„Depression kriecht unter der Zellentür durch“Wie es ist, Weihnachten im Gefängnis zu verbringen

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Udo Blumer in seiner Stammkneipe in Köln-Kalk

Mehr als 20 Jahre seines Lebens hat Udo Blumer im Gefängnis verbracht. Nun arbeitet der Kölner als Hausmeister.

Udo Blumer hat mehr als 20 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht. Der 58-Jährige erzählt, wie er dort die Weihnachtszeit überstanden hat und was ihm Hoffnung gab.

Ich war 17, als ich das erste Mal vor Gericht stand. Wir waren eine kleine, sehr aktive Einbrecherbande. Weil einer meiner damaligen Kumpels ausgepackt hat, wurden wir wegen 30 Einbruchsdiebstählen verurteilt – erstmal aber nur auf Bewährung. Drei Wochen später habe ich dann einen Juwelier überfallen. Dafür musste ich vier Jahre ins Gefängnis. Das war meine erste Haftstrafe.

Damals glaubte ich noch, eines Tages ein normales Leben führen zu können. Im Gefängnis habe ich eine Ausbildung zum Schweißer gemacht, mich gut benommen, den Kopf unten gehalten. Ich hatte gehofft, so nach zwei Dritteln der Haft entlassen zu werden. Aber der Richter war dagegen. Danach war für mich der Versuch, ein guter Junge zu werden, vorbei.

Kölner verbrachte mehr als 20 Jahre im Gefängnis

Es gab fast nichts, was ich nicht gemacht habe: Einbruch, Betrug, Raub, alles, was in diese Richtung geht. Ich habe das Leben eines Kriminellen geführt, den Prinz Karneval gespielt, mit dicken Goldketten und schnellen Autos. Später kamen dann noch die Drogen dazu, vor allem Kokain und Heroin. Und so ein Leben kostet Geld.

Insgesamt habe ich mehr als 20 Jahre meines Lebens im Gefängnis verbracht, sechs Mal wurde ich verhaftet. 30 Jahre lang hat dieser Kreislauf mein Leben bestimmt. Es machte mir nichts aus, ins Gefängnis zu gehen. Sobald ich rauskam, fing alles wieder von vorne an. Ich habe nie Reue empfunden. Dass ich mit meinem Verhalten anderen Menschen wehtat, war mir egal.

Weihnachten im Knast zu erleben war trotzdem sehr hart, vor allem zu der Zeit, als meine Eltern noch lebten. Wir haben Weihnachten ganz klassisch gefeiert – mit Kartoffelsalat und Würstchen und vielen Verwandtenbesuchen.

Für die Weihnachtstage habe ich mir Drogen besorgt, um den Kopf zuzumachen. Alles andere wäre die reinste Quälerei gewesen.
Udo Blumer

Im Gefängnis hatte man in der Weihnachtszeit viel Zeit zum Nachdenken. Ab Mitte November stand die Zeit still, im Gericht passierte fast nichts mehr, wer arbeitete, hatte frei. An den Weihnachtstagen selbst wurden wir schon nachmittags wieder in die Zellen gesperrt – viel früher als sonst, normalerweise gab es bis 21 Uhr immer etwas zu tun. Da krochen die Depressionen und die Einsamkeit schnell unter der Zellentür durch. Und die quälenden Fragen: Wie bist du hier gelandet, warum hast du so einen Mist gebaut?

Ich habe versucht, diese Fragen zu verdrängen und möglichst wenig von Weihnachten mitzubekommen. Für die Weihnachtstage habe ich mir Drogen besorgt, um den Kopf zuzumachen. Alles andere wäre die reinste Quälerei gewesen. Der einzige Lichtblick für mich waren die Predigten in der Kirche, das war der einzige Ort, an dem so etwas wie Weihnachtsstimmung aufkam. Das hat mir geholfen in der Zeit.

Vom Einbrecher zum Hausmeister

Die Kirche war auch einer der Gründe, die in mir ein Umdenken auslösten. Ich habe lange mit meinem Glauben gehadert. Das, was in der Bibel steht, passte ja auch nicht zusammen mit meinem Leben als Krimineller. Aber mit der Zeit hat die Kirche mir geholfen, mit meiner Vergangenheit abzuschließen und Empathie für andere Menschen zu entwickeln.

Dazu kam eine Sendung, die ich damals im Fernsehen gesehen habe, ich glaube, es war bei Stern TV. Da war eine Frau zu Gast, bei der eingebrochen worden war. Die ist danach vier oder fünf Mal umgezogen, weil sie sich nirgendwo mehr sicher gefühlt hat. Dieser eine Einbruch hat bei ihr eine Angst hinterlassen, die sie nicht mehr losgeworden ist. Erst da habe ich so richtig verstanden, was ich mit meinem Verhalten bei den Leuten angerichtet habe.

Seit sieben Jahren bin ich jetzt straffrei – und sehr stolz darauf. Und vor zwei Jahren erlebte ich den Segen schlechthin: Trotz meiner Vergangenheit bekam ich einen Job als Hausmeister in Köln-Kalk. Vorher habe ich auf dem Bau gearbeitet, ein Knochenjob, für den ich mit über 50 Jahren langsam zu alt wurde. Jetzt bin ich für 228 Wohneinheiten und mehr als 500 Menschen verantwortlich. Anpacken zu können, mit Menschen zu arbeiten und ihnen bei ihren Problemen zu helfen – etwas Besseres kann ich mir nicht vorstellen.

Weihnachten feiere ich eher ruhig. Natürlich ist die ganze Wohnung in Rot und Weiß geschmückt, wie sich das gehört für einen kölsche Jung wie mich. Am ersten Weihnachtstag gibt’s einen großen Braten für meine Tochter und meine Freundin. Und natürlich besuche ich in die Kirche, ich weiß ja, wer Geburtstag hat.

An Heiligabend gehe ich außerdem noch ein bisschen durch die Stadt, spreche mit einem Obdachlosen und verbringe etwas Zeit mit ihm. Am Ende stecke ich ihm ein bisschen Geld für die Feiertage zu. Das ist meine Art, wenigstens ein bisschen von dem wiedergutzumachen, was ich in meinem Leben verbockt habe.

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