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Kölner WestenWiddersdorf wächst langsam zusammen

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Das Neubaugebiet Widdersdorf Süd. Eine Dronenaufnahme zeigt die Ausmaße des schachbrettartig geplanten Viertels.

Das Neubaugebiet Widdersdorf Süd.

Im Westen Kölns entstand vor rund zehn Jahren Europas damals größte Neubausiedlung. Die meisten Widdersdorfer sehen die Entwicklungen heute positiv, auch wenn es immer noch viel zu tun gibt.

Bereits am Ortseingang müssen Autofahrer sich entscheiden, ob sie die Hauptstraße nach Alt-Widdersdorf nehmen oder die Straße Unter den Linden, die durch den neuen Ortsteil führt. Querverbindungen fehlen im Viertel. Straßen, die dafür in Frage kamen, wurden mit Pollern für die Durchfahrt gesperrt, als vor 13 Jahren auf den großen Äckern im Süden des Viertels Deutschlands damals größtes Neubaugebiet aus dem Boden wuchs, denn in Alt-Widdersdorf fürchtete man sich vor dem Verkehr, der künftig durchs Viertel rollen würde – vielleicht auch generell vor dem gigantischen Zuwachs.

Bis 2009 war Widdersdorf ein beschaulicher Ort ganz im Kölner Westen mit 6500 Einwohnern. Dann schmiedete der Investor Amand große Pläne: Straßen voller Neubauten, vor allem Einfamilienhäuser, Kitas und die Internationale Friedensschule. Widdersdorf wuchs auf 12.500 Einwohner an. Man sprach damals sogar vom größten Neubaugebiet Europas und stand somit vor großen Herausforderungen. Zunächst vor der, dass das alte Dorf und das Neubaugebiet zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen mussten. Vor zehn Jahren berichtete diese Zeitung darüber. Zeit für eine Bestandsaufnahme. Mittlerweile sehen viele Widdersdorfer die Entwicklung positiv.

Planungsfehler machte Kölner Schülern die Wege lang

Ein Beispiel ist Melanie Bollhorst von der Widdersdorfer Dorfgemeinschaft, die selbst in Alt-Widdersdorf lebt. „Wir haben durch das Neubaugebiet sehr viele neue Mitglieder gewonnen“, sagt sie. Viele Neu-Widdersdorfer kommen auch zu unseren Veranstaltungen.“ Melanie Bollhorst, Mutter von zwei Kindern, hat sich über den Zuzug der vielen Familien gefreut. In den Kindertagesstätten und Schulen hat sie viele neue Kontakte geknüpft und nun viele Freunde im Neubaugebiet. Allerdings gab es für die Familien auch jahrelang das große Problem, einen Schulplatz für den Nachwuchs zu finden.

CDU-Ratsfrau Teresa De Bellis, die selbst mit ihrer Familie im Viertel lebt, sieht die Ursache in einem Fehler bei der Planung, denn es war ja bekannt, wie viele Kinder in Widdersdorf leben. „Der Planungsfehler ist der Stadt im Jahr 2016/17 auf die Füße gefallen, als die ersten Grundschüler auf die weiterführenden Schulen wechselten.“ Damals sollten Widdersdorfer Schüler das Gymnasium in Mülheim besuchen, also den viel zu weiten täglichen Weg auf die andere Rheinseite auf sich nehmen.

13 Jahre später immer noch keine Straßenbahn in Kölner Viertel

Schließlich fand sich eine Notlösung, indem weitere Plätze am Apostelngymnasium in Lindenthal geschaffen wurden. Mittlerweile hat sich die Lage verbessert. Die Grundschulen im Viertel sind erweitert worden. Die Friedensschule, eine Privatschule für Schüler aus der ganzen Stadt, ist nach Ossendorf gezogen. In ihrem ehemaligen Schulgebäude ist nun das neue Gymnasium Widdersdorf untergebracht.

Im benachbarten Lövenich hat an der Zusestraße ein Gymnasium eröffnet. Das Neue Gymnasium Müngersdorf im ehemaligen Unity-Media-Gebäude ist eine weitere Anlaufstation. Auf die Stadtbahn warten die Widdersdorfer nun allerdings noch immer, obwohl die Straße Unter den Linden bereits bei ihrem Bau in der Mitte eine Fläche für eine Straßenbahntrasse erhalten hat. Die Bahn fährt dort allerdings auch 13 Jahre später noch nicht. „Sie hätte schon viel früher auf den Weg gebracht werden müssen“, sagt De Bellis.

Eigener Park fehlt dem Kölner Stadtteil

Lange gab es Diskussionen, ob die KVB-Linie 1 oder die Linie 4 nach Widdersdorf verlängert werden soll. Mittlerweile hat der Verkehrsausschuss beschlossen, dass die Stadtbahnlinie 4 bis nach Widdersdorf führen soll. Bis sie durch das Viertel rollt, werden allerdings weitere zwölf Jahre vergehen. Immerhin bindet der Expressbus der Linie 172 das Viertel an die Innenstadt an. Seit November vergangenen Jahres fährt die Buslinie 149, die bislang nur zwischen dem Neubaugebiet und Weiden verkehrte, auch nach Alt-Widdersdorf mit dem neueren Teil, so dass die älteren Menschen aus dem alten Teil nun besser einkaufen können. Zu Fuß war der Weg zu den großen Supermärkten, die am Rand des Neubaugebiets entstanden sind, für viele einfach zu weit.

„Leider ist die Taktung am Wochenende eine Katastrophe“, so De Bellis. Widdersdorf liegt in der Nähe des Landschaftsparks Belvedere, aber ein eigener Park fehlt. Allerdings gibt es Pläne, am Viertelsrand weiter zu bauen. Das stößt vor Ort auf Widerstand. „Sicherlich“, sagt De Bellis, „so, wie der neue Teil von Widdersdorf damals gebaut wurde, würde es heute nicht mehr geschehen. Nach dem politischen Willen und den Wünschen der Investoren würden heute die Einfamilienhäuser mit größeren Mehrfamilienhäusern gemischt. In Widdersdorf weiter zu bauen, hält die Widdersdorferin aber für eine schlechte Idee: Die Luftschneisen im Viertel, das wenig Grün aufweist, dürften nicht zugebaut werden. Gerade für ältere Kinder und Jugendliche fehlen auch Freizeitangebote.

Trauer über Kneipensterben

Der Sportverein Lövenich/Widdersdorf – kurz Löwi – ist sehr aktiv und eine Anlaufstelle für viele, ebenso das Jugendzentrum Alte Schule, aber an passenden Aufenthaltsorten für Jugendliche mangelt es darüber hinaus. Doch bald wird es eine Möglichkeit für die jungen Widdersdorfer geben, sich auszutoben: Eine neue Skateranlage soll in naher Zukunft auf einer Wiese an der Neuen Sandkaul entstehen. Viele Nachbarn betrauern das Kneipensterben in Widdersdorf: „Es gab früher das Restaurant Zur Linde an der Hauptstraße“, erzählt Melanie Bollhorst. Dort haben die Widdersdorfer gerne ihre privaten Feste gefeiert. Doch das Lokal wich einem Neubau. „Auch die meisten anderen Kneipen und Restaurants sind nach und nach zugemacht worden“, so Bollhorst. Teilweise wurden sie durch Wohngebäude ersetzt oder als Büros umgenutzt. Übrig blieb die kleine Dorfkneipe „Em Övvje“.

„Sie zieht allerdings wenige Leute aus dem Neubaugebiet an“, erzählt Bollhorst. Sie bevorzugen eher das Restaurant L’Osteria, das an der Zusestraße liegt, eigentlich schon in Lövenich. Über einen Neuzugang freuen sich die Widdersdorfer allerdings: Auf dem Jakobsplatz gibt es ein neues Eiscafé mit einer gemütlichen Einrichtung und Außenterrasse, das zudem leckere Eisbecher serviert. Es belebt den kleinen Platz, der recht zentral an der Straße Unter den Linden liegt. Schon lange träumen viele Menschen davon, dass er ein Treffpunkt im Viertel wird.

Hauptstraße ist nicht besonders attraktiv

Angeblich seien zunächst die Eigentümer der anliegenden Häuser dagegen gewesen aus Angst vor Lärm – und so konnte bislang kein Gastronom dort einziehen. Seit das Neubaugebiet entstanden ist, gibt es in Widdersdorf einige große Supermärkte, eine Edeka-, eine DM- und eine Aldi-Filiale, allerdings am Rand des Neubaugebietes und somit für viele Alt-Widdersdorfer schwer fußläufig erreichbar. Es gab zwei Hofläden, die allerdings mittlerweile dicht gemacht haben. Zwei Versuche, einen Wochenmarkt in Widdersdorf zu etablieren, scheiterten ebenfalls.

Wolfgang Goeritz, Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft Widdersdorf, die sich ebenfalls für Verbesserungen im Viertel einsetzt, sieht einen Grund darin, dass die Händler bereits in anderen Wochenmärkten in anderen Vierteln zu festen Zeiten eingebunden sind und nicht mehr viele Kapazitäten hatten. Melanie Bollhorst sieht noch einen anderen Grund: „Die Märkte waren einfach nicht ausreichend gut besucht.“ Die Hauptstraße bietet wenig und lädt nicht gerade zum Bummeln ein.

Kleine Läden und Gastronomie fehlen

Kleine schmucke Läden fehlen genauso wie die Gastronomie. Die Interessengemeinschaft Widdersdorf schmiedete vor Jahren mit dem Investor Amand Pläne, die Hauptstraße für Besucher attraktiver zu machen. Wolfgang Göritz und Christian von Bock, ebenfalls Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft Widdersdorf, erinnern sich an einige Details: „Es gab die Idee, Parkbuchten anzulegen, die Straße zu begrünen und die Gehwege zu sanieren“, sagen sie. „Leider ist das mit hohen Kosten verbunden und wir wissen nicht, wie die Umgestaltung finanziert werden könnte.“ So gibt es noch einiges zu tun in Widdersdorf. Weil sich im Viertel bereits vieles verbessert hat, bleiben die Widdersdorfer optimistisch.

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