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Mein Veedel „Pesch“Gemütlichkeit im Kölner Nordwesten

Lesezeit 5 Minuten

Am Wasser: Manfred Erdenberger nutzt die Umgebung des Escher Sees zum regelmäßigen Training.

Pesch – Mit Sicherheit gibt es Veedel, die stärker im Bewusstsein der Kölner verankert sind als das nur 2,8 Quadratkilometer große Pesch. Shoppingcenter oder Kulturereignisse, die man mit dem Ortsnamen assoziieren könnte, fehlen. Aber das heißt nicht, dass der im Nordwesten Kölns gelegene Stadtteil keine Reize hätte. Außerdem: Kann irgendwer beweisen, dass Lebensfreude proportional zur Schaffung neuer Einkaufstempel wächst?

Manfred Erdenberger ist Westfale von Geburt „und aus Überzeugung“. Als Hörfunk- und Fernsehmoderator, der fast 40 Jahre lang für den WDR tätig war, kennt er die Kölner Innenstadt natürlich bestens. Doch nichts und niemand, auch nicht seine Ehefrau, die mitunter fehlende Geschäfte in Pesch beklagt, könnten den gebürtigen Münsteraner von hier vertreiben.

Begleitet man den Journalisten durch sein Veedel, fallen Adjektive wie interkulturell, nachbarschaftlich, freundlich, gemütlich, grün und ruhig. Aber damit ist die Positiv-Liste von Pesch noch nicht vollständig. Unbedingt erwähnt werden sollte Erdenbergers herrlich blühender Garten, ein schwer zu deutender Fleck im Asphalt und die Tatsache, dass in Pesch offenbar sogar Palmen gedeihen.

Das ist nun schon eine Menge – aber nicht alles: Abgesehen davon, dass Erdenberger zwischen drei Friseuren im Abstand von nur 50 Metern wählen könnte, darf er sich zu den glücklichen Zeitgenossen rechnen, die einen See vor der Haustür haben. Und dann wären da noch diese beiden Aussichtskanzeln am anderen, am Escher See. „Wahrscheinlich hat noch nie ein Mensch darauf gestanden“, mutmaßt der langjährige Moderator, während er spaßeshalber die Plattform besteigt und sich in alle Himmelsrichtungen wendet, als wolle er dem vorbeiziehenden Entennachwuchs eine Predigt halten.

Früher ein Teil von Pulheim

Erdenberger wohnt seit 1976 in dem heute 7500 Einwohner zählenden Vorort, der vor dem Zweiten Weltkrieg noch zu Pulheim gehörte, dreißig Jahre später mit den Gemeinden Auweiler und Esch der Gemeinde Sinnersdorf zugerechnet wurde und erst nach der Gebietsreform von 1975 Köln zufiel.

Damals schien ihm der Standort perfekt. Von Pesch war er schnell auf der Autobahn nach Düsseldorf für Berichte aus der Landesregierung. Und in nur elf Minuten erreichte er mit der S-Bahn den Kölner Hauptbahnhof. Kindergarten und Grundschule für die drei Kinder waren fußläufig erreichbar, und das Gymnasium lag so nah, dass der Nachwuchs morgens praktisch erst beim letzten Klingeln durch die Tür mussten.

Wenige Kinder im Viertel

Die Kinder, nicht nur die der Erdenbergers, haben den Stadtteil längst verlassen. Nachwuchs sieht man auf den Straßen kaum; es sei denn, man schaut zum Kunstrasen des FC Pesch, wo eifrig Fußball gespielt wird. Erdenberger weist auf die neue Lärmschutzwand, die nicht allein wegen der hohen Kosten ein geteiltes Echo auslöste. „Dieselben Anwohner, die früher über Fußballlärm klagten, beschweren sich jetzt über den Verkehrslärm“, der durch die Mauer viel stärker reflektiert werde.

Wir passieren das Spielcasino und schauen auf die Einkaufsmöglichkeiten, die der Stadtteil bietet. Ein Lebensmittelmarkt, Discounter und ein Baumarkt. Was nach Worten Erdenbergers fehlt, sind eine Reinigung, ein Schuster, eine Poststelle und ein Metzger. Dafür gibt es in der 30 Jahre alten Kneipe „Zum Backstein“ die besten Frikadellen im Kölner Norden. Das FC-Fanlokal unterstütze großzügig Einrichtungen wie das Kinderhospiz, berichtet der prominente Pesch-Bewohner, während Wirtin Gisela Worms Kölsch zapft.

Pescher See als Trainingskulisse

Weiter geht es zu Fuß über die Donatusstraße mit ihrem nur einseitig angelegten Radweg, der kurioserweise auch nur in eine Richtung befahren werden darf. Das Café Toscana, das ein „Pescher Frühstück“ für 2,22 Euro anbietet und Erdenberger ab und an zu einem Obststreusel verführt, wirbt für eine Laufveranstaltung.

Der frühere „Spiel ohne Grenzen“-Präsentator ist 71 Jahre alt und nutzt den Pescher See seit Jahren als Trainingskulisse. Mit seinem Freund Lothar Frings nimmt er regelmäßig an Veranstaltungen wie dem Bickendorfer Büdchenlauf, Stadtwald- oder Abteilauf teil, bei denen das gemeinsame Vergnügen offenbar weitaus stärker im Vordergrund steht als die erreichte Streckenlänge.

Viel Spaß war wohl auch im Spiel, als vor vielen Jahren in einer Neujahrs- (nicht Silvesternacht) der ominöse Flecken im Asphalt entstand. Auf der so genannten „Nachbarschaftsfeststraße“, wo sich sowohl Frings Haus als auch der früher von den Erdenbergers bewohnte Bungalow befindet, kam es seinerzeit im Zuge von sehr viel Glühwein wohl dazu, dass Teile des alten Frings’schen Schlafzimmermobiliars möglicherweise aus Temperatursteigerungsgründen in die Tonne gekloppt und in dieser verbrannt wurden.

Dass man in der Dachrinne des Hauses während der warmen Jahreszeit wunderbar Getränkeflaschen kühlen konnte, führte fast zwingend zur Wiederholung fröhlicher Zusammenkünfte indes ohne Feuerspuk. Allerdings steht die Adresse auch für ernsthafte Zusammenkünfte und ein geschichtsträchtiges Ereignis: Mit Manfred Kock, dem ehemaligen Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und dem Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem, Mitri Raheb, gründete Erdenberger nämlich vor sieben Jahren in seinem Pescher Wohnzimmer die Deutsche Initiative für den Nahen Osten (Dino). Grundlage für das Projekt waren die vielen Gespräche, die er als langjähriger Chefredakteur des WDR mit Vertretern aus Politik und Kirche(n) geführt hat – und natürlich auch seine Reisen in den Nahen Osten.

Kulinarisch gut versorgt

Kehren wir zurück in den Kölner Nordwesten, wo vor der geschlossenen Schlecker-Filiale noch immer das Schild „Ladezone“ zu beachten ist. Im „Steakhaus aus aller Welt“ gibt es nach Erdenbergers Angaben einen sensationell günstigen und guten Mittagstisch, der allenfalls von Hüseym Cals Chicken Grill auf der Johannesstraße übertroffen wird. Aufgrund seiner sportlich-schlanken Silhouette kann sich der Medien-Mann aber sicher nur gelegentlich das Hähnchenfleisch mit Pommes zuführen.

Nach einem Abstecher zum Pescher See zwecks obligatorischen Uferfotos treffen wir in der Trattoria „Da Toni“ auf den freundlichen Padrone Antonio Tornambe und mehrere Mitglieder des Pescher Bürgervereins, die von den Anfängen des 700 Jahre alten Stadtteils erzählen, der nie einen richtigen Dorfkern besaß, sondern aus vier Höfen hervorging.

Natürlich bedauern ältere Anwohner den Wegzug ihrer Kinder. Für die jüngere Generationen gibt es zu wenig Anziehungspunkte, obwohl Pesch doch seit ehedem über eine Institution mit Tradition verfügt: Die Scheune Bollig, der Ort für gesellschaftliche Ereignisse und Entstehungsstätte des Pescher Dienstagszugs. Außerdem findet dort am Zweiten Advent stets der viel besuchte Christkindlmarkt statt. Und wenn dieses Highlight vorbei ist: Der See, die Aussichtskanzeln und der Fleck vom Schlafzimmermöbelfeuer bleiben das ganze Jahr.