Mehr als nur Materielles

Karin Werner, Hiltrud Boden, Karin Hupfer-Hack und Margit Münscher von der Freien evangelischen Kirchengemeinde bei der Lebensmittelausgabe für Senioren (v.l.n.r.)
Copyright: Claudia Mund
Porz – „Die Einrichtung finde ich gut – aus dem einfachen Grund, weil hier nur Senioren sind“, sagt Reinhold Kirchdörfer über die Lebensmittelausgabe für Senioren in Porz-Mitte. Seit September verteilt die Freie evangelische Kirchengemeinde Porz jeden Freitag die Lieferungen der Kölner Tafel der Goethestraße. Schubsereien wie bei manchen anderen Ausgabestellen – wo sich ältere Menschen oft abgedrängt fühlen – gibt es hier nicht, geduldig wartet eine Gruppe mit ihren Trolleys vor dem Gebäude, bis sich die Türen pünktlich um 11 Uhr öffnen.
„Wir haben schon länger überlegt, was wir für die Porzer Bürger tun könnten“, erzählt die Bereichsleiterin für Diakonie und Besuchsdienst, Karin Werner. Die Anfrage der Kölner Tafel bei Pastor Gerd Dyck, ob sich die Gemeinde vorstellen könne, eine Ausgabe für Senioren zu etablieren, kam da gerade recht. Nach der Zustimmung der Gemeindeleitung ging es an die Realisierung des Projekts, die Nachfrage bei der Anmeldung war überwältigend.
„Wir können gar nicht alle Senioren mit Lebensmitteln versorgen. Der Bedarf ist riesig“, bestätigt Karin Werner. Falls einer der registrierten Senioren nicht mehr zu den Terminen erscheint, rückt ein anderer Bedürftiger nach. Berechtigt sind alle Menschen über 60, die einen Köln-Pass besitzen.

Marita Hoyer und Ingeborg Leigraf lassen sich nicht unterkriegen (Foto links). Margarete Krämer ist von der Lebensmittelausgabe für Senioren begeistert, Hiltrud Boden von der Freien evangelischen Kirchengemeinde hilft beim Einpacken (r.).
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Kurz vor Weihnachten stehen auch Rewe-Spendentüten auf den Tischen des Gemeindehauses, im Regelfall liefert die Tafel 40 Kisten mit verschiedenen Lebensmitteln. Frisches Obst und Gemüse sind besonders begehrt bei den älteren Mitbürgern. Vom Angebot in der Goethestraße zeigen sie sich begeistert, Margarete Krämer meint, dank der Lebensmittelausgabe komme sie gut über die Woche.
Werner Biester ist von Anfang an dabei, auch seine Rente reicht kaum zum Leben aus. „Mein Mann ist zu früh gestorben“, erklärt Marita Hoyer, „und die Witwenrente reicht hinten und vorne nicht. Was soll man mit dem bisschen Geld schon machen?“ Extraleistungen vom Amt gebe es schon lange nicht mehr, selbst das Geld für eine Brille müsse man mühsam zusammensparen, erläutert sie.
Auch mit zwei Renten kommt das Ehepaar Leigraf nicht über die Runden. Ingeborg Leigraf findet die Tafel in Porz-Mitte „einwandfrei“: „Wenn es die nicht gäbe, würden wir noch am Hungertod sterben“, sagt sie ernsthaft, „alles, was man kriegt, kann man gut gebrauchen.“ Bei anderen Lebensmittelausgaben habe sie das durchaus schon anders erlebt, da seien die Esswaren teilweise bereits schadhaft gewesen. Annemarie Potratz hat früher selbst bei den Tafeln ausgeholfen, jetzt ist sie froh über das Extra an Verpflegung, auf das sie wegen ihrer ständig steigenden Mietauslagen angewiesen ist.

Marita Hoyer und Ingeborg Leigraf lassen sich nicht unterkriegen (Foto links). Margarete Krämer ist von der Lebensmittelausgabe für Senioren begeistert, Hiltrud Boden von der Freien evangelischen Kirchengemeinde hilft beim Einpacken (r.).
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Vor vier Jahren starb ihr Mann, seitdem ist ihr finanzieller Rahmen mehr als dürftig. Tatsächlich scheint der Frauenanteil in der Schlange vor dem Tütenkonvolut hoch, der Tod des Ehepartners bedeutet für viele den Schritt in die Altersarmut. Die Senioren erhalten hier aber nicht nur Lebensmittel, sie genießen auch den Zuspruch der Helferinnen in der Freien evangelischen Gemeinde. Die Frauen begegnen den Besuchern mit Respekt, erkundigen sich nach ihrem Gesundheitszustand, ihrer Gemütslage. Untereinander kommt man ins Gespräch, für manche ist es eine der wenigen Gelegenheiten, überhaupt einmal mit jemandem zu reden. „Viele sind alleinstehend, haben zu Hause niemanden mehr, mit dem sie sich austauschen können“, weiß Karin Werner. „Hier lernen sich die Leute ein bisschen kennen“.
Humor wird bei den Senioren großgeschrieben, in ihre ironischen Kommentare zu ihrer Situation mischt sich eine Art Überlebens-Trotz. Reinhold Kirchdörfer überrascht mit der Behauptung, jeder in Köln habe schon einmal etwas von ihm Gefertigtes angefasst.
Für das KaDeWe in Berlin oder Hugo Boss in Paris installierte der Schlossermeister und Schweißfachmann Geländer und Handläufe. Mit der unbezahlten Rechnung eines Großkunden fing seine finanzielle Misere an, zuletzt ging er in die Insolvenz. In vielen Punkten spricht er seinen Schicksalsgenossen aus der Seele, die Begeisterung für die Lebensmittelausgabe nur für Senioren teilen alle. „Wenn wir uns mit anderen zanken müssten, käme ich nicht hierhin“, meint er. Niemand benutze hier die Ellenbogen, sagt auch Karin Werner; bei Tafeln, die auch von Familien und jüngeren Leuten frequentiert würden, komme das schon ab und zu vor.
Am Nachmittag sind die Senioren diesmal zum Weihnachtsessen im Gürzenich eingeladen, die sonst zwischen 14.30 und 15.30 Uhr stattfindende Tafel-Aktion wurde deshalb ausnahmsweise auf den Vormittag verlegt. Die Rewe-Group stellte das Event in Koordination mit der Awo Köln, der Caritas Köln, dem Kölner Arbeitslosenzentrum, der Diakonie Michaelshoven und der Kölner Tafel auf die Beine. Karin Werner zählt 25 Anmeldungen für das Essen im festlichen Rahmen.
Für die Adventsfeier im Café der Freien evangelischen Gemeinde Porz am Tag darauf hat sie 27 Zusagen bekommen. „Wir werden adventlich schmücken und zu Kaffee, Tee und Plätzchen Adventslieder singen und Geschichten hören“, erzählt sie und strahlt.
ÖFFNUNGSZEITEN
Die Lebensmittelausgabe für Senioren, die von der Freien evangelischen Kirchengemeinde Porz organisiert wird, findet immer freitags von 14.30 bis 15.30 Uhr in der Goethestraße 9-11, 51143 Köln-Porz, statt.
Senioren im Alter über 60 Jahre, die einen Köln-Pass besitzen und das Angebot der Kölner Tafel annehmen wollen, können sich dort zu diesem Zeitpunkt auch registrieren lassen. (clm)
Marita Hoyer, Tafel-Kundin