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Mein VeedelGestrandet in Junkersdorf

Lesezeit 6 Minuten

Anlaufstelle für den Zigarettenbedarf: Matthias Koeberlin mag die Ruhe in Junkersdorf.

Es gibt dort keine wirkliche Trennungslinie. Und selbst wenn, würde sie kaum wahrgenommen. FC-Fans mit Zielrichtung Westtribüne haben eh nur das Stadion im Blick, und Ortsansässige passieren die Stelle vermutlich, ohne sie zu registrieren. Dabei müsste am Heinrich-Billstein-Weg direkt neben dem Rhein-Energie-Stadion eigentlich ein Schild mit der Aufschrift stehen: Hier beginnt Urlaubsland: Sand, Olivenbäumchen, ein verwittertes Boot und einer dieser langgezogenen Holzbauten, wie sie auch am Strand bei Oostkapelle stehen und dann „De Pirat“ heißen und in unzähligen Kindergedächtnissen für immer verankert sind.

Genau hier, an der Playa in Cologne, treffen wir einen Schauspieler, dessen Gesicht fast jedem aus dem Fernsehen vertraut ist. Nur der Name liegt einem nicht gleich auf der Zunge. Matthias Koeberlin hat sich daran gewöhnt – genauso wie an sämtliche falschen Schreibweisen seines Namens. Deshalb hier noch mal zum Einprägen: Matthias mit zwei „T“ und Koeberlin ohne „Ö“.

Kölner aus Zwang

Wir laufen die Junkersdorfer Straße entlang Richtung Kölner Weg, vorbei an einem Haus im Bauhaus-Stil, halten am Junkersdorfer Kiosk an, wo die Kids nach der Schule ihr Eis holen. Koeberlin deckt sich mit einer neuen Schachtel Zigaretten ein und sagt: „Ich fürchte, dieses Laster bleibt.“ Damals, als er mit 22 oder 23 Jahren am Theater begann, hätten ihn die lieben Kollegen zum Nikotin gebracht. Das war in Berlin und nicht an einer hiesigen Bühne, denn Koeberlin ist „Zwangskölner“, wie er grinsend sagt. Er wollte partout nicht weg von Berlin. „Aber da man die Kölner hier nicht wegkriegt“, erklärt er und meint seine Frau, „habe ich mit Wehmut und Zähneknirschen meine Sachen gepackt“.

Während wir weiterlaufen, spricht der 40-Jährige über seine aktuelle Rolle. Er selbst würde das sicher nicht so formulieren, aber ein bisschen tadeln muss man die Leute schon, die sich die Fernsehfigur des Robert Marthaler ausgedacht haben. Einerseits ist es ja schön, dass in dieser ZDF-Krimiserie ein Polizist am Werke ist, der eher einmal zu viel danke oder bitte sagt. Und doch hat man diesem leicht eigenbrötlerischen Kommissar aus Frankfurt etwas Entscheidendes vorenthalten. Man lässt ihn, was geradezu unverzeihlich ist, in keiner Situation richtig lachen. Das ist eine Beschneidung etwa derart, als hätte man Loriots Augenbrauen während seiner Monologe auf dem roten Sofa festgetackert.

Koeberlin ist Schauspieler und Rezitator. Wenn man neben ihm herläuft und dabei seine angenehme Stimme im Ohr hat, beneidet man seinen siebenjährigen Sohn, der so oft es geht die Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen bekommt „und das auch einfordert“. Aber es sollten möglichst vergnügliche Geschichten sein, Erzählungen, bei denen auch das markante, leicht heisere Lachen des Schauspielers zur Geltung kommt.

Wir bekommen eine Kostprobe davon, als wir an einem Privathaus am Kölner Weg zu einer Figur hochschauen, die etwas verrichtet, was man gemeinhin im stillen Örtchen tut. Koeberlin findet, der Kallendresser habe irgendwie auch was vom Sams. Nun lachen wir gemeinsam. Er bewege sich nur wenig im Veedel, gibt der Mann zu, der sein Fernsehdebüt neben Suzanne von Borsody und Götz George in der Schimanski-Folge „Rattennest“ hatte. Das ist 16 Jahre her. Seitdem hat er in rund 60 Filmen mitgewirkt, unter anderem in dem actionreichen Science-Fiction-Abenteuer „Das Jesus Video“. In Anbetracht der vielen Dreharbeiten liegt es nahe, dass er ein Viertel des Jahres im Hotel verbringt und aus dem Koffer lebt.

Zurück vom Dreh sei er am liebsten zu Hause. Er wohnt seit elf Jahren in Köln, die ersten davon lebte er in Sülz. Als die Familie gegründet war, habe er sich nach einem Haus umgeschaut und nach zweijähriger Suche eins in Junkersdorf gefunden, für das er sich dann innerhalb von 24 Stunden entscheiden musste.

Koeberlin schätzt die Ruhe und dass man vieles mit dem Rad erledigen kann. Was ist mit der Nähe zum Stadion? Der gebürtige Mainzer erzählt, er sei als Junge zwei oder drei Mal auf dem Betzenberg in Kaiserslautern gewesen – und beantwortet damit die Frage nach seinem Lieblingsverein. „Man kann die Frau wechseln, nicht den Club“, stellt er fest und setzt damit ein Statement, das Rod Stewart sicher blind unterschreiben würde.

Dass FC-Spiele mit Lärm und Verkehr verbunden sind, stört Koeberlin nicht. Da ist er anders als jene Rheinauhafenbewohner, die sich über tuckernde Schiffe und Dieselgeruch aufregen. „Bis auf massiven Druck der Anwohner der Rhein trockengelegt wird“, streut er scherzhaft ein, und schwupp ist es wieder da, dieses durch Tausende Lungenzüge gereifte Lachen. Er könne die Fan-Gesänge in seinem Garten hören und „mag das auch“, stellt er fest. Inzwischen haben wir draußen vorm Café Zimmermann Platz genommen, dessen legendäre Havanna-Torte ihn relativ kalt lässt. Einmal im Jahr ’ne Nuss-Sahne. Mit herzhaften Sachen sei es etwas ganz anderes. „Ich könnte jeden Tag grillen“, räumt Koeberlin ein und berichtet dann von anderen Vorlieben. Davon, dass er gern in seinem Garten herumwerkelt und buddelt; dass er früher mit einer Band unterwegs gewesen sei und immer noch wahnsinnig gern Schlagzeug spiele. Musik sei „unheimlich wichtig“, unterstreicht er. „Und ich zeichne viel Comics.“ Eine Herausforderung, von der er denkt, „die muss ich unbedingt noch schaffen, bevor ich in die Grube fahre“, gibt es nicht. Aber er hätte gern mit Jeff Bridges getauscht und den Bademantel tragenden Dude aus dem Kultfilm „The Big Lebowski“ verkörpert.

„Joggen ist unfassbar langweilig“

Koeberlin greift wieder zur Zigarettenschachtel, erzählt von seinen Jugendjahren und davon, dass er in seinem Leben so viel gefeiert und in seiner Berliner Zeit so viel gesumpft habe und ihn das Party-Leben oder die Veranstaltungen mit rotem Teppich nicht reizen würden. „Ich muss auch nicht auf irgendwelchen Eröffnungen rumhängen.“ Manchmal beschlössen er und seine Frau: „Heute mischen wir die Stadt auf, aber dann landen wir doch meistens hier im Viertel.“

Der Schauspieler wirkt wie jemand, der viel tut, um fit zu erscheinen. Die Wahrheit ist, er findet „Joggen unfassbar langweilig: Meine Freunde hassen mich dafür“, dass er nichts mache, außer hier und da mal zu kicken – unter anderem mit dem Sohn auf den Jahnwiesen. Den Birkenhof, jenes Lokal, wo man sich zwar fast rituell während des Veedelszuges „unter dem großen Schirm trifft“, frequentiert der Schauspieler nur gelegentlich, und Smillas, der Mutter-Kind-Second-Hand-Laden von Christiane Beermann, in dem man wunderbar stöbern kann, ist für ihn völlig fremdes Terrain.

Wir passieren ein für Junkersdorf charakteristisches Bauwerk mit einer bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte – den Statthalterhof, in dem zwischenzeitlich auch die örtliche Gerichtsbarkeit untergebracht war. Wir verweilen auch am Kastanienhof, der seinen heutigen Namen wohl einer annähernd hundert Jahre alten Esskastanie auf seiner Rückseite verdankt.

Schließlich landen wir am Ausgangspunkt, der Playa in Cologne, die Koeberlin wunderbar findet. „Da können Kinder nicht stiften gehen, weil alles eingezäunt ist. Im Sommer können sie im Sand buddeln, das ist Urlaubsfeeling absolut. Im Winter gibt es eine Eislaufbahn, und drinnen ist Budenzauber mit Glühwein. Wunderschön!“