Personalnot im JugendamtKölner Familie wartet seit mehr als einem Jahr auf Bewilligung der Legasthenie-Therapie

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Ein Junge liegt mit einem Buch auf einem Sofa.

Kinder mit Lese- Rechtschreibschwäche gehen nicht selten in den sozialen Rückzug.

Fünf bis zwölf Prozent der Kölner Schüler leiden an einer Legasthenie. Sie kämpfen um adäquate Förderung.

Wenn Christian Douven an die Zeit vor zwei Jahren zurückdenkt, dann sei das richtig schlimm gewesen. Als seine Tochter Katharina in Porz in die Grundschule kam, stellte sich raus, dass sie Legasthenie hatte. Die Herausforderung Lese- und Rechtschreibstörung (LRS) habe seine Tochter verändert, erzählt er. Kinder mit LRS entwickeln in der Folge oft Angsterkrankungen, Depression oder ein gestörtes Sozialverhalten. Auch Katharina ging immer weiter in den sozialen Rückzug und entwickelte als Folge am Ende der zweiten Klasse eine Schulangst, die immer gravierender wurde.

Am Ende des Halbjahres hatte sich die Lage so zugespitzt, dass nur noch eine Teilbeschulung möglich gewesen und Katharina nur unter Schreien in die Schule gegangen sei, erzählt der Vater. Schließlich mussten Douven und seine Frau im Wechsel am Schultor stehen, das die Tochter vom Klassenraum durchs Fenster einsehen konnte. Nur mit dieser Sicherheit im Hintergrund, war es ihrer Tochter möglich, den Schultag zu meistern. Die Grundschule unterstützte die Familie, wofür Douven sehr dankbar ist. Trotzdem war für ihn klar, dass seine Tochter externe Unterstützung und Förderung braucht.

Antrag beim Jugendamt Porz blieb erstmal liegen

Er wandte sich im Dezember 2022 an das Jugendamt der Stadt mit der Bitte, der Familie einen Antrag auf die genannte Eingliederungshilfe zuzusenden. Diese besteht etwa in einer Legasthenie-Therapie. Es dauerte drei Monate – und eine per Einschreiben versandten Erinnerung – bis die Antragsformulare endlich bei der Familie eintrafen: Eine Bearbeitung des Antrags sei allerdings zunächst bis Ende Mai nicht möglich.

Aufgrund erheblicher Personalvakanzen beim Bezirksjugendamt Porz könne das Hilfs- und Beratungsangebot nicht in gewohnter Form durchgeführt werden, teilt das Jugendamt im Brief mit, der dem Antrag beilag. Priorität liege derzeit auf der Sicherstellung des Minderjährigenschutzes. Seit Mai 2023 liegt der zurückgeschickte vollständig ausgefüllte Antrag mit allen erforderlichen Unterlagen, Gutachten und Diagnosen nun beim Jugendamt. „Seit fast einem Jahr warten wir jetzt schon vergeblich auf eine Reaktion des Jugendamts“, sagt Katharinas Vater.

Nachfragen beim Kölner Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie ergeben, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt. Mal hake es am Jugendamt, mal daran, dass die entsprechenden Arztgutachten auf sich warten lassen. Dabei handele es sich um einen Rechtsanspruch. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) geht davon aus, dass inzwischen fünf bis zwölf Prozent der Kinder eines Jahrgangs von Legasthenie betroffen sind. Bei einer guten individuellen Förderung brauche es etwa zwei Jahre, bis die meisten Kinder mit diesem Störungsbild an den Klassendurchschnitt herankommen.

„Leider findet das nur selten statt – entweder fehlen Lehrkräfte oder diese haben dafür keine Zeit beziehungsweise nicht die notwendige Förderkompetenz“, kritisierte Verbandssprecherin Annette Höinghaus. Dazu komme, dass es immer nicht selten immer noch Jahre dauere, bis Lehrkräfte sensibilisiert sind und die betroffenen Kinder entsprechend diagnostizieren ließen, so Dieter Budke vom Vorstand des Kölner Arbeitskreises LRS und Dyskalkulie. Dabei sei eine frühe Förderung essenziell.

Bei der Stadt hieß es auf Anfrage, dass man sich zu konkreten Fällen oder Anträgen aus Datenschutzgründen nicht äußern könne. Sofern bei einem Kind Legasthenie festgestellt werde, sei es zudem zunächst die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe der Schule, hier entsprechend tätig zu werden. Erst danach würden weitere Hilfen beim Jugendamt beantragt – wobei die Voraussetzung dafür laut Sozialgesetzbuch ist, dass durch die Beeinträchtigung bei dem Kind eine psychische Störung eingetreten und diagnostiziert sei. Genau das sei in ihrem Fall ja durch Gutachten belegt worden, sagt Douven.

Kölner Familie finanziert Einzelförderung auf eigene Kosten

Dass ihnen ein Rechtsanspruch durch Nichtbearbeitung einfach verwehrt werde, sei eine Sache. Aber dass die Stadt es hinnehme, „dass Bildungslebensläufe von Kindern und Jugendlichen erheblich gestört, wenn nicht sogar zerstört werden, das verstehe ich leider überhaupt nicht“, kritisiert er. Douven weiß, was so ein Leidensweg bedeutet. Der Ingenieur ist selbst Betroffener und musste sich über den zweiten Bildungsweg das Abitur erarbeiten.

Für seine Tochter wollte er unbedingt eine bessere Förderung, als er sie als Schüler hatte. Die Familie finanziert daher auf eigene Kosten eine wöchentliche Förderung in einem LRS-Institut. „Lieber verzichte ich auf Urlaub als untätig auf eine Bewilligung zu warten“, sagt er. Dank der Förderung habe seine Tochter inzwischen deutlich mehr Selbstvertrauen gewonnen und gehe gerne in die Schule. Nach den Sommerferien wird Katharina auf ein Gymnasium wechseln und freut sich darauf.

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