Flucht über das MittelmeerFamilie aus Afghanistan sucht neues Zuhause in Köln

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Familie Ashrafi sitzt auf dem Sofa.

Azada, Gulrung, Hasina und Zamanuddin Ashrafi (v.l.) in ihrer derzeitigen Wohnung an der Indianapolis-Straße.

2015 flüchtete Familie Ashrafi aus Afghanistan nach Köln. Hier baute sie sich ein neues Leben auf und hofft, weiterhin in ihrer Wahlheimat bleiben zu können.

Familie Ashrafi ist am Randkanal zu Hause, in einer schönen Wohnung an der Indianapolis-Straße in Widdersdorf. Sie liegt nicht weit von der Turnhalle entfernt, in der sie Ende 2015 ihr erstes notdürftiges Lager aufschlug, im 100-Etagenbetten-Schlafsaal. Doch zwischen dem Lebensgefühl der Ashrafis damals und heute liegen Welten.

Familie flüchetet mit dem Boot über das Mittelmeer

Die drei Geschwister Zamanuddin, 23 Jahre alt, Hasina, 22, und Azada, 21, waren beim vergangen Widdersdorfer Karnevalszug als Wagenengel unterwegs, sind Teil der Dorfgemeinschaft und den Akzent losgeworden, der noch daran erinnerte, dass sie vor acht Jahren zu den Menschen gehörten, die mit einem Boot über das Mittelmeer flüchteten. Sie kamen aus Afghanistan, wollten nach Europa, suchten Sicherheit. „Wir hatten die ganze Zeit die Angst im Gepäck“, schildert Hasina. Die Panik vor dem, was geschehen könnte, wenn sie blieben, wog jedoch schwerer.

Die Familie steht in Kostümen auf einer Straße.

Familie Ashrafi beim Karneval in Widdersdorf.

Afghanistan ist kein Ort, den die Geschwister Heimat nennen könnten. Sie erinnern sich kaum an ihr Herkunftsland. Zamanuddin war zwei Jahre alt, Hasina ein Jahr, als ihre Mutter Gulrung, erneut schwanger, aus einem Dorf in der afghanischen Provinz Baglan floh, nachdem die Taliban ihren Mann und Vater ihrer Kinder ermordet hatten. Das war 2001. Azada wurde in einem Flüchtlingslager in Pakistan geboren. Dort verbrachten die drei den Großteil ihrer Kindheit. Später hatten sie eine kleine Wohnung. Doch sicher waren sie auch dort nicht.

Im Heimatland Afghanistan als Außenseiter malträtiert

Sie wurden belästigt, bedroht, verfolgt, flüchteten zurück nach Afghanistan, weil sie glaubten, die Lage habe sich entspannt, bemerkten aber, dass dies ein Irrtum war. Die Ashrafis wurden in ihrem Heimatland erneut als Außenseiter malträtiert, aufgrund ihrer Religion. Sie sind Ismailiten. Die Religionsgemeinschaft steht für einen toleranten Islam, hält Glauben und Demokratie für vereinbar, setzt vor allem auf Bildung – auch, im Gegensatz zu den Taliban, für Frauen.

Und obwohl Gulrung Ashrafi selbst keine Möglichkeit hatte, die Schule zu besuchen, war es für sie selbstverständlich, dass ihre Töchter dies tun: In Pakistan lernten sie wie ihr Bruder Zamanuddin Mathematik, Englisch und das lateinische Alphabet. Das ebnete ihnen nach ihrer Flucht den Weg. Sie fanden schnell Zugang zur deutschen Sprache. Die drei Geschwister fielen der Initiative „Willkommen in Widdersdorf“ auf, weil sie bei den Deutschkursen, die sie organisiert hatte, besonders schnelle Fortschritte machten.

Familie Ashrafi sucht Wohnung in Köln

Ein Mitglied der Initiative, Elke Barausch-Hummes, bewirkte über Kontakte, dass sie, statt in den Vorbereitungsklassen für geflüchtete Kinder zu sitzen, am Regelunterricht in den weiterführenden Schulen in Köln teilnehmen konnten. Zamanuddin absolvierte schließlich das Fachabitur und studiert BWL. Hasina verließ das Gymnasium nach dem Realschulabschluss und begann eine Ausbildung als Krankenschwester. „Das war schon immer mein Traum“, schildert sie, „ich wollte gerne Menschen helfen.“ Das tut sie mittlerweile in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Frechen.

Azada machte ebenfalls das Fachabitur und möchte im Herbst ihr Architekturstudium in Köln aufnehmen. Mutter Gulrung, die als Analphabetin kam, hat die Sprachdiplome B1 und B2 absolviert und möchte als Schneiderin arbeiten. Alle drei möchten die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen.

Es ist eine Integrationsgeschichte wie im Bilderbuch, nicht ganz märchenhaft, das Ende bleibt offen: Die Familie Ashrafi muss ihre Wohnung an der Indianapolis-Straße verlassen. Ihr Vermieter hatte sie ihnen für eine bezahlbare Miete einige Jahre überlassen. Doch er braucht sie jetzt. Hasina hat eine Unterkunft für sich in der Nähe des Krankenhauses gefunden. Die drei anderen Ashrafis sind nun auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Es soll drei Zimmer haben, bezahlbar sein – und sich in ihrem Heimatort befinden: Köln.

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