Ansturm auf Kölner Tafel„Im Supermarkt kann ich mir vieles nicht mehr leisten”

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Das Team der Neubrücker Tafel

Köln – Früher hieß es einmal, dass Armut meist unsichtbar sei. Auf dem Platz vor der evangelischen Freikirche an der Rösrather Straße in Neubrück ist sie allerdings sehr präsent. Hier warten an diesem Mittwochnachmittag Dutzende Menschen vor der Essensausgabe der Kölner Tafel auf eine große Tüte, vollgepackt mit Lebensmitteln. Die Auswahl, die das Team um Leiter Jürgen Geßner anbieten kann, ist nicht klein. Es gibt Obst und Gemüse, Brot und Joghurt und vieles anderes für einen symbolischen Betrag von einem Euro.

Geßner (65) versteht etwas von Lebensmitteln. 30 Jahren lang hat er in Rath-Heumar einen kleinen Supermarkt geführt. Als er vor vier Jahren in Rente ging und die Kölner Tafel bei der Freikirche anfragte, ob sie eine Essensausgabe einrichten könnten, musste er nicht lange überlegen. Seitdem sperrt er jeden Mittwoch die Essensausgabe auf, die seit der Pandemie in einem Zelt vor der Kirche zu finden ist. Nimmt Lebensmittel an, die die Supermärkte in der Umgebung nicht mehr verkaufen können, weil sie kurz vor dem Verfallsdatum stehen.

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Immer mehr Menschen kommen zur Tafel.

Seitdem die Inflation grassiert und die Preise explodieren haben immer mehr Kölner immer weniger Geld zur Verfügung. Im Mai war die Inflation laut Statistische Bundesamt um 7,9 Prozent geklettert – so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Für Nahrungsmittel mussten die Menschen 10,7 Prozent mehr binnen eines Jahres zahlen, für Strom, Gas und Brennstoffen sogar 36,8 Prozent. Das macht sich auch in Neubrück bemerkbar. „Wir erleben im Moment einen unglaublichen Ansturm“, sagt Geßner.

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In der Essensausgabe haben sie vor dem Krieg in der Ukraine 80 Familien mit Lebensmitteln versorgt. Seit Februar hat sich die Anzahl auf 170 verdoppelt. Es kommen alleinerziehende Mütter, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt bekommen sollen. Rentnerinnen, deren Männer verstorben sind und deren Rente sich damit auch verringert hat. Junge Familien und Flüchtlinge aus der Ukraine. Denn Armut ist auch in Köln weit verbreitet: Laut dem Lebenslagenbericht aus dem Jahr 2020 ist gut jeder vierte Kölner oder Kölnerin von Armut bedroht, etwa 200.000 Kölner und Kölnerinnen leben von Hartz IV.

200.000 Kölner leben von Hartz IV

Die über 960 Tafeln retten bundesweit überschüssige, qualitativ einwandfreie Lebensmittel und verteilen diese an Menschen, die in Not sind. Pro Jahr sind es rund 265.000 Tonnen Lebensmittel, die an mehr als 1,6 Millionen Menschen weitergegeben werden. Für viele Menschen ist sie ein Ersatz oder zumindest ein Zusatz für staatliche Leistungen geworden, was die Leiterin der Kölner Tafel, Karin Fürhaupter, nicht gerne hört. „Die Tafel hat nicht die Aufgabe, alle Menschen zu versorgen“, sagt sie. Man könne nur Essen verteilen, das Supermärkte spenden.

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Uliana Grigorieva (l.) und Natalia Shutova

Für viele Geflüchtete aus der Ukraine ist die Tafel ein Rettungsanker. Uliana Grigorieva (36) ist mit ihrem achtjährigem Sohn und Cousine Natalia Shutova (32) im März aus der Ukraine geflohen, als die Raketen auf ihre Heimatstadt Dnipro niedergingen. Tagelang sind sie im Zug nach Deutschland gefahren und leben jetzt in einem Wohnheim für Geflüchtete an der Winterbergerstraße in Merheim. In Dnipro hat sie als Schmuckdesignerin gearbeitet, jetzt muss sie mit 370 Euro Sozialhilfe auskommen. „Ohne die Tafel hier ginge es nicht“, lässt sie eine russischsprachige Übersetzerin der Tafel übersetzen.

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Monika Zetsche

Auch Monika Zetsche bekommt die Preiserhöhungen mit voller Wucht zu spüren. Die Rentnerin war lange verheiratet und hat als Hausfrau gearbeitet. Viel Rente kommt da nicht zusammen und als der Mann sie verließ, war sie auf staatliche Unterstützung angewiesen. 600 Euro hat sie zum Leben, das Amt bezahlt die Miete. „Die Sachen im Supermarkt sind jetzt aber so teuer, dass ich mir vieles nicht mehr leisten kann“, sagt die 68-Jährige.

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Sonja Friedrich

Sonja Friedrich (61) hat lange als Schreinerin gearbeitet und später einen Obstladen geführt. Nun ist sie gehbehindert, hat einen schwere Operation an der Bauchspeicheldrüse hinter sich, ihr Mann ist vor einiger Zeit verstorben. „Arbeiten kann ich nicht mehr“, sagt die Frau, die im Rollstuhl vor der Tafel sitzt. „Anfangs ist es mir schwer gefallen hierhin zu kommen“, sagt sie. „Man kommt sich ja als Bittsteller vor. Aber eigentlich ist es ein Skandal, dass man vom Staat nicht so viel bekommt, wie man zum Leben braucht.“

„Wir schaffen es nicht mehr”

Das findet Leiter Geßner auch, wenn er es auch höflicher ausdrückt. „Besser wäre es, wenn es uns gar nicht geben müsste.“ Klar ist aber, dass auch die Tafeln nicht alles auffangen können, was durch die Maschen des Sozialstaats rutscht. Sein Team mit 25 ehrenamtlichen Helfern arbeite bereits jetzt am Limit. „Es ist zu viel, mehr schaffen wir nicht mehr.“ Das hat erste Auswirkungen auf den Betrieb der Tafel: Weil der Ansturm so groß ist, dürfen die Menschen derzeit nur noch alle zwei Wochen kommen.

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