„Obdachlose mit Zukunft“Kölner Wohnungslosen-Projekt hat bundesweite Strahlkraft

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Spike hat im OMZ ein Musikstudio aufgebaut.

Köln-Deutz – Punkmusik schallt über den Hof an der Gummersbacher Straße 25 in Deutz. Es werden Melonenstücke und Kaffee verkauft, alles erinnert an ein Gartenfest irgendwo in Köln. Doch das Fest findet im Projekt „Obdachlose mit Zukunft“ (OMZ) statt, und dass es so normal daherkommt, ist ein interessantes Statement in einem interessantesten Projekte, die derzeit in Köln stattfinden. „Bundesweit werde ich nach dem OMZ gefragt“, sagte Unterstützer Kalle Gerigk. „Das Projekt entwickelt eine überregionale Strahlkraft.“

Das OMZ geht auf eine Hausbesetzung von etwa 30 Menschen im März 2020 an der Marktstraße 10 zurück. Nach langen Verhandlungen mit der Stadt wurde das Haus nicht geräumt, sondern den Besetzern eine Alternative in Deutz angeboten. Seit Januar 2021 können sie übergangsweise dort ihr Projekt gestalten, später will die Stadt ihnen eine langfristige Alternative bieten. Künftig sollen sich die früheren Obdachlosen selbst verwalten, eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter soll ihnen zur Seite stehen.

Neue Perspektiven für Wohnungslose 

Im OMZ haben Menschen, die gestrauchelt sind, wieder eine Perspektive erhalten. Zum Beispiel Gabriel Schmidt (39). Mit 19 Jahren ist er von zu Hause und Köln weggelaufen und nach Bayern gezogen. Im Institut für Zierpflanzen der TU München hat er gearbeitet, dann brach er zu einer Weltreise auf, um schließlich an den Niederrhein zu ziehen. Dort hat er es nicht lange ausgehalten, ging nach Mexiko, wo er Stecklinge zog. Irgendwann wurde er stark depressiv, auch nach der Rückkehr nach Deutschland hat es ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

Mit seinem Bruder überwarf er sich, die Eltern warfen ihn raus. „Ich bin auf der Straße gelandet, es war eine Tortur“, sagt er im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er hat sich mit Hartz IV, Betteln und Flaschensammeln über Wasser gehalten und in Ehrenfeld in einem Hauseingang geschlafen. Wenn es richtig kalt wurde, ist Schmidt zum Flughafen gefahren oder hat sich in eine U-Bahn-Haltestelle gelegt. „Das Schlimmste war, dass man unter einer Million Menschen völlig isoliert war“, sagt er.

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Gabriel Schmidt sucht nach einem Neuanfang im OMZ.

Jetzt soll alles besser werden. Schmidt hat eine halbe Stelle in einem Biobauernhof in Vingst bekommen. Dort zieht er derzeit Kohlrabi, Gurken, Mangold und Rote Bete und bald auch Tomaten. Es gibt einen Hofladen, 300 Hühner und zwei Schweine, letztere dienen nur zur Anschauung. Schmidt mag den Job, er ist gerne draußen, auch heute noch. An das Zimmer im OMZ muss er sich noch gewöhnen. „Es ist ein komisches Gefühl, wenn man seine Klamotten wäscht und in einen Schrank einordnet.“ Seltsam, ein Dach über dem Kopf zu haben und einen Schlüssel in der Tasche zu spüren.

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Eduard Becker kocht Suppe.

Auch für Eduard Becker ist das Projekt eine Chance. „Ich will mein Leben zurück mit Arbeit und Familie.“ Becker kommt aus Hermannstadt in Rumänien und hat 21 Jahre lang im italienischen Kalabrien gelebt. Nach einem Streit mit der Familie zog er nach Deutschland, kam aber mit Tante und Cousine in Bergisch Gladbach nicht klar. Er nahm seinen Rucksack und zog auf die Straße. Tagsüber hat er als Schausteller für eine Kirmes und in einer Metzgerei gearbeitet, nachts am Rhein geschlafen.

Das OMZ hat ihn ruhiger gemacht. Beim Fest trifft man ihn, wie er Kartoffeln für die Gemeinschaft schält und Suppe kocht. Auch für ihn selbst geht es aufwärts. Über eine Zeitarbeitsfirma hat er einen Job bei den Abfallwirtschaftsbetrieben bekommen. Er träumt von einer Ausbildung als Handwerker im Bereich Holz und Metall. Erfahrung bringt er mit. Mehrere Jahre hat er als Zimmermann gearbeitet.

Es sind nur zwei von vielen positiven Beispielen, die es aus dem OMZ zu erzählen gibt. Da ist Richard (Nachnamen werden auf Wunsch nicht genannt), der nun für die Stadt arbeitet und befördert wurde. Er hat jetzt einen Führerschein und kann auf ein eigenes Auto sparen. Parallel dazu nimmt er an einem Intensivkurs in deutscher Sprache teil und kümmert sich um seine polnischen Landsleute, die noch nicht so gut die deutsche Sprache verstehen. Auch Adrian hat einen Job gefunden. Er hat im OMZ für sich und seine Familie vorerst ein Zuhause und sucht jetzt mit der Stadt ein Haus, in das  seine Familie, bestehend aus zehn Personen, passt. Bernhard hat endlich einen Platz für sein Werkzeug und kann Fahrräder reparieren und etwas aus Holz schaffen. Es ist etwas beengt, doch bald können Werkstätten eröffnet werden. Insgesamt wurden schon 16 Menschen in Wohnungen vermittelt und sieben bewohnen Hotelzimmer, sagt Gerigk.

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Anfangs habe es durchaus Probleme gegeben, räumt Gerigk ein. Es lag Müll und vergammeltes Essen im Garten herum. Die Stadt bemängelte den Brandschutz und zugeparkte Feuerwehreinfahrten. Doch mittlerweile hätten die etwa 35 Bewohner zueinander gefunden, veranstalteten freitags ein gemeinsames Plenum, bei dem Probleme und Aufgaben miteinander besprochen würden, und träfen sich sonntags zum gemeinschaftlichen Aufräumen. „Das ist nicht einfach, wenn man Jahre auf der Platte verbracht hat.“

Dokumentation von Arte

Funny und Spike haben ein kleines Musikstudio in Deutz aufgebaut, in dem Songs geschrieben werden und in dem sich andere Musiker und Musikerinnen ausprobieren dürfen. Musiker Spike hat 2020 selbst auf der Straßen gelebt, und hat Anfeindungen und Diebstahl erlebt. „Jeder, der auf der Straße gelebt hat, hat ein Trauma. Die Straße macht die Menschen kaputt.“ Zu ihm kommen Musiker, die sich ein Studio normalerweise nicht leisten können. Zehn bis zwölf Aufnahmen werden derzeit eingespielt.

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