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Bühnen-ComebackOvationen für Jahrhundert-Kölner Ludwig Sebus

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Ludwig Sebus spricht bei seiner Lesung in der Volksbühne.

Ludwig Sebus zurück auf der Bühne. In der Volksbühne am Rudolfplatz sprach er am Dienstagabend (25. November 2025) mit Helmut Frangenberg (r.) über sein bewegtes Leben.

Karnevals-Ikone Ludwig Sebus hat die Rückkehr auf die Bühne gefeiert. Im ehemaligen Millowitsch-Theater sprach der 100-Jährige über sein Leben.

Wenn sich das Publikum in der Volksbühne am Rudolfplatz schon direkt zu Beginn erhebt und den Hauptdarsteller mit Ovationen feiert, dann muss etwas ganz Besonderes passiert sein. Am Dienstag (25. November 2025) erlebte das traditionsreiche Haus solch einen magischen Gänsehautabend.

Ludwig Sebus, Kölsches Original und Sympathieträger, holte seine eigentlich zum 100. Geburtstag geplante Lesung nach. Mehr als acht Wochen hatte die Karnevals-Legende aufgrund von zwei Stürzen in verschiedenen Krankenhäusern verbringen müssen.

Ludwig Sebus: Lesung in der ausverkauften Volksbühne

Dass der Grandseigneur unbedingt unter Leute muss und mit seinen Erzählungen trotz seines stolzen Alters noch alle fesseln kann, war deutlich zu spüren. Die 400 Gäste im ausverkauften Haus erlebten einen mal ernsten, mal heiteren Blick auf sein bewegtes Leben. Krieg, Gefangenschaft, Wiederaufbau Kölns, Karneval – traurige und lustige Momente prägen seinen Lebensweg.

Dass sich der Künstler derzeit nur im Rollstuhl fortbewegen kann, schmerzt ihn sehr. „Das Schlimme ist, dass alle zu mir herabschauen“, sagte er noch vor seinem Auftritt. Auf der Bühne kamen ihm dann auch direkt erstmals die Tränen. „Wenn man sich im Rollstuhl zeigt, gibst du einiges von deiner Würde ab“, sagte er ergriffen.

„Es hat niemand Mitleid, das ist höchstens Mitgefühl. Mit 100 darf man auch ruhig mal sitzen, oder?“, fragte Moderator Helmut Frangenberg. Der laute Applaus im Saal gab direkt die passende Antwort und zauberte Sebus wieder ein Lächeln ins Gesicht. „Ich komme langsam Millimeter für Millimeter voran“, sagte er. „Stellen wir uns folgendes vor. Wir sind gerade alle geschlossen in Königswinter vom Schiff gegangen. Alle wollen zu Fuß auf den Drachenfels. Ihr marschiert schon mal los und ich bin hintendran.“

Ludwig Sebus veröffentlichte 2019 Buch

Frangenberg hatte bereits 2019 das Buch „Ludwig Sebus – Ein kölsches Jahrhundert“ veröffentlicht. Inzwischen hat der Sänger die 100-Jahr-Marke durchbrochen. Und noch immer fesseln die Berichte des Zeitzeugen ungemein. 1934 sah er beispielsweise bei der Aufstellung des Rosenmontagszugs auf den Ringen einen Wagen, der die Juden verunglimpfen sollte. „Was sie heute mit den Juden machen, werden sie morgen mit den Christen machen“, sagte seine Mutter damals zum jungen Ludwig.

Ludwig Sebus bei seiner Lesung in der Volksbühne.

Ludwig Sebus erzählte aus seinem bewegten Leben. Dazu wurden auch Bilder von ihm aus seiner Kindheit gezeigt.

Sebus erzählte, wie er Plakate der Nazis abgeändert habe, um diese zu schikanieren. Er musste zum Verhör ins Gestapo-Hauptquartier, ins El-De-Haus. Die Kirche hätte eine klarere Linie gegen die Nazis zeigen sollen, klagt er heute. Im Bergischen Land versteckte er sich im „Haus Büchel“ vor der Hitlerjugend, feierte heimlich Gottesdienste und genoss ein kleines bisschen Freiheit.

Er erinnerte sich an den Trauerzug für Willy Ostermann, der 1936 an seinem Haus vorbei Richtung Melaten-Friedhof zog und dem er sich spontan mit seiner Mutter anschloss. Passend dazu stimmte Et Thekenterzett mit den Gästen die Klassiker „Kinddauf-Fess unger Krahnebäume“ und „Die Wienanz han ’nen Has‘ em Pott“ an.

Der Entertainer sorgte vor allem mit seinen Kriegsschilderungen für absolute Stille im Saal. Das Haus seiner Eltern wurde während des Zweiten Weltkriegs zweimal ausgebombt. Als 18-Jähriger wurde er im Herbst 1943 zur Wehrmacht eingezogen und an Heiligabend als Funker an die Ostfront beordert. Ende des Zweiten Weltkriegs geriet er in russische Gefangenschaft.

„Et Thekenterzett“ beim Auftritt in der Volksbühne.

Das Trio Et Thekenterzett sorgte zwischendurch für Musik und stimmte unter anderem ein Medley der größten Ludwig-Sebus-Hits an.

Der Kölner wurde bei seiner Flucht mit zwei Kameraden von Tschechen aufgespürt und musste beginnen, sein eigenes Grab zu schaufeln. „Kurz zuvor seien SS-Einheiten durchgekommen, die Frauen und Kinder erschossen hätten. Wir sollten dafür büßen“, erzählte er. Als ein russischer Konvoi vorbeikam, griff er die Flüchtlinge auf und brachte sie zurück ins Lager.

Ausgerechnet in diesem Leid begann 1949 seine Karriere als Bühnenstar, als er zunächst für Unterhaltung im Kriegsgefangenenlager sorgen sollte, um die menschliche Seite der Russen hervorzuheben. Ein Jahr später durfte er mit einem Urlaubsschein nach Köln, weil er anschließend eine Ausbildung zum Sprecher im DDR-Rundfunk machen sollte. „Der Russe denkt bis heute noch, ich sei weiter auf Urlaub“, sagte er lachend.

Der Sprung in den Karneval startete 1953, als Sebus sich beim Vorsingen unter rund 30 Bewerbern als Krätzchensänger durchsetzen konnte. „Ich durfte zwischen Weihnachten und Neujahr im kleinen Sartory vor halbleerem Saal als erste Nummer spielen. Ich hatte extra meinen großen Kalender mitgenommen, um weitere Buchungen einzutragen. Aber es kam keine Sau“. Doch mit „Jede Stein en Kölle es e Stöck vun der“ gelang ihm im Jahr danach der Durchbruch.

Beim rund zweistündigen Abend in der Volksbühne wurde nicht nur in der Erinnerung gekramt und gesungen. Sebus gab auch viel von seiner Lebenserfahrung preis. 63 Jahre war er beispielsweise mit seiner Lilo verheiratet. Das Geheimnis einer langen Beziehung? „Wenn beide Humor haben, ist es schon mal gut. Vertrauen sollte man auch beweisen. Und bevor abends beide die Augen schließen, sollten bei Meinungsverschiedenheiten zumindest die Positionen geklärt sein.“

Wenn geschwiegen würde, baue sich eine Lawine auf. „Viele Erfahrungen kann man nur machen, wenn man in Situationen gerät, die nicht alltäglich sind. Und da schätze ich mich aktuell dazu“. Beim Blick in das gebannt zuhörende Publikum schossen ihm wieder die Tränen in die Augen. „Solche Abende wir hier, mit liebenswerten Menschen, die bauen mich immer auf“, sagte er ergriffen.

Sebus liegt Schutz der Demokratie am Herzen

Als Zeitzeuge der NS-Diktatur liegt Sebus der Schutz der Demokratie besonders am Herzen. „Die Gleichgültigkeit der Menschen hat vielfach dazu beigetragen, dass sich kolossal schlechte Dinge entwickeln konnten. Deshalb warne ich immer davor: Man muss auch in der Demokratie hellwach sein, um Gefährliches zu erkennen.“

Die ganzen Entwicklungen in der Welt würden ihm viele Sorgen machen. „Wenn mich dann an diesem Abend ein paar Mal meine Gefühle überkommen, dann hängt das damit zusammen, dass mich viele Erinnerungen in die Zeit zurückführen, wo die Menschen vollkommen hilflos waren. Wir haben noch die Möglichkeit, in der Demokratie unsere Stimme zu erheben.“

Daher schloss er seinen Auftritt mit einem klaren Appell ab. „Lassen wir uns zeigen, dass es wichtig ist, dass wir uns noch frei bewegen können. Wir können doch alle froh sein, hier in Köln mit diesen Menschen zu leben, wo jeder ein Dach über dem Kopf hat und das essen kann, was ihm ungefähr schmeckt. Wir können einen Frieden finden, wenn wir nur wollen. Daher lebe ich in Zuversicht. Man sollte nicht so viel Angst haben und mutig zeigen, dass wir gern in dieser Welt leben.“

Langer Applaus und erneute Ovationen waren der Lohn nach zwei aufwühlenden Stunden. Zum Finale sang der ganze Saal noch seinen größten Hit „Loor ens vun Düx noh Kölle“, ehe der Jahrhundert-Kölner im Foyer noch Autogramme schrieb.