Kolumne zum MundschutzEine Maske zu tragen ist doch ein angemessener Preis!

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Coronavirus

  • Als Frank Nägele die Maske in den letzten Wochen beim Einkaufen trug, gehörte er noch einer Minderheit an. Aber er wollte üben.
  • Nun ist der Tag gekommen, an dem das Tragen zur Pflicht wird. Ob wir uns je daran gewöhnen können?

Meine Maske ist weiß und zu 100 Prozent aus Baumwolle. Sie erfüllt keinen medizinischen Mindeststandard wie die filtrierenden Halbmasken FFP2/FFP3 oder der bei Operationen gebräuchliche Mund-Nasen-Schutz. Aber sie verhüllt mein Gesicht zum Zeichen, dass die Lage ernst ist.

Als ich die Maske in den letzten Wochen beim Einkaufen getragen habe, gehörte ich noch einer Minderheit an, aber ich wollte üben, denn es war klar, dass der Tag kommen würde, an dem das Tragen zur Pflicht wird. Dieser Tag ist jetzt gekommen. Er markiert einen tiefen kulturellen Einschnitt im Zusammenleben der Menschen unseres Landes.

Frank Nägele

Autor Frank Nägele mit Maske

Wo immer wir ihnen im öffentlichen Raum begegnen werden, müssen wir auf den wichtigsten Teil der sozialen Interaktion mit ihnen verzichten – die vollständige Wahrnehmung des anderen Gesichtes. Es gibt kein Lächeln mehr, kein verächtliches Kräuseln der Lippen, kein bockiges Zusammenpressen der Lippen, kein erschlafftes Vor-Sich-Hinstarren mit halb geöffnetem Mund. Es gibt nur noch Stirn und Augen. Der Rest ist Maske.

Zeichen für den Ausnahmezustand

Es ist nicht schlimm, Masken seltsam, furchteinflößend oder bedrohlich zu finden, denn darin bestand für lange Zeit ihre Aufgabe. In den Kulten vieler afrikanischer und indigener Völker war die Maske wichtiger Bestandteil ritueller Handlungen. Man brauchte sie, um Gottheiten und Naturgewalten anzurufen oder mit Ahnen Kontakt aufzunehmen. Und wenn in Ägypten große Herrscher starben, erhielt man ihre Gesichter in Form von Totenmasken für die Ewigkeit. An all dem war selten etwas Heiteres.

Die Maske ist, sofern sie von Lebenden getragen wird, das Zeichen für einen Ausnahmezustand. Deshalb sollten wir uns, unabhängig von medizinischen Standpunkten, die erfahrungsgemäß von Experte zu Experte variieren können, an sie gewöhnen, denn dieser Ausnahmezustand wird sehr lange dauern. Es gibt nur zwei Dinge, die uns vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen: Isolation und ein hoch wirksamer Impfstoff. Das eine ist nicht lange durchzuhalten, das andere wird auf sich warten lassen. Dazwischen gibt es nur Vernunft und Masken. Und weil ich glaube, mit der Entstellung durch die Maske in der Öffentlichkeit vernünftiger zu wirken, ziehe ich sie mir an.

Tun wir so, als wäre es möglich, sich an sie zu gewöhnen

Der Preis ist in meinem Falle allerdings hoch. Die Kunst, die Schnüre der Baumwollmaske hinter dem Kopf mit Schleifen selbst zu befestigen, erfordert Geschick und Geduld. Über beides verfüge ich in eingeschränktem Maße. Also erfordert sie auch Disziplin. Nur mit höchster innerer Zucht wird daraus kein Teufelskreis. Einatmen geht gut, beim Ausatmen allerdings beschlägt die Brille. Der Anblick des einzigen Menschen, in dessen Nähe ich mich laut Gesetz dauerhaft aufhalten darf, erfordert Gewöhnung. Normalerweise steht in ihrem Gesicht geschrieben, was als nächstes zu tun wäre. Jetzt muss ich alles erfragen. Allerdings verändert die Maske auch das Sprechen und Verstehen. Beides wird anstrengender. Auch die Belohnung in Form eines dankbaren oder aufmunternden Blickes ist nicht mehr verfügbar. Der einzige Mensch, in dessen Nähe ich mich laut Gesetz dauerhaft aufhalten darf, teilt das Schicksal aller mienenlos Gewordenen. Und ich mag den Anblick von Lippenstift in der Öffentlichkeit.

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Es scheint ausgeschlossen, dass die Maske innerhalb einer Zeitspanne, deren Benennung uns keine Angst machen würde, wieder aus dem Alltag verschwindet. Also tun wir so, als wäre es möglich, sich an sie zu gewöhnen. Wenn sie mittelfristig dazu führt, dass der Rest des Lebens wieder ein wenig normaler wird, wäre das immer noch ein angemessener Preis. Und selbst wenn nicht, könnte ich irgendwann mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen. Allerdings wird mir niemand verbieten können, die Maske vorher auszuziehen.  

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