Veedels-CheckWesthoven ist begehrt zum Wohnen, Feiern und für Ausflüge

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Das Fort IX in Westhoven verfällt leider zusehends.

Köln-Westhoven – Nachbarorte sind nicht von Natur aus in Freundschaft verbunden. Oft entstehen Rivalitäten, deren Quelle nach Generationen kaum mehr offenkundig ist. Für Westhoven und Ensen gilt das nicht. „Westhoven ohne Ensen zu beschreiben ist in etwa so, wie siamesische Zwillinge zu trennen“, sagt Heike Reiferscheid, 1. Vorsitzende der Bürgervereinigung Ensen-Westhoven, und ergänzt: „Seit Ewigkeiten verstehen sich die Bewohner als die des Doppelortes. Viele wissen gar nicht, wo die Grenze verläuft.“

Dieses Unwissen ist weit verbreitet: Die Westhoven-Karte auf Wikipedia zieht eine gerade Grenzlinie zu Ensen entlang der Gilgaustraße. Ganz falsch, sagen Heike Reiferscheid und ihre Vorstandskollegin Rita Wessel-Blindert mit Verweis auf die städtische Kartographie. Im Mädchennamenviertel bildet die Viktoriastraße die Grenze, zum Rhein hin führt sie nördlich vom Meisenweg im Zickzack zur Schönen Aussicht. Aber das sei egal, finden die Bewohner. Seit Ensen und Westhoven im Jahr 1100 über die Vereinigung der kirchlichen Gemeinden zusammenkamen, hat sich das Trennende verflüchtigt. Man teilt sich Kirchen, Schulen, Kitas, Vereine.

Das kleine Einkaufszentrum von Ensen betrachten auch Westhovener als das ihre. Mehr als die Veedelsgrenze markiert die Kölner Straße eine Trennung innerhalb des Veedels.

Zwar gibt es hüben wie drüben reizende Wohnstraßen, in denen alte und neue Ein- und Mehrfamilienhäuser mit gepflegten Gärten Behaglichkeit ausstrahlen. Am begehrtesten sind aber die Wohnlagen nah am sonnenverwöhnten Rheinufer. Ach, dieses schöne Rheinufer! Nur etwa zweieinhalb Kilometer davon nennt Westhoven sein Eigen, inklusive des Abschnitts hin zur Rodenkirchener Brücke, das früher militärisch genutzt war. Dass die Wegeverbindung nach dem Truppenabzug der Belgier wieder geöffnet wurde, kommt dem Veedel sehr zugute. Hat der Leinpfad an den Wohngebieten nur etwa drei Meter Breite, wird er an der Westhovener Aue viel weiter. Am Fluss lässt sich lauschig lagern, während die Aue zu Spaziergängen einlädt. Stets auf den Wegen, natürlich, denn es könnten Kampfmittelreste im Gelände sein. Und streng geschützte Tierarten wie die seltene Wechselkröte sollen nicht gestört werden.

Heike Reiferscheid nimmt an, dass der Westhovener Leinpfad an schönen Wochenenden einen Nutzungsvielfalt-Rekord aufstellt: Spaziergänger mit und ohne Kinderwagen, Hund oder Rollstuhl, Skater, Radler teilen sich die „Zank-Allee“, wie sie den Weg nennt. Da bleiben – zum Glück meist verbale – Zusammenstöße nicht aus. Zudem ziehen Schafherden über den Pfad, Fledermäuse flitzen zum Wasser, und an lauen Sommerabenden setzen Glühwürmchen zauberhafte Lichter aufs Ufergebüsch.

Auf just solche Abende hoffen die Wesshovver Jonge un Mädche, wenn sie ihr Johannisfeuer (auf Ensener Gebiet) am Rhein entzünden. Sie gehören zu den Traditionsvereinen, sorgen mit ihrem Schürreskarr-Rennen und mit Karnevalsaktivitäten für dörflich-buntes Flair. Jeck sind die Westhovener schon lange: Auch bei den Fussije Lumpe, den Chaoten oder der Kannibalenhorde leben sie närrische Freude aus. So paradiesisch wie vor 80 Jahren, als den damals 3600 Bewohnern ebenso viele Sitzplätze in Sälen zur Verfügung standen, ist es für Vereinsfeiern nicht mehr. Dafür haben die Westhovener ihren Engelshof, ein Bürgerzentrum für Kultur, Freizeitgestaltung und Veranstaltungen jeglicher Couleur.

Im Engelshof baut die Bürgervereinigung gerade ein Archiv auf, das zum „Gedächtnis des Doppelortes“ werden soll, wie Reiferscheid und Wessel-Blindert betonen. Da finden sich Erinnerungen an Westhoven als Ankerplatz für die Aalschokker, als Standort einer Fabrik, in der ein Segelflugzeug mit Motor entwickelt wurde, als Ziegelei- und Industrieort, als rechtsrheinisches Glied im Festungsgürtel mit dem Fort IX und dem Zwischenwerk IX a, die allerdings zusehends verfallen. Zu den bemerkenswerten Bauwerken und Denkmälern zählen zudem die Villa Mannesmann und das Wasserwerk, das Trinkwasser liefert.

Hier haben schon rekordverdächtig viele Pänz auf dem Lehrpfad erfahren, wie Wasser gewonnen und geschützt wird.

Die Sportvereine wie der TV Ensen-Westhoven mit acht Abteilungen, der Fußballverein BV Westhoven- Ensen, der Boxverein und die Bogenschützen verstärken das Gemeinschaftsgefühl. Sie leiden allerdings darunter, dass die Turnhalle der Schule in der Berliner Straße trotz Zusagen der Stadt nicht renoviert wurde und nicht nutzbar ist. Ein Wahrzeichen des Orts ist die Nikolauskapelle inmitten eines alten Friedhofs über dem Rheinufer.

Auf der östlichen Seite der Kölner Straße ist die Forensik, in der psychisch kranke Straftäter betreut werden. Der ruhige Betrieb und die gute Informationspolitik auch über den Beirat haben dazu geführt, dass sich die zunächst heftigen Widerstände gegen die Einrichtung gelegt haben. Im Osten liegen zudem die Mudra-Kaserne als ein großer Arbeitgeber und – neben weiterem Gewerbe – die süße Seite, die frühere Fertigung der Schokoladenfirma Stollwerck.

Hinter diesen Gebäuden befindet sich seit 27 Jahren eine weitere Besonderheit von Westhoven, das Zentrum für Therapeutisches Reiten. Von der Imhoff-Stiftung und Sponsoren gefördert, sorgt die Einrichtung dafür, dass Kinder, Jugendliche und zunehmend auch Erwachsene mit Handicap über das Reiten und den Kontakt mit Pferden therapiert werden. Pro Woche erfahren gruppenweise 170 Teilnehmer aus Förderschulen und weiteren Einrichtungen für kranke und behinderte Menschen Hilfe über das Medium Pferd.

„Diese Therapie bringt Fortschritte für die Persönlichkeitsentwicklung, Wahrnehmung, Rücksichtnahme, aber auch motorische Fähigkeiten und das Gleichgewicht werden geschult“, sagt Leiterin Anja Reinhardt. Seit der Eröffnung des Zentrums arbeitet sie mit den Therapiepferden, von denen es inzwischen 16 (plus drei Pferde in Rente) gibt. Das Therapiezentrum liegt für die Kleingärtner in der Nachbarschaft günstig: Sie können sich Pferdemist zum Düngen abholen und bringen für die Tiere zum Dank altes Brot oder Fallobst mit. „Unsere Tür ist immer offen“, sagt Reinhardt, die zum Wohl für Pferd und Mensch nur einen Wunsch hat: Zu gern würde sie die Westhovener Aue zu Ausritten mit den jungen Gästen nutzen dürfen.

Die wichtigsten Baustellen in Westhoven

Mit dem Bevölkerungszuwachs auch in Stadtteilen südlich von Westhoven sind die Verkehrsprobleme gewachsen. Die vierspurige Kölner Straße trennt das Veedel in zwei Hälften, sie ist stark befahren, und im Berufsverkehr kommt es häufig zu Staus. Steht der Verkehr auf der Autobahn, dann steht er bald auch auf der Kölner Straße. Die kleineren Westhovener Straßen sind bei ihrer Anlage nicht dafür konzipiert worden, so viel Verkehr und geparkte Autos aufnehmen zu müssen. Um den Verkehrsfluss zu erleichtern und Gefahrenstellen im Begegnungsverkehr zu entschärfen, wünscht sich die Bürgervereinigung schon lange ein wohldurchdachtes Einbahnsystem. Und natürlich träumt man auch in Westhoven von Verbesserungen im öffentlichen Personennahverkehr – die Stadtbahnlinie 7 ist überlastet. Allen Forderungen nach einer neuen Buslinie ins Linksrheinische über die Rodenkirchener Brücke hat die Stadt bisher aber stets eine Absage erteilt. Viele Bewohner wünschen sich zusätzlich zum Einkaufsangebot im benachbarten Ensen weitere Geschäfte des täglichen Bedarfs– einen Drogeriemarkt zum Beispiel.  

Die Geschichte Westhovens

Schon in der jüngeren Steinzeit war das heutige Westhoven besiedelt, wie Keramikfunde zeigen. Urkundlich wurde der Ort erstmals im Jahr 922 – in einer gefälschten Urkunde für das Kloster der Heiligen Jungfrauen, das heutige St. Ursula – erwähnt. Im Jahr 1003 bekam die Abtei Deutz von Erzbischof Heribert von Köln den Zehnten des Gutes Westhoven zugesprochen. Auf dem abteieigenen Hof zu Westhoven wurde 1100 die Nikolauskapelle errichtet, die in den französischen Revolutionskriegen das einzige nicht niedergebrannte Gebäude des Orts blieb. Mit der Errichtung des Großherzogtums Berg (1806) und der Neugliederung der Verwaltung nach französischem Vorbild (1808) kam Westhoven an das Département Rhein. Seit 1815 gehörte Westhoven zum Königreich Preußen, seit 1929 zum Amt Porz und seit 1932 zum Rheinisch-Bergischen Kreis. Seit 1975 ist der Ort ein Stadtteil Kölns. Bis 1995 war das belgische Militär in der Kaserne Brasseur am Rhein ansässig. Nach dem Truppenabzug wurde der Jahrzehnte gesperrte Leinpfad an den Westhovener Auen wieder geöffnet; das Gelände ist inzwischen zu weiten Teilen Wasserschutzzone und Flut-Retentionsraum. (bl) 

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