Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Mein Veedel „Sülz/Klettenberg“Frau Brauckmann führt durchs Veedel

6 min

Lesen, träumen, Freunde treffen. Für ihren Lieblingsplatz, den Kalscheurer Weiher, schrieb Carolina Brauckmann das „Weiher-Lied“.

Sülz/Klettenberg – Sie spielt Klavier. Und zwar gut. Auch Gitarre. Ihre Songtexte zeugen von einer höchst präzisen Alltagsbeobachtung: Musikalisch sind sie schwungvoll verpackt in Swingrhythmen, Balladen und Chansons. Die Texte sind politisch und nicht selten mit einem Schuss liebevoller Ironie. So ist die ganze Frau – und so wird sie seit mehr als 30 Jahren von ihrem zumeist weiblichen, in steigender Zahl auch männlichen Publikum geliebt. Carolina Brauckmann ist die bekannteste lesbische Liedermacherin Deutschlands. Was das mit Klettenberg zu tun hat? Nun – dort lebt sie. Irgendwo muss sie ja Kraft schöpfen für neue Ideen. „Ich igle mich gern ein. Die Wohnung ist mein Nest“, sagt sie.

Wir stehen auf ihrem winzigen Balkon. Tisch, Stuhl, ein paar Pflanzen. Der Blick in den Hinterhof der Petersbergstraße ist umwerfend. Riesige alte Bäume, viel Grün. Die Nachbarhäuser sind nah. „Mir gefällt das. 1990, als ich nach Klettenberg zog, war noch nicht so viel Leben auf den Straßen. Heute sieht man neben den älteren Leuten auch viele junge Paare mit ihren Kindern.“ Ein Indiz dieses Wandels könnten die bunten Papier-Rollos an den Fenstern sein. Früher hielten feine Spitzengardinen neugierige Blicke fern. „Mehr Exotik gibt es in Klettenberg allerdings kaum. Das Viertel ist nicht grade multikulti. Das fehlt mir etwas. Das Bunte.“

Aktivistin der Frauenbewegung

Als wir auf die Straße treten, schmunzelt Carolina Brauckmann. „Als ich damals meinen Freundinnen erzählte, dass ich hierher ziehe, fanden die das nicht grade kompatibel für eine Aktivistin der Frauenbewegung. Jetzt treffe ich im Viertel immer mehr Lesben, die dem bürgerlichen Ambiente etwas abgewinnen können.“ Carolina Brauckmann betont ausdrücklich, dass sie freundlich aufgenommen wurde. Nicht zuletzt von ihrem netten Briefträger Gregor, einem Urgestein seiner Zunft.

Vorbei an einem der vielen hundert Kölner Nagelstudios schlendern wir zum Petersberger Hof, Ecke Siebengebirgsallee. „Das Wohnzimmer Klettenbergs, heißt es ja auch.“ Die legendäre Szenekneipe hat eine wichtige soziale Funktion. „Ein Treffpunkt für Jung und Alt, wo du einen preiswerten Mittagstisch bekommst. Wo gibt es das noch?“ Auf der Tafel steht heute: Bratwurst, Kartoffeln und „Möhren untereinander“. „Möhren durcheinander kenn’ ich. Untereinander – das ist vielleicht die rheinische Art. Ich komme ja ursprünglich aus Lüdenscheid im Sauerland.“

Buntes Treiben auf dem Wochenmarkt

Carolina Brauckmann ist Historikerin. Sie studierte in Freiburg, in einer Zeit, als oral history wichtig wurde, die Erzählte Geschichte. Sie drückt mir ein hellblaues Büchlein in die Hand. Es ist von der Klettenbergerin Sigrid Burre, die vor ein paar Wochen einige dieser Lebensgeschichten veröffentlichte: „Sülz und Klettenberg – Zeitzeugen berichten.“ Ein Beitrag stammt von Wilfried S., dessen Vater eine Kneipe in der damals berüchtigten Palanterstraße betrieb: „Ich hatte mein Zimmer über der Kneipe. Wenn ich das Scharren von Tischen und Stühlen hörte, wusste ich, dass es eine Schlägerei gab. Dann zog ich schnell den Trainingsanzug an und ging runter. Vater war dabei, die Schlägerei zu sortieren, und ich passte auf die Kasse auf.“

Es ist Mittwoch. Wir tauchen ein in das bunte Treiben des langgestreckten Wochenmarktes am Klettenberggürtel. Eier, Butter, Käse, Fisch, Gemüse und Frühlingsblumen. „Leider auch immer mehr Billigklamotten.“ Riechen, schmecken und vergleichen. Carolina Brauckmann liebt die Vielfalt der Genüsse und die manchmal wortkarge, dafür gestenreiche Beratung durch die Händler. „Ich kaufe lieber von den Erzeugern als im Supermarkt. Kleine Mengen für meinen Singlehaushalt.“ Früh am Morgen trägt sie ihre Beute nach Hause, bevor sie zum „Rubicon“ radelt. In dem „Beratungszentrum für lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Menschen“ in der Rubensstraße koordiniert Carolina Brauckmann mit ihrem Kollegen Georg Roth die schwule und lesbische Seniorenarbeit in Nordrhein-Westfalen.

Wasserschloss und Weißhaus Kino

Jeden Morgen nimmt sie die gleiche Strecke an der Luxemburger Straße entlang in die Innenstadt. Vorbei am schmiedeeisernen Zaun, hinter dem sich das Wasserschloss Weißhaus verbirgt. „Unglaublich, dass es in einem belebten Stadtviertel solch einen riesigen Park gibt.“ Wie ein verwunschenes Paradies. Ursprünglich wurde das Schloss von den Äbten der 957 gegründeten Benediktinerabtei St. Pantaleon als Sommerresidenz errichtet. Das strahlend weiße Schloss und die uralten Bäume beflügeln die Phantasie. „Ich würde so gerne mal dort hineingehen.“ Leider ist das nicht möglich. Es ist in Privatbesitz. „Immerhin“, sagt Carolina Brauckmann achselzuckend, „liefert der Park als Grüne Lunge Sauerstoff für die Menschen.“

Ein paar Schritte weiter, Luxemburger Straße 253, steht das Weißhaus Kino. „Im Gegensatz zum Mainstream zeigen sie hier viele anspruchsvolle Filme.“ Es hat noch geschlossen. Wir drücken uns die Nasen an der Scheibe platt. „50er-Jahre-Stil. Wenig Pomp, sehr gepflegt – und allein die geschwungene Treppe ist sehenswert.“ Vor ein paar Jahren sollte das Kino geschlossen werden. Das verhinderte eine Initiative.

Stabile Infrastruktur fürs Alter

Wir biegen in den Gottesweg ein. Hier soll ja die Grenze zwischen Sülz und Klettenberg verlaufen. Eine Passantin zeigt auf die Straßen jenseits der Luxemburger Straße: „Hier ist die Grenze, und da ist Sülz.“ „Ich schlendere abends gern mit meiner Lebensgefährtin durch die Straßen“, verrät Carolina Brauckmann. „Wir schauen uns die schönen Häuser an. Und die alten Bäume. In der Nähe der Stenzelbergstraße stehen zum Beispiel drei wunderschöne Kastanien. Unsere drei Schwestern.“ Sie lacht. „Auf eine Grenze sind wir noch nicht gestoßen. Und das ist ja auch gut so.“

Vorbei an der Apotheke am Gottesweg und dem Weinhandel Steinmetz steuern wir auf die Metzgerei Odenkirchen zu. „Ein Familienbetrieb in der dritten Generation. Sie führen Biofleisch aus der Region. Wenn ich Fleisch kaufe, dann hier.“ Schräg gegenüber, an der Ecke Petersbergstraße, liegt die Gaststätte „Kölsch-Kultur“. „Dort treffen wir uns schon mal zum Sülz-Klettenberger Lesbenstammtisch. Wir werden gemeinsam alt. Hoffentlich nicht vereinzelt, wie das vor der Frauenbewegung oft der Fall war. Wir sollten für unser Alter eine stabile Infrastruktur aufbauen.“Ein paar Meter weiter noch ein besonderer Treff: „Kiosk, Stehcafè, Getränkeshop“.

Grün in Stadtnähe ist Lebensqualität

In der Vitrine liegen Sandwiches und selbstgebackener Kuchen. „Deniz, mein Mann, backt den Kuchen“, sagt die Inhaberin Claudia Gaßen. „Außerdem verwenden wir nur Bioprodukte und fair gehandelten Kaffee.“ Das kleine Café ist ausgesprochen gemütlich. Kissen auf der breiten Fensterbank, warme Farben an den Wänden, das Geblubber der Kaffeemaschine – ein Ort zum Entspannen. Nach dieser Erholungspause gehen wir etwas flotter durch die Heisterbachstraße. Mehrstöckige, gleichförmige Backsteinhäuser, kaum Vorgärten. „Ein interessantes Beispiel für den Kölner Siedlungsbau zu Beginn des 20. Jahrhunderts.“

Sie fühlt sich ziemlich verwurzelt, kann sich nicht vorstellen, aus Klettenberg wegzuziehen. Dazu gehört vielleicht auch das Engagement im Viertel selbst. Carolina Brauckmann ist beruflich so viel unterwegs, dass ihr dafür wenig Zeit bleibt. Als die Bürgerinitiative Kalscheurer Weiher gegründet wurde, erinnerte sie sich an ein Lied, das sie einmal geschrieben hatte, und stellte es dem Verein zur Verfügung. „Ich war oft hier. Ob ich traurig war oder glücklich. Hab auf den kleinen See geschaut, den Sonnenuntergang genossen, ein Buch gelesen und bin dann wieder zufrieden nach Hause geradelt. Das viele Grün in Stadtnähe – das ist für mich Lebensqualität.“