Marc MetzgerKranker Clown will keine Therapie

Marc Metzger bei einem seiner Auftritte.
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Den Schwerbehindertenausweis habe er gleich zurückgegeben. „Ich gehe sowieso nie ins Kino“, sagt Marc Metzger. Der 39-Jährige gilt als Ausnahmetalent im Karneval. Als Blötschkopp ist er der Star der Rednerbranche. Sein Publikum liebt und fürchtet ihn gleichermaßen: Metzger gilt nicht nur als einer, der vor keinem Witz zurückgeschreckt. Er ist auch ein Meister der Improvisation. Wer bei ihm in einer der vorderen Reihen sitzt, hat gute Chancen, Teil des Spaßes zu werden. Das zu erdulden, ist nicht leicht. Metzger spricht gern von seinen „Opfern in der ersten Reihe“.
Dass Metzger selbst einige Kraft aufzubringen hat, um mit seinem Schicksal fertig zu werden, hat bis zu dieser Woche niemand gewusst. Er leidet an multipler Sklerose. Seit 13 Jahren weiß er von seiner Erkrankung, doch er hat niemandem davon erzählt. „Aber es hat ja auch niemand gefragt“, sagt er.
Die Leute fingen an zu reden
Dabei sind die Beschwerden längst offensichtlich. Metzger hat Sprachschwierigkeiten, und manchmal gehorchen ihm Arme und Beine nicht. Wenn er auf der Bühne die Silben verschluckte oder einen Fuß nachzog, dann passte das zur Figur: Der Blötschkopp mit der Hornbrille und dem unmöglichen Anzug schlurfte eben umher und sprach schnoddrig. Dass Metzger auch Ausfälle hatte, wenn er nicht der Blötschkopp war, schien niemandem aufzufallen. Zumindest glaubte das Marc Metzger. Bis er merkte, dass die Leute über ihn redeten. Die zittrigen Hände, das Lallen, der unsichere Gang – das ließ für manche nur einen Schluss zu: Der Metzger säuft. Oder nimmt Tabletten. Oder Drogen. Oder alles zusammen. „Da musste ich an die Öffentlichkeit gehen“, sagt er.
Metzger hat gelernt, mit den Beschwerden zu leben. Als alles begann, 1999 war das, wusste er zunächst nichts anzufangen mit den Signalen seines Körpers. „Wenn ich zu Hause gegen die Türrahmen lief, habe ich mich gefragt: Hast du eigentlich einen Hau?“, erzählt er.
Keinen Auftritt abgesagt
Im Krankenhaus habe man ihn erst für einen Simulanten gehalten. Dann sei sein Nervenwasser untersucht worden. Es gab einen Verdacht: MS. Als er ins Sprechzimmer der Ärztin kam, sagte die nur: „Ja, Sie ham’s.“
Nie einen Auftritt abgesagt
Als er in sein Krankenzimmer zurückkehrte, ließ er sich rückwärts auf sein Bett fallen und starrte zur Decke. Er fühlte eine Mischung aus Trotz und Entschlossenheit. „Dann mache ich es jetzt auch richtig“, sagte sich Metzger und beschleunigte seine Karriere.
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Entzündung des Zentralen Nervensystems, sie schädigt also Gehirn und Rückenmark. Die Ursachen für eine Erkrankung sind von der Forschung noch ungeklärt, es gibt jedoch Hinweise darauf, dass MS durch das körpereigene Abwehrsystem hervorgerufen wird. Die unheilbare Krankheit wird meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr festgestellt.
MS wird oft die „Krankheit mit 1000 Gesichtern“ genannt, weil Symptome und Verlauf sehr unterschiedlich sind. Meist verläuft MS in Schüben. Häufige Symptome sind Stolpern, spastische Anfälle und Probleme im Sehbereich. Durch die Vielgestaltigkeit ist die Krankheit schwer zu diagnostizieren.
Je früher der Patient mit einer Therapie beginnt, desto größer ist die Chance, die Krankheit zu verlangsamen. Entgegen allgemeiner Annahmen ist MS weder vererbbar noch ansteckend. Auch handelt es sich nicht um Muskelschwund oder eine psychische Erkrankung.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft geht davon aus, dass weltweit rund 2,5 Millionen Menschen an MS leiden. In Deutschland leben rund 130 000 Betroffene; jedes Jahr werden 2500 Neuerkrankungen festgestellt. Frauen sind doppelt so häufig von der Krankheit betroffen. (ksta)
Heute ist er der populärste Redner im Kölner Karneval. Er will weitermachen wie bisher. Für ihn hat sich ja auch nicht viel geändert. „Ich habe noch nie einen Auftritt wegen meiner Krankheit ausfallen lassen.“ Er lebe gut mit der Diagnose, obgleich ihm klar ist, dass sich das rasch ändern kann. „Die Krankheit hat tausend Gesichter. Man kann damit hundert Jahre alt werden, das ist kein Todesurteil. Aber es kann auch schnell schlechter werden.“ Auf eine Therapie verzichtet er allerdings aus Furcht vor den Nebenwirkungen.
Nun sei er gespannt auf die Reaktion seines Publikums – und darauf, wie die Veranstalter mit der Nachricht von seiner Erkrankung umgehen. „Vielleicht werde ich ja auch nicht mehr gebucht“, fürchtet er. Doch wie die Sache auch ausgeht für den kranken Clown auf der Bühne – am wichtigsten bleibt für Marc Metzger das: „Ich will kein Mitleid.“