Dom-GeheimnisseWie aus der Geschichte der Königin Maria eine kölsche Legende wurde

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Eine moderne Gedenkplatte spricht nur von Eingeweiden, die hier gelegen hätten.

Eine moderne Gedenkplatte spricht nur von Eingeweiden, die hier gelegen hätten.

  • Den Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölnerinnen und Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale?
  • Jede Woche haben wir für Sie eine neue Geschichte vom Dom – erzählt von einer, für die er eine Art zweites Zuhause ist: Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner.
  • In dieser Folge erklärt sie, wie aus dem Tod der Maria de' Medici im Jahr 1642 in Köln eine typisch kölsche Legende wurde.

Köln – Von regelmäßigen Veranstaltungen aller Art in Köln heißt es gern, bereits nach der ersten Wiederholung handele es sich um Brauchtum, danach um Tradition. Ähnlich geschwind und umstandslos funktioniert in dieser Stadt die Legendenbildung. Aus einer ersten Mutmaßung wird bei der zweiten Erwähnung Wahrscheinlichkeit, beim dritten Mal Gewissheit.

Sie glauben, ich übertreibe? In der Dreikönigenkapelle im Zentrum des Chorumgangs beweise ich es Ihnen. Dort ist in den Fußboden eine rautenförmige Platte aus rotem Marmor eingelassen. Auf ihr sind drei Kronen, die Lilie der Bourbonen und folgende lateinische Inschrift eingraviert:

Es handelt sich um einen Hinweis auf den Ort, an dem innere Organe der französischen Königin Maria de’ Medici bestattet gewesen seien.

Königin Maria de'Marci war Ladenhüter auf dem Heiratsmarkt

1575 geboren, entstammte Maria der mächtigen und vor allem schwer reichen Florentiner Kaufmanns- und Herrscherfamilie der Medici. Obwohl sie eine der vermögendsten Erbinnen und damit eine der besten Partien ihrer Zeit war, blieb sie ein Ladenhüter auf dem florierenden Heiratsmarkt der Königs- und Fürstenhäuser. Es fand sich einfach kein Mann, der Maria haben wollte.

Im Jahr 1600 schließlich wurde sie dem französischen König zur Gemahlin gegeben, dem berühmten Henri Quatre (1553 bis 1609). Der Hugenotte und erste Bourbone auf dem französischen Thron war für die Erlangung der Krone eigens zum Katholizismus konvertiert („Paris ist eine Messe wert). 

Heinrich IV hatte Affären mit mehreren Mätressen

Auf die katholische Maria de‘ Medici aber war er alles andere als erpicht. Zum einen war Heinrich IV. bereits verheiratet. Allerdings war die Ehe kinderlos geblieben, so dass der König die Trennung von seiner Frau und die Auflösung der Ehe anstrebte. Zum anderen hatte er nacheinander mehrere heiße Affären. Doch am Ende siegte die Rechen- über die Liebeskunst: Der König hatte Schulden und konnte die Mitgift der Medici bestens gebrauchen.

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Zehn Jahre nach der Hochzeit wurde Maria am 13. Mai 1610 zur Königin gekrönt – just einen Tag, bevor ihr Mann einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Der Witwe wurde nachgesagt, im Auftrag des Papstes an Heinrichs Ermordung beteiligt gewesen zu sein – mit dem Ziel, die Rekatholisierung Frankreichs voranzutreiben. Diese Theorie ist unter anderem in Heinrich Manns wunderbarem Roman „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“ nachzulesen.

Maria übernahm die Regentschaft für den Kronzprinzen Ludwig

Sicher ist, dass Maria nach Heinrichs Tod die Regentschaft für ihren gemeinsamen Sohn übernahm, den erst neun Jahre alten Kronprinzen Ludwig (1601 bis 1643). Mit 15 emanzipierte er sich von seiner Mutter und entmachtete sie zusammen mit ihrem Berater, Kardinal Richelieu (1585 bis 1642). Der wiederum schlug sich mit der Zeit auf die Seite des jungen Königs Ludwig XIII.

Nach jahrelangem Intrigenspiel, in dem Maria sich den Zugriff auf die Macht sichern wollte, stellte sie ihren Sohn vor die Wahl: Er sollte sich zwischen ihr und Richelieu entscheiden. Die Machtprobe ging gegen Maria aus. 1631 wurde sie unter Hausarrest gestellt, im selben Jahr floh sie ins Exil.

Kein Herrscher wollte ausrangierte Regentin aufnehmen

Zunächst ging sie in die Niederlande, danach für kurze Zeit nach England. Aber kein europäischer Herrscher wollte die ausrangierte Regentin aufnehmen. Einerseits galt sie in ihrem Lebensstil als sehr anspruchsvoll. Andererseits aber hatte Ludwig XIII. ihr sämtliche Apanagen gestrichen. Eine Boshaftigkeit sondergleichen, wenn ich das mal sagen darf. Das macht man einfach nicht mit seiner alten Mutter, auch wenn Maria damals erst um die 50 war.

Kurz und gut, die reiche Medici war faktisch arm. Da passte sie doch gut – nach Köln. 1641 kam sie in der Stadt an und wohnte fortan in der Sternengasse 10, dem angeblichen Geburtshaus des Malers Peter Paul Rubens. Hier starb sie am 3. Juli 1642. 

Ludwig XIII. entdeckte die Sehnsucht nach seiner Mutter

Kaum war sie tot, erwachte plötzlich die Sehnsucht des Sohnes. So lange die Königin lebte, war sie für Ludwig XIII. Luft. Mit der toten Mutter aber konnte der Sohn wieder gut leben. So beanspruchte er Marias einbalsamierten Leichnam. 1643 wurde er zur Beisetzung in der Königsgruft der Basilika von Saint-Denis bei Paris übergeführt.

Dort lagen bis zur Französischen Revolution alle Könige des Landes begraben. Die Revolutionäre plünderten dann die Gräber, holten die Knochen heraus und kippten sie zusammen, so dass man sie einander später nicht mehr zuordnen konnte. Deswegen gibt es heute für die Könige von Frankreich ein Massengrab.

Das kölsche Drama um das Herz der Königin

Soweit die Geschichte einer armen reichen Frau. Doch ist sie damit noch nicht zu Ende. Denn nun folgt das kölsche Drama um das Herz der Königin. Geschichtsbewusste Kölner glaubten es immer schon zu wissen: Das Herz Maria de‘ Medicis ist im Dom begraben.  Der große Ferdinand Franz Wallraf persönlich nährte mit einer Gedenktafel  am Rubenshaus die Überzeugung, dass „diese herzlose Frau ihr Herz im Dom lassen musste – wahrscheinlich, damit es den Kölnern so recht zu Herzen ging“ (Georg Hauser).

Tatsächlich mussten für eine Einbalsamierung von Marias Leichnam sämtliche innere Organe entnommen werden. Logisch, dass man diese nicht einfach wegwarf. Und da der tote Körper im Dom aufgebahrt gewesen sein soll, stand zu vermuten, dass dort auch die weiteren Überreste beigesetzt wurden. 

Otto Doppelfeld findet „merkwürdigen kleinen Schacht aus Ziegeln“

Was mir schon an dieser Geschichte spanisch vorkommt: Zu Lebzeiten fristete die abgehalfterte Exil-Königin – kaum beachtet – ein kärgliches Dasein in der Sternengasse. Aber als sie starb, sollte sie direkt in den Dom gebracht worden sein? Verlässliche Quellenbelege gibt es dafür jedenfalls keine, sondern nur für die Überführung des Leichnams Monate später.

1947 nun stößt der hoch bedeutende Archäologe Otto Doppelfeld, der erste Ausgräber im Dom nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Achskapelle (Dreikönigenkapelle) bei Bodenarbeiten auf einen „merkwürdigen kleinen Schacht aus Ziegeln“.

Zunächst mutmaßt er, hier könnte das Herz der Maria de‘ Medici beigesetzt sein. Wenig später hält Doppelfeld dies bereits für wahrscheinlich, in einer dritten Publikation dann für sicher. Zwar entdeckt der Archäologe in dem Ziegelschacht „nur etwas Holzstaub und lockere Erde“. In Erklärungsnot gerät er deshalb aber keineswegs: Das Herz sei eben in einem Holzbehälter, ohne Urne bestattet worden.

Aus Legenbildung wird Wahrheit

So funktioniert Legendenbildung in weniger als einem Jahr. Und alsbald wird daraus die Wahrheit und nichts als die Wahrheit: 1962 bekommt der französische Präsident Charles de Gaulle auf einem Staatsbesuch in Köln stolz die Stelle im Dom gezeigt, an der das Herz der Maria de‘ Medici beigesetzt war.

Bloß gut, dass es kundige Historiker gibt. Der schon zitierte Georg Hauser widmete sich dem Studium französischer Quellen. Und siehe da: Die Chronik von Saint-Denis berichtete schon 1643, ein Jahr nach Marias Tod, das zusammen mit dem Leichnam überführte Herz der Königin sei im Jesuitenkolleg La Flèche neben dem Herz ihres Mannes, König Heinrichs IV., bestattet worden.

Erzählt die Bodenplatte bewusst die Unwahrheit?

Wie passt das aber nun zur Kölner Überlieferung? In hiesigen Quellen des 17. bis 19. Jahrhunderts ist faktisch nur von den Eingeweiden der Königin die Rede, genauer von den „intestina“, also den Eingeweiden unterhalb der Taille, die als – wie soll ich sagen - eher eklig empfunden und bei der Einbalsamierung in der Regel entsorgt wurden. Sie könnten tatsächlich in Köln geblieben sein.

Und was ist dann mit der 1977/1978 neu verlegten Bodenplatte? Erzählt sie den Kölnern und allen Dombesuchern bewusst die Unwahrheit? Nicht ganz. Der Text meines Vorgängers Arnold Wolff ist sozusagen die kölsche Lösung auf Latein: Er vermeidet das Wort „cor“ (Herz), aber auch die Erwähnung der (unreinen) „intestina“, sondern spricht stattdessen von den „exta“ der Königin. Das sind ganz allgemein die inneren Organe aus dem oberen, edleren Teil des Körpers. Und na ja, sitzt dort denn nicht auch das Herz? 

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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