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Kölner SPD-Doppelspitze„Es herrscht Chaos in der Stadt“

Lesezeit 7 Minuten
Das Bild zeigt die SPD-Vorsitzenden Claudia Walther und Florian Schuster.

Doppelspitze: Die beiden Kölner SPD-Vorsitzenden Claudia Walther und Florian Schuster.

Die SPD-Doppelspitze Claudia Walther und Florian Schuster, seit November 2022 im Amt, wirft Grünen, CDU und Volt vor, die Sorgen vieler Menschen zu vergessen.

Sie haben nach Ihrer Wahl von einen Riss in der Partei gesprochen. Wie fällt Ihre Bilanz bis heute aus, was sind die drängendsten Themen?

Claudia Walther: Wir haben uns viel vorgenommen, weil es auch viel zu verbessern gibt. Wir sind auf einem guten Weg. Beispielsweise hatten wir Ende Januar eine Klausurtagung, die sehr konstruktiv und nach vorn gerichtet war. Dort haben wir Spielregeln für die Zusammenarbeit festgelegt. Es ist wirklich Leben in der Bude.

Das war ja vorher auch schon der Fall, nur nicht immer positiv.

Walther: Ich meine, inhaltlich Leben in der Bude. Die Mitglieder wollen viel bewegen, wir haben neue Arbeitskreise gegründet, beispielsweise zum Frieden, der Migration oder der Verkehrspolitik. Schwerpunktthemen sind Bildung, Wohnen und Mobilität. Überall ist Aufbruch zu verspüren.

Florian Schuster: Es gab Konflikte, ja. Aber unser Anspruch ist, dass wir streiten wollen, aber wir wollen das intern und inhaltlich und absolut lösungsorientiert machen. Dafür braucht es Plattformen und die haben wir jetzt geschaffen. Wir haben fast die Hälfte aller SPD-Gliederungen seit unserer Wahl besucht und tauschen uns aus.

Wie zufrieden ist denn die Partei mit der Fraktionsarbeit?

Walther: Der Austausch ist viel besser geworden, wir sprechen uns sehr eng und vertrauensvoll ab mit der Fraktionsspitze um Christian Joisten. Natürlich gibt es manchmal Unterschiede in den Positionen, aber es läuft gut. Das zeigt sich gut am Beispiel der Kliniken, wo wir uns sehr intensiv ausgetauscht haben und jetzt kurz vor einer gemeinsamen Position stehen.

Die Landtagsabgeordneten haben eben keine Lust, dass in ihrer Legislaturperiode ein Krankenhaus bei ihnen vor der Haustür dicht macht.

Walther: Für uns ist wichtig, dass der Patient im Mittelpunkt steht. Dabei haben wir die benachteiligten Stadtteile besonders im Blick. Die Konzentration an einem Standort in Merheim klingt zunächst nicht nur schlecht, aber wir haben noch viele Fragen und deshalb natürlich Probleme damit.

Der Betriebsrat stützt dieses sogenannte 1+0-Modell.

Schuster: Das ist richtig, aber auch in der Belegschaft der städtischen Kliniken wird das heiß diskutiert. Es besteht bei den städtischen Kliniken ein riesiger Handlungsbedarf, weil das Problem sehr lange nicht angepackt worden ist, dafür ist unter anderem Oberbürgermeisterin Henriette Reker verantwortlich. Der jetzige Vorschlag der Geschäftsführung ist sehr stark betriebswirtschaftlich gedacht, das kann aber politisch betrachtet nicht die einzige Perspektive sein. Wir wollen die beste Gesundheitsversorgung für alle Kölnerinnen und Kölner gerecht über das Stadtgebiet verteilt. Und wir sind uns einig, dass in Holweide ein Krankenhaus stehen bleiben muss. Wir wollen Merheim stärken, aber einen medizinischen Kahlschlag an den bisherigen Standorten lehnen wir ab. Da sind wir uns absolut einig mit allen Akteuren in Partei und Fraktion. Die gesamte Krankenhausfinanzierung steht vor der Neuordnung, es macht keinen Sinn, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen.

Walther: Das gilt auch für die Amsterdamer Straße: ohne eine Bedarfsermittlung macht eine Neuordnung keinen Sinn!

Es herrscht Chaos in der Stadt. Das liegt nicht nur am Bündnis aus Grünen, CDU und Volt, aber eben auch.
Claudia Walther, SPD-Chefin

Seit 2015 stellt die SPD nicht mehr den OB und ist an keinem Mehrheitsbündnis beteiligt. Wie kann die SPD das 2025 ändern?

Walther: Es herrscht Chaos in der Stadt. Das liegt nicht nur am Bündnis aus Grünen, CDU und Volt, aber eben auch. Das wollen wir ändern und wir wollen jetzt kurz-, mittel- und langfristige Vorschläge erarbeiten, wie wir das erreichen. Mit diesen wollen wir ab 2025 wieder Mehrheiten erringen!

Aber die SPD-Fraktion ist nicht unbedingt ein Powerhouse im Stadtrat.

Schuster: Das sehen wir gar nicht so.

Walther: Die Fraktion macht sehr konkrete Vorschläge, etwa zu Schulen, zum ÖPNV, siehe den jüngsten Antrag zur Linie 13 als Ringbahn im Rechtsrheinischen …

Schuster: … oder zur Lösung der Wohnungskrise, siehe die Vorschläge zur Wohnbebauung über Parkplätzen. Daran arbeiten wir gemeinsam, denn das ist eine Verantwortung, die wir alle zusammen haben.

Heißt Verantwortung, dass die Partei die Fraktion stärker kontrolliert?

Schuster: Das hat mit Kontrolle nichts zu tun. Positionen zu entwickeln ist eine gemeinsame Sache von Partei und Fraktion. Ich will nicht verhehlen, dass das in der Vergangenheit nicht immer so funktioniert hat, wie wir uns das vorstellen. Wir haben auch oft gehört, dass die Zusammenarbeit verbessert werden soll, der Aufgabe stellen wir uns. Für die Themen Mobilität, Bildung und Wohnen erarbeiten wir gerade zusammen Konzepte mit den Mitgliedern von Partei und Fraktion, die auf einem Parteitag Ende Oktober beraten und abgestimmt werden. Mit diesem roten Faden, wie Köln besser gemacht werden kann, wollen wir wieder Wahlen gewinnen.

Aber schauen wir uns doch mal die Fraktion der vergangenen fünf Jahre an: Geschäftsführerin Barbara Lübbecke musste gehen, der damalige Vize-Fraktionschef Andreas Pöttgen wollte Fraktionschef Christian Joisten abwählen lassen, OB-Kandidat Andreas Kossiski zog sich aus dem Rat zurück, weil er nicht wie gewünscht Fraktionschef wurde. Jetzt wird Geschäftsführer Mike Homann freigestellt. Sie sprechen von Einigkeit, aber die SPD-Fraktion war die vorigen fünf Jahre eher ein Chaos-Haufen.

Schuster: Dass früher vieles nicht optimal war, ist offensichtlich. Aber es ist unsere Aufgabe, diese Sachen jetzt gemeinsam mit der heutigen Fraktion zu verbessern. Es gibt die große Bereitschaft aller, die Dinge zu verbessern und zu koordinieren. Dafür sind wir angetreten, und das machen wir konsequent über die nächsten Jahre.

Aber nochmal: Was will die SPD konkret besser und anders als das Bündnis machen?

Walther: Wo man hinschaut, gibt es Personal- und Fachkräftemangel. Um potenzielle Fachkräfte nach Köln zu holen und hier zu halten, muss sich viel tun: diese brauchen Schulen und Kitas für die Kinder, gute Verkehrsanbindungen und bezahlbare Wohnungen! Dafür machen wir Vorschläge.

Schuster: Es geht am Ende vor allem um Flächen und deren Verfügbarkeit, das ist der Flaschenhals, der fast alle Probleme verursacht. Aktuell höre ich da vor allem von den Grünen, dass Grünflächen absolute Priorität haben. Wir wollen auch Grünflächen, aber der Bau von Bildungseinrichtungen und von Wohnungen muss dieselbe Priorität haben bei der Flächenverteilung. Die Interessenabwägung in dieser Stadt muss anders werden.

Ist sie zu elitär?

Schuster: Ich mag den Begriff nicht, weil jeder etwas anderes darunter versteht.

Ist sie zu sehr an den Bedürfnissen der Menschen in der Innenstadt ausgerichtet, wo die Grünen sehr stark sind?

Schuster: Die Interessenabwägung ist nicht gut in Köln, Menschen mit geringen Einkommen sind viel zu wenig im Fokus. Politik kann nicht das eine tun und das andere lassen. Ich sehe beim Blockieren von Straßen viel Fortschritt, bei anderen Themen wie dem ÖPNV-Ausbau aber nicht. Das ist zu einseitig.

Walther: Das Bündnis hat die soziale Situation vieler Menschen nicht im Blick.

Wir sind gerade dabei, die Kriterien zu formulieren, die ein OB-Kandidat oder eine OB-Kandidatin erfüllen muss.
Florian Schuster SPD-Parteichef

2020 hat Katharina Barley als OB-Kandidatin für Köln abgesagt. Wie sieht es für die Wahl 2025 aus?

Walther: Frau Barley hat mit der Europapolitik jetzt ein anderes Spielfeld und macht dort hervorragende Arbeit.

Schuster: Wir sind gerade dabei, die Kriterien zu formulieren, die ein OB-Kandidat oder eine OB-Kandidatin erfüllen muss. Unter anderem die Frage, wie viel Verwaltungserfahrung nötig ist, spielt dabei eine Rolle. Für uns sind soziale Themen wichtig, das muss die Person verkörpern, klar. Nächstes Jahr soll ein Kandidat oder eine Kandidatin feststehen. Und dann kämpfen wir für eine sozialdemokratische Oberbürgermeisterin oder Oberbürgermeister.

Die große Entscheidung dieser Wahlperiode ist der mögliche Bau eines Tunnels auf der Ost-West-Achse für die Stadtbahn. Die SPD wollte 2019 sogar einen Tunnel von der anderen Rheinseite. Wie sieht es jetzt aus?

Schuster: Das ist ein Thema, mit dem wir uns nach Ostern weiter beschäftigen, erst dann werden wir uns dazu äußern.

Die SPD ist nicht mehr an Bord für einen Tunnelbau?

Schuster: Wie kommen Sie darauf? Wenn die neue Verwaltungsvorlage vorliegt, werden wir das mit Partei und Fraktion intensiv beraten.

Früher war sie aber eindeutig dafür. Dann wäre eine Mehrheit für den Tunnel zumindest denkbar.

Schuster: Die Entscheidungsgrundlage wird ja jetzt durch eine Verwaltungsvorlage dazu noch einmal gründlicher. Danach werden wir uns positionieren.

Walther: Wir wollen der internen Diskussion nicht vorgreifen. Wir gehen das ergebnisoffen an.

Wo sehen Sie die größeren Schnittmengen nach der Wahl 2025: mit den Grünen oder der CDU?

Schuster: Das entscheiden wir erst, wenn es wo weit ist. Unser Maßstab ist unser Markenkern: eine soziale Politik für Köln.


Zu den Personen:

Claudia Walther, 60 hat ein abgeschlossenes Studium Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik. Seit dem Jahr 2001 arbeitet sie bei der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh im Programm LebensWerte Kommunen. Walthers Schwerpunkt ist dabei die Integration in Kommunen.

Florian Schuster, 29, hat Mathematik, Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Köln, Madrid und Siegen studiert. Er arbeitet beim Dezernat Zukunft.

Walther und Schuster führen die Kölner SPD als neue Doppelspitze seit November, sie lösten Christiane Jäger ab.

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