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St. Marien-HospitalUnfallopfer, Bekiffte und alte Bekannte

3 min

Johannes Nachtkamp (oben, l.) und Schwester Waltraud (oben l.) behandeln in der Nachtschicht Patienten.

Köln – Nur die kleinen Augen von Dr. Alina Remagen verraten ein bisschen Müdigkeit. Seit zwölf Stunden ist die junge Internistin im St. Marien-Hospital im Dienst und die Patientin in Behandlungszimmer 6 ist nicht einfach zu beraten. Eingeliefert wurde die Frau mit dem Krankenwagen – Verdacht auf Krampfanfall, der sich aber als falscher Alarm entpuppt.

Jedenfalls ist die Frau nach einer gründlicher Untersuchung putzmunter und feilscht mit Pfleger Markus Mießlinger eifrig über die Praxisgebühr von zehn Euro, die die Patientin nicht zahlen will. Die Ärztin rollt mit den Augen. Dann fiept das Diensthandy, Remagen gibt der Intensivstation schnell eine ärztliche Anweisung und flitzt dann auf die Stationen, um nach den Patienten zu gucken.

Nachtdienst in der Notfallaufnahme im St. Marien-Hospital, das kann ein Knochenjob sein. Es gibt Tage, da rollen alle fünf Minuten Rettungswagen vor dem Krankenhaus am Kunibertskloster vor. Da kommen Menschen mit Psychosen, die sich schon mal für den Spezialagenten Jack Bauer aus der TV-Serie „24“ halten und angeblich auf der Suche nach einer Atombombe sind. Oder ältere Damen, die sich nach einem schlimmen Ehestreit nicht mehr nach Hause trauen und zuerst lieber ins Krankenhaus um die Ecke gehen als zur Polizei.

All das passiert nicht in dieser Nacht. Tagsüber wurden 32 Patienten behandelt, darunter zwei Fluggäste, die in der Boeing 737 der XL Airways durch leichte Rauchvergiftungen verletzt wurden, aber schnell entlassen werden konnten. Zu Beginn der Nachtschicht warten zwei Mädchen vor dem Behandlungszimmer, hat sich eine junge rothaarige Frau, die zum ersten Mal Marihuana probiert hatte, zum Ausnüchtern auf eine Liege gelegt und ein junger Österreicher auf Reisen sich irgendetwas in die Fersen getreten. „Ein ruhiger Montagabend“, sagt Remagen.

In solchen Nächten kommen aber auch Stammgäste wie Frida Halonen (Name geändert). Halonen, eine Frau mit weißen Jahren, alkoholgezeichnetem Gesicht und Rollwagen, lebt auf der Straße, trinkt manchmal zu viel und ist innerhalb der letzten vier Wochen bereits zum fünften Mal zu Gast im Marien-Hospital. Diesmal hat sie nach eigenen Angaben gleich drei Flaschen Wein getrunken, der Schwerkraft am Breslauer Platz Tribut gezollt und vom Sturz eine Schnittwunde neben dem rechten Auge davongetragen. Nachtkamp näht die Wunde mit drei Stichen, und kompliziert wird es erst als er Halonen eine Tetanus-Spritze geben will. „You want to kill me“, sagt die Frau argwöhnisch auf Englisch, sobald sie die Nadeln sieht. Sie beruhigt sich erst, als Pfleger Markus im PC herausbekommt, was Tetanus auf finnisch heißt – „Jäykkälouristus“.

1.30 Uhr, tote Hose im Marien-Hospital. Zeit für Pfleger und Ärzte, Papierkram zu erledigen und gegen die innere Müdigkeit anzukämpfen. „Nachtdienst ist schlecht für den Biorhythmus“, sagt Nachtkamp. „Wegen dem Kortisol“, ergänzt er und macht mit der Hand eine Wellenbewegung, die den Kortisolspiegel des Menschen darstellen soll. Morgens hoch, nachts tief. Soll heißen: Wer nachts arbeitet, arbeitet eigentlich gegen die Natur des Menschen. Spurlos gehe das nicht an den Kollegen nicht vorbei. Chirurgen stürben vergleichsweise früh – unter anderem wegen der Schicht- und Nachtarbeit.

Pfleger Markus drückt es anders aus: „Wer dauernd nachts arbeitet, hat ein Probleme mit seinem Sozialleben. Man ist auf der Arbeit oder schläft, wenn Freunde freihaben.“ Er kennt Kollegen, denen läuft die Freundin weg oder Rettungswagenfahrer, die mit 40 Jahren ausgebrannt sind. Ein Grund dafür ist die zunehmende Arbeitsbelastung in den Pflegeberufen. Schwerste Pflegefälle und Patienten mit Demenzerkrankungen häuften sich, und damit auch der Pflegeaufwand. „Die Arbeit auf der Pflegestation kann hart sein“, sagt eine Schwester. Markus stimmt zu: Die Anerkennung in Deutschland sei gering, die Bezahlung mäßig, dazu kämen Schichtdienste und Nachtarbeit „Aber der Job ist einfach sehr cool, weil man vielen Menschen helfen kann.“