Mit dem Diakon auf dem Dom

Mit dem täglichen Mittagsgebet wollen Diakon Reimund Witte und seine Kollegen den Charakter des Domes als Gotteshaus betonen.
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Köln – Reimund Witte fallen Begriffe wie „übermächtig“ und „majestätisch“ ein, wenn er an seinen Amtsantritt in Köln zurückdenkt. Wenn er sich daran erinnert, wie er vor dem Dom stand und sich fragte: „Wie sollst du mit diesem riesigen Gebäude warm werden?“ Das war im Jahr 1995. Der Seelsorger, bis dahin als Diakon in einer eher beschaulichen Solinger Pfarrei tätig, war gerade zum Diakon am Dom ernannt worden, dem Kölner Wahrzeichen und Weltkulturerbe, das täglich von Zehntausenden Menschen besucht wird.
„Wenn man dann nach und nach die Menschen hier kennenlernt“, sagt der 55-Jährige, „dann bekommt alles eine andere Dimension, wird leichter.“
Der gebürtige Paderborner hat inzwischen viele Menschen kennengelernt, denn das bleibt nicht aus, wenn die Vielfalt der Aufgaben, der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nicht mehr leicht zu überblicken ist: Assistenzbei den Heiligen Messen und Pontifikalämtern, Rosenkranzgebet, Taufen, Trauungen und Beerdigungen, Kommunion- und Firmvorbereitung, Messdienerarbeit, Sternsinger und Martinsfeier, Krankenkommunion, die Begleitung des Dom-Ehrendienstes, Gespräche mit Ratsuchenden im Domforum, die Vorbereitung von Großereignissen wie Fronleichnamsprozession oder Domwallfahrt, die Mitarbeit im Pfarrgemeinderat der Gemeinde St. Aposteln,mit der die Dompfarrei seit 2010 fusioniert ist, Internetauftritt – die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, und ein geregelter Arbeitstag ist für den verheirateten Diakon eher die große Ausnahme.
„Vieles ist dennoch so wie in einer normalen Pfarrei“, sagt Witte. „Aber hier am Dom steht man mehr im Fokus, daraus erwächst eine große Verantwortung.“ Dass inzwischen viele Gottesdienste über das Domradio im Internet übertragen werden, macht die Sache nicht unbedingt einfacher.
Es ist kurz vor 12 Uhr. Witte macht sich von seinem Büro im Domforum auf zum täglichen Mittagsgebet im Dom – eine Einrichtung, die ihm besonders ans Herz gewachsen ist. Eine Viertelstunde langberuhigt sich die Kathedrale, keine Führungen, keine Schulklassen, kein Blitzlicht.
50, 60 Menschen haben sich auf den Bänken niedergelassen. Witte steht am Lesepult. Orgelmusik, Gebete, Fürbitten, Segen.„Es ist ein ganz niederschwelliges Angebot“, sagt der Diakon. Die Touristen sollen erleben, dass die Kathedrale „mehr ist als ein Museum mit zwei Türmen“. Und manch einer sehe den Dom nach dem Mittagsgebet tatsächlich mit anderen Augen. Witte, eigentlich Lehrer im Zivilberuf, hat das Zweite Staatsexamen abgelegt und ist dann auf Umwegen zur Diakonenausbildung und -weihe gekommen – die Initialzündung hatte der frühere Weihbischof Walter Jansen gegeben. Seine Frau, sagt er, habe diesem Schritt damals ausdrücklich zugestimmt.
In seinem Amt am Dom, das er durchaus als Privileg empfindet, arbeitet Witte eher im Hintergrund. Er organisiert, koordiniert, vernetzt und vermittelt, ist aber auf vielfältige Weise auch seelsorgerisch tätig. „Wenn man Ereignisse vorbereitet und dann aktiv miterleben kann, wie die Dinge in die richtige Richtung laufen, dann ist das schon ein sehr intensives Gefühl.“ Das war ganz besonders so beim Domjubiläum 1998, beim Doppelgipfel 1999 und beim Papstbesuch zum Weltjugendtag 2005. Bei diesen Ereignissen hat er Papst Benedikt XVI. genauso hautnah erlebt wie US-Präsident Bill Clinton oder den britischen Premierminister Tony Blair. Und ist Witte mit dem Dom inzwischen warm geworden? „Irgendwann“, sagt er, „entwickelt sich eine starke Identifikation. Und dann kann man sich ein Leben ohne Dom kaum noch vorstellen.“