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Die Bank war sein ReichDer Präsident vom Brüsseler Platz ist tot

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Bank Brüsseler Platz

Nun ist die Bank am Brüsseler Platz leer.

  • Sein Stammplatz war der Brüsseler Platz. Mirko Eric war eine Größe im Belgischen Viertel.
  • Manche dachten, er sei obdachlos, doch das stimmte nicht. Manchmal machte er das mit lauter Stimme quer über den Platz deutlich.
  • Nun ist die Bank, auf der er immer saß, leer. Ein Nachruf

Köln – Über das Käsebrötchen hat er sich immer ein bisschen aufgeregt. Manchmal hat Nicole Häuser es morgens vom Bäcker mitgebracht und es auf halbem Weg nach Hause dem Mann auf der Bank am Brüsseler Platz angeboten. Graue Haare, die dick und borstig den Kopf einrahmten, Schnurrbart, das Gesicht ein bisschen zu rot, die Augen schmal, denn Mirko Eric zog sie beim Grinsen in die Breite, was Einbußen in der Höhe zur Folge hatte, die Arme hatte er in einer großzügigen Geste ausgebreitet über die Lehne der verwitterten Holzbank gelegt. Da saß Mirko Eric jeden Vormittag und blickte vorbei an der Telefonzelle, dem Urinal, den parkenden Autos, den angepflanzten wilden Rosen bis hin zum Büdchen und der Ouzeria auf der anderen Seite des Platzes.

Seine tägliche Spazierfahrt hatte er da schon hinter sich, denn den Tagesbeginn verlebte der Rentner auf einer Bank im Grüngürtel, danach stieg er auf sein Rad und fuhr zu seinem Stammplatz am Brüsseler Platz, trank Kaffee, häufig aber auch morgens schon ein Bier. „Ich brauch doch dein Brötchen nicht, ich hab doch eine Wohnung“, polterte Eric dann über den Platz und manchmal überschlug seine Stimme sich dabei. „Aber ich habe gesagt: Wenn du schon Bier trinkst, dann iss wenigstens ein Brötchen dazu“, erzählt Nicole Häuser.

Die 48-Jährige steht mit ihrem Hund im Nieselregen neben der Bank am Brüsseler Platz. Ihr Mann Jörg ist auch da, gerade hat er sein Elektromobil schräg neben der Bank geparkt. Die Italienerin Carmen Capici hat den bunten Regenschirm zusammengeklappt und eine Zigarette geraucht. In der Telefonzelle gegenüber sitzt der 79 Jahre alte Ulrich Bendermacher auf seinem Rollator. Alles wie immer. Nachbarschaftstreffen. Nur die verwitterte Bank ist leer. Lediglich ein Zettel, die Astern von Giuseppe Capici und ein paar Kerzen erinnern an den „Präsident des Brüsseler Platzes“. Denn Mirko Eric ist nicht mehr hier. Oder irgendwie doch. Denn: „Du bist nicht mehr da, wo du warst, aber du bist überall, wo wir sind. Mach et joot, Präsidente“, steht auf einem eingeschweißten Blatt, das jemand an der Rückenlehne befestigt hat.

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Wie eine Stehlampe zum Ohrensessel

Immer wieder bleibt einer stehen, liest den Zettel, wechselt ein paar Worte mit der Gruppe, eine Frau bekreuzigt sich. „Ein guter Mann“, eigentlich sind sich alle einig. Natürlich, er habe getrunken, Bier, „wie ein Loch“, aber gerade beim Schnaps sei er unschlagbar gewesen, erzählt man sich hier. Manchmal sei er dann auch laut geworden. „Aber er hatte einfach so eine kräftige Stimme“, sagt Carmen Capici, 67 Jahre alt und aus der Nachbarschaft. Zum Brüsseler Platz, so sagen diejenigen, die schon immer hier wohnen, habe Mirko gehört wie eine Stehlampe zum Ohrensessel. Ohne ist eigentlich undenkbar. Vor vielen Jahrzehnten – Nicole Häuser schätzt vor fünf – sei der bosnische Serbe Mirko Eric als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. „Er war damals noch ein junger Mann und hat auf dem Bau gearbeitet“, sagt Häuser. „Die U-Bahn am Rudolfplatz hat er gebaut“, wirft Bendermacher aus der Telefonzelle ein. „Und die Autobahnbrücke bei Koblenz – zumindest hat er das immer erzählt“, sagt Jörg Häuser. In der Nachbarschaft witzelte man dann immer, dass Erics Mitwirken in den 60er Jahren der Grund dafür sei, dass die Brücke nun saniert werden müsse.

Ein Ei zum orthodoxen Osterfest

Obdachlos sei Eric nie gewesen, auch wenn das einige dachten, die ihn nur flüchtig kannten. Zuletzt habe er in der Seniorenwohnanlage in der Brabanter Straße gewohnt. „Manche glaubten, er sei ärmlich“, sagt Marica Dzidic, die auch in der Nachbarschaft wohnt und die ihn schon von früher kannte. Da habe er sich manchmal noch ein Eis im Café an der Venloer Straße geholt, in dem sie arbeitete. „Aber andere sagten auch, er habe eine gute Rente gehabt.“ Zum orthodoxen Osterfest habe er Dzidic manchmal ein Ei geschenkt. Frauen oder Familie? Seien nie aufgetaucht. Zurück nach Ex-Jugoslawien? Sei auch nie ein Thema gewesen. Wenn es in der Runde ums Thema Sterben ging, dann habe Eric aber jedem von seinen festgezurrten Heimatplänen erzählt. Einer seiner Brüder würde ihn dann abholen und ihn im kleinen Dorf in Bosnien beerdigen. „Ach Mirko, weißt du überhaupt, was das kostet?“ hat Nicole Häuser dann eingewandt.

Der robuste Eric, mit dem man herrlich über Fußball streiten konnte („die Ex-Jugos waren für den immer die besten“, sagt Jörg Häuser), hielt an seinem Lebensrhythmus stur fest. Auch wenn es regnete, im Winter und sogar als ihn die Diagnose Krebs ereilte. „Nur das Rauchen, das hat er zum Schluss aufgegeben“, sagt Capici und nimmt einen Zug von ihrer Zigarette. Sie hat sich auf die Bank gesetzt, ganz links, als wollte sie den Platz für Eric, der immer rechts saß, frei lassen. Ende Juli muss es gewesen sein, als Eric seinen jahrelangen Rhythmus durchbrach. Nicole Häuser traf den Präsidenten vom Brüsseler Platz eines frühen Morgens mit großem Gepäck vor der Tür der Seniorenwohnanlage. Er wartete auf ein Taxi ins Krankenhaus. Warum er so viel dabei habe? Sieben Wochen dauere die Therapie in Bonn, habe er ihr zur Begründung erzählt. Und dann: „Und wer soll mir denn zwischendurch schon was bringen?“ erzählt Nicole Häuser. Einige Wochen später habe sie versucht herauszufinden, in welcher Klinik er genau liege und mit ihrem Mann beraten, ob man ihn nicht besuchen solle. „Klar, niemand darf was sagen, wegen Datenschutz. Aber: Über Besuch freut sich doch jeder, dachte ich.“

Da hatte man in der Seniorenwohnanlage in der Brabanter Straße schon begonnen, seine Namensschilder abzunehmen und die Wände zu streichen. Mirko Eric starb am 14. August. Er wurde 81 Jahre alt. 

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