der von ihrem Ruf ans Ende der Welt gelockt worden war.

Beim aktuellen Besuch hat das einfache Hotel nur einen einzigen Gast ­– eine Deutsche, Fan des Galapagos-Affären-Mythos‘, wie sie erklärt. „Habe alles gelesen.“ Heute abend gibt es wie immer Gulasch mit Reis, Kartoffeln und Gemüse. „Das hat die Oma schon so gemacht. Wir wollten das mal ändern, aber die Gäste waren dagegen“, sagt Erika Wittmer. Sie ist auf dem ecuadorianischen Festland zur Schule gegangen. Doch das Hotel ist ihr Leben, für eine eigene Familie blieb irgendwie keine Zeit.

Wenn die Enkelinnen von der „Oma“ reden, dann klingt das liebevoll. Aber sie sei keine herzliche Frau gewesen, sagt Ingrid. Eher streng gegen sich selbst und andere. „Umarmungen für die Kinder gab es nie.“ Sie sei sehr kontrolliert gewesen. „Sie hat nur erzählt, was sie erzählen wollte.“

Erinnerung an die Kommunion im Kölner Dom

Und sie ertrug viel. Stiefsohn Harry ertrank 1951. Heinz Wittmer starb 1963. Margret Wittmer selbst wurde 95 Jahre alt, starb 2000. „Sie war bis zum Ende eine sehr starke Frau“, sagt Ingrid. Nur in den letzten beiden Jahren, da wollte sie nicht mehr so richtig. Sie habe sehr oft von Köln geredet und von ihrer Kommunion im Dom.

Eine große, bronzefarbende Büste.

Denkmal für Rolf Wittmer am Pier von Floreana

Sohn Rolf, der eine kleine Kreuzfahrtflotte gegründet hatte und von der ecuadorianischen Regierung für den Aufbau des Tourismus auf Galapagos mit einem Denkmal am Pier von Floreana geehrt wurde, lebte hier bis zu seinem Tod 2011. Nun sind als noch die „Mutti“ Ingeborg und die Enkelinnen übrig. Ob die Urenkel einmal übernehmen werden, ist ungewiss. In Deutschland gibt es noch wenige Verwandte in Köln und Bonn, 2012 war Ingrid zuletzt dort. „Wer weiß, was passiert“, sagt Ingrid.

Ob Floreana das Paradies war, das sie sich erhofft hatte, wurde Margret Wittmer im hohen Alter von einem deutschen Dokumentarfilmer gefragt. „Ach, was ist schon ein Paradies? Es sind immer die Menschen, die Probleme machen“, sagte sie.

Abschied von Floreana. Es geht zurück, zwei Stunden mit dem Schnellboot. Horizont fixieren, atmen. Die Wittmers bleiben zurück am Black Beach.

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