Kölner Star-DJ über Tour im Ausland„Fühlte mich wieder wie ein kompletter Mensch“

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Der Kölner DJ Michael Mayer Ende Januar 2022 auf einem Gig in Chile.

Köln – Santiago de Chile, Mexico City, Tulum oder Bern – in diesen Städten ist derzeit möglich, was hier noch nicht wieder geht: Feiern, Tanzen, Auflegen. DJ Michael Mayer vom renommierten Kölner Techno-Label Kompakt war kürzlich seit zwei Jahren erstmals wieder auf internationaler Tour in Mexiko und Chile und hat den puren Kontrast zur hiesigen Situation auf ambivalente Art erlebt: „Die Angst fliegt schon mit. In Chile sind sie sehr streng bei der Einreise, jeder Passagier, der ankommt, wird PCR-getestet. Wenn man positiv ist, muss man sich 14 Tage in Quarantäne begeben.“ Dann bleibe man auf den Kosten sitzen, die Tour würde abgesagt. Doch so ist es nicht gekommen.

Kölner DJ Michael Mayer auf Tour: „Fühlte mich wieder wie ein kompletter Mensch.“

Stattdessen hat der 50-Jährige, kaum hatte er am DJ-Pult die Maske abgestreift, „ab der ersten Sekunde alles ausgeblendet und vergessen und keinen Gedanken mehr daran verschwendet“. Das Gute an dem besonderen Auftakt: Die erste Show war open-air. In Mexiko stattdessen, wo er in einem Club gespielt hat, habe er schonmal den Bereich vor ihm freimachen müssen. „Da rückten die Leute mir zu nah auf die Pelle“, fand er. Doch angesichts Infektionsrisiko, Testerei und Party zieht Mayer eine positive Bilanz. „Ich fühlte mich wieder wie ein kompletter Mensch. Das Auflegen hat mir so gefehlt. Es fühlte sich an, als würde ich von vorne anfangen.“

Obwohl Mayer, der 1992 von Offenburg nach Köln ging, nach drei Jahrzehnten DJ-Erfahrung das Auflegen in Fleisch und Blut übergegangen ist, sei ihm gerade diese Selbstverständlichkeit abhanden gekommen. Klar, der vergangene Sommer habe etwas Entspannung gebracht. Ende August wurden auch in NRW die Clubs wieder geöffnet, Mayer hat wieder ein paar Gigs gespielt. „Aber man hatte nie das Gefühl, ok jetzt läuft die Sache wieder. Es kamen dann doch viele Absagen. Im Herbst dachte ich dann: Die können jetzt nicht nochmal zumachen. Und dann ist es eben doch passiert.“ Für die Clubs sei dies besonders schwer, da gerade die Wintermonate dazu dienen, sich ein finanzielles Polster für den Sommer anzulegen.

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Elektronischen Musikszene: Viel Lockdown-Musik

In der elektronischen Musikszene sei unterdessen genau das eingetreten, was alle befürchtet hatten: „Ein Riesenschwall von Releases von Lockdown-Musik. Viele fühlten sich nicht in der Lage, Clubmusik zu produzieren. Mir ging es auch so. Die, die harten Techno gemacht haben, entdecken plötzlich ihre sanfte Seite“, sagt der Kompakt-Mitgründer und lacht. Auch er habe „viele komische Sachen“ gemacht, nur würde er sie nicht alle veröffentlichen.

Überrascht war er über den vorherrschenden Trend des vergangenen Sommers, als viel draußen gefeiert wurde: „Der Sound des Spätsommers in den Parks war superschneller, harter Techno wie in der großen Aufbruchsphase des Techno im Jahr 92/93. Da habe ich genau dieselbe Art von Energie und Euphorie gespürt. Die jungen Leute scheinen das zu brauchen“, mutmaßt Mayer, der von 1998 bis 2007 zusammen mit DJ Tobias Thomas die legendäre Party „Total Confusion“ im ehemaligen Studio 672 im Stadtgarten veranstaltete.

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Die Pandemie habe die Szene verändert: „Viele haben angefangen, neben der Musik etwas anderes zu machen.“ Man verlasse sich nicht mehr einfach darauf, dass alles so weitergeht, wie es einmal war. Von den Künstlern im Label habe sich jedoch niemand ganz abgewendet. „Manche tun sich schwer, sie brauchen die Erfahrung im Club, um den Track fertig zu machen. Viele bleiben in so einem Limbo hängen.“

DJ Michael Mayer wieder im Kompakt-Plattenladen präsent

Die Pandemie sei eine bleierne Lähmung. Auch wenn Mayer in seiner internationalen Karriere ausgebremst wurde, habe die erzwungene Pause aber auch etwas Gutes gebracht. „Nachdem der erste Schock vorbei war, hatte die Krise auch gute Effekte für Leib und Seele. Ich habe mich sortiert, auf die letzten Jahre geschaut.

War ich da glücklich oder womöglich auf dem Holzweg? Das Wichtigste für mich ist, mit der Musik zu sein. Ich habe auch Abscheu vor dieser Industrie entwickelt, in der es um immer größere Gigs, immer höhere Gagen geht. Das macht auch unzufrieden, wenn etwa ein DJ gebucht wird, und man selbst nicht.“

Außerdem habe er nach 20 Jahren wieder angefangen, sich persönlich um den Kompakt-Plattenladen in der Werderstraße zu kümmern. „Das ist kein Rückschritt, ich empfinde es als genau richtig. Ich arbeite nun von dort aus und sitze mitten in der Musik.“

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