Mit Barbara Ruscher in SülzIm Reich der Super-Mamas

Quatsch mit Löwenzahn vor Rose
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Sülz – Um am Decksteiner Weiher das Meer rauschen zu hören, bedarf es schon, nun ja, zumindest sehr guter Ohren. Immerhin trägt der Wind dort vor allem das Fahrzeug-Rauschen von der Autobahn 4 und vom Militärring herüber. Das hört Kabarettistin Barbara Ruscher zwar auch, doch wenn sie am Decksteiner Weiher sitzt; wenn sie sich zurücklehnt auf ihrer Stammbank zu Beginn der Kastanien-Allee, dann vernimmt sie noch etwas anderes: Sie hört, wie das Wasser ans Ufer schwappt – als spülte die Flut das Meer an Land.
Lehrjahre am Klavier
So genau wahrzunehmen, das hat Ruscher durch ihre Leidenschaft für die Musik gelernt. Im Studium. Aber auch, weil sie für die Schäl Sick Brass Band Alt-Saxophon gespielt hat. Und dann hat sie zu Beginn ihrer Kabarett-Karriere Kollegen am Klavier begleitet, ist zum Beispiel im Duett mit Manes Meckenstock aufgetreten. „Das waren meine Lehrjahre“, nennt die 45-Jährige die Zeit. Und wie bei Goethes „Wilhelm Meister“ folgten darauf auch für sie die Wanderjahre: Die Solo-Karriere, für die die gelernte Musik- und Deutsch-Lehrerin seit 13 Jahren durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tingelt. 150 Auftritte hatte Ruscher allein im vergangenen Jahr, „das macht verdammt viel Zeit auf der Autobahn und in Hotels“.
Ihr Künstlerleben beschreibt sie, als sie im Kafé Local am Weyertal 32 sitzt. Ruscher nippt am frischen Ingwertee, süßt ihn mit Honig und beobachtet, wie sich die Gäste an den Nachbartischen den „Kölner Stadt-Anzeiger“ teilen: Der Herr an der Fensterfront liest die Politik, die Dame auf der Holzbank gegenüber das Lokale, und als sie tauschen, raschelt das Zeitungspapier. „Das ist mein Lieblingscafé hier“, sagt Ruscher. „Es ist klein und gemütlich, es läuft keine Üffe-Üffe-Musik, sondern Leises, Abwechslungsreiches, Inspirierendes.“ An diesem Morgen eine Mischung aus französischem Piano-Pop und den kubanischen Klängen des Buena Vista Social Club. „Ich bin ein sehr auditiver Mensch“, sagt Ruscher, „ich nehme alles auf, und wenn mich etwas stört, dann kann ich mich nicht konzentrieren.“ Darum schätze sie die Ruhe in dem kleinen Café, es ist eins ihrer liebsten Plätze, um zu schreiben.
Hier sind viele Kapitel ihres Romans „Fuck the Möhrchen“ entstanden. Darin rechnet Baby Mia mit den Sülzer Latte-Macchiato-Muttis ab, die ihre möglichst frühgeförderten Kinder zum Pekip schicken. Das sind Krabbelkurse, in denen die Babies nackt durch den Raum kullern und die Mütter hinter dem Nachwuchs herwischen. „Ballermann für Frischgeschlüpfte ohne Schlüpfer“, wie Ruscher das nennt. Im Grunde eine Kennenlernbörse für Mütter.
Und natürlich hat Ruscher die auch besucht. Vier, beziehungsweise sechs Jahre alt sind ihre Kinder. Und was sie sonst so in der Elternzeit erlebt hat, das benutzt sie auch in ihrem Bühnenprogramm „Panierfehler! Ein Fischstäbchen packt aus“. „Es gibt so viele Situationen mit Kindern, da fühlt man sich, als komme man von einem anderen Planeten“, findet Ruscher. Und genau solche Beobachtungen seien es, die sie am Kabarett reizten: „Ich interessiere mich für die Menschen und deren Eigenheiten.“ Die überspitzt sie dann und behauptet zum Beispiel, die Sülzer Super-Mamas wickelten ihre Kinder am liebsten in die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „damit die von Beginn an klugscheißen“.
Übel nähmen die Anwohner ihr die Persiflage nicht, weiß Ruscher. „Im Gegenteil“, berichtet sie, „viele Sülzer kommen nach dem Programm zu mir und sagen: Genau so isses! Die erkennen sich wieder und lachen am lautesten. Das freut mich. Die verstehen, dass das Programm liebevoll böse gemeint ist, eine herzliche Gesellschaftskritik.“
Wie sehr Ruscher ihren Stadtteil schätzt, wird beim Bummel durch die Straßen schnell klar. Immer wieder bleibt sie abrupt stehen: „Kumma, ist das nicht ein toller Blick?“, fragt sie etwa und deutet an der Sülzburgstraße durch ein offenes Hoftor. Es gibt die Sicht frei auf einen liebevoll gehegten Garten mit Lebensbäumen, die in Bonsai-Form getrimmt sind. Oder vorm Restaurant Palanta an der Sülzburg-/Ecke Palanterstraße: Da hält Ruscher an für einen roten Rosenbusch, bückt sich, rupft einen Löwenzahn vom Straßenrand, nimmt ihn zwischen die Zähne und posiert damit vor den Rosen. „Das ist so kitschig“, kommentiert sie selbstironisch, „das ist schon wieder gut.“ Und auch auf der Berrenrather Straße freut sie sich, als sie entdeckt: „Schau mal, da siehste sogar den Dom!“
Natürlich hat sie auch ihre Lieblingsgeschäfte, schwärmt zum Beispiel von der Weck-Zeit an der Berrenrather Straße 367 („Hier gibt es den besten Senf der Welt: Honig mit Mohn, der ist einfach der Hammer.“). Bei Sesam Naturwaren an der Lechenicher Straße 2 kauft sie ihr Olivenöl („Ich liebe das Aroma!“). Und im Anderen Buchladen am Weyertal 32 gefällt ihr die Auslage: John von Düffels „Wassererzählungen“ warten da genauso ganz vorn am Eingang auf Käufer wie auch Wiglaf Drostes „Schalldämpfer“. „Das liegt woanders nicht“, ist sich die Autorin sicher.
Und dann sind da vor allem auch noch die Menschen, die Ruscher so sehr an ihrem Veedel begeistern. „Wir leben ja ein bisschen in einem Elfenbeinturm hier“, beschreibt sie. „Hier wohnt ein sehr angenehmes Klientel, viele Akademiker sind darunter, und die meisten von ihnen sind überwiegend höflich und gesittet. Es gibt hier eine kultivierte Café- und Kneipenkultur, und wir haben viele Bio-Läden.“ Was erstmal ziemlich langweilig klingt, oder etwa nicht? „Schon“, gesteht Ruscher, „aber das ist ja das Beruhigende daran: Sülz ist verlässlich, das gefällt mir.“
Schön – aber teuer
Nur zwei Kritikpunkte, die hat sie auch, die trüben ihr das Leben im Veedelsparadies: Zum einen wünschte sich Ruscher für ihren Stadtteil ein wenig mehr vom Flair der Südstadt („uns fehlt ein bisschen Multikulti hier“). Und dann gebe es sowohl ein Problem mit den Mieten als auch mit den Kaufpreisen für Wohneigentum. „Die Preise steigen massiv, inzwischen sind schon viele gezwungen, von hier wegzuziehen“, hat die Kabarettistin erlebt. Vor allem Familien mit Kindern könnten sich das Leben im viertgrößten Kölner Stadtteil kaum mehr leisten.
Kritikpunkte, die Ruscher pausieren lassen im Gespräch. Überhaupt ist sie ein Pausenmensch, sie plappert nicht daher, sie nimmt sich die Zeit zu überlegen, bevor sie antwortet. Oder bevor sie noch eine Pointe setzt: Etwa, dass es doch schade wäre, wenn die Familien das Veedel verließen. Immerhin lebten so viele Menschen mit Kindern in Sülz, da hätten die Karnickel auf den Wiesen schon Komplexe.
Und Grünflächen gibt es viele in Sülz, mit 41,7 Prozent hat der Stadtteil angeblich den höchsten Anteil an Erholungsflächen in Köln, was in den Augen der gebürtigen Rheinbacherin Ruscher noch ein Pluspunkt ihres Veedels sei. „Ich liebe den Wald“, bekennt sie, „da kann ich besser denken und atmen, da kommen mir die besten Ideen.“ Vor allem auf ihrer Lieblingsbank am Decksteiner Weiher. Wo sie am neuen Bühnenprogramm fürs kommende Jahr feilt und dabei eben nicht nur das Fahrzeugrauschen von der Autobahn 4 und dem Militärring wahrnimmt, sondern sogar das Meer ans Ufer schwappen hört.