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Mit Wicky Junggeburth in RiehlDer Prinz aus der Badewanne

Lesezeit 6 Minuten

Rückkehr nach Riehl: Wicky Junggeburth vor der Gaststätte Körner’s, wo die Zeit stillzustehen scheint.

„Dieter Borsche ist der Halstuch-Mörder.“ Das meldeten 1962 die Titelseiten in der Auslage des Büdchens am Riehler Plätzchen. Aufgeregt trug der damals elfjährige Wicky Junggeburth die Nachricht ein paar Meter weiter zu seinen Eltern, die gleich um die Ecke das Elektrofachgeschäft „Radio Junggeburth“ betrieben. Hier im Veedel erlebte Wicky Junggeburth einen der großen Medienskandale der 1960er Jahre: Die Auflösung des Fernseh-Mehrteilers „Das Halstuch“ war publik, noch bevor das Finale ausgestrahlt war. „Was waren wir sauer. Das ist, als ob man ein Fußballspiel sieht und das Ergebnis vorher feststeht“, sagt der heute 63-Jährige, „geguckt haben wir die letzte Folge trotzdem.“

Von 1954 bis 1971 betrieben Junggeburths Eltern Käthe und Hans ihren Laden am Riehler Gürtel 4a, verkauften und reparierten Radiogeräte, Fernseher, Bügeleisen und Staubsauger. Das Ladenlokal beherbergt heute ein Kosmetikstudio. Davor treffen wir Wicky Junggeburth zum Spaziergang durch Riehl, wo die Erinnerungen für den Mundart-Sänger und Moderator buchstäblich auf der Straße liegen. „Hier standen früher kaum Autos“, sagt Junggeburth mit Blick auf das vollgeparkte Riehler Plätzchen, „und die beiden dicken Bäume da waren früher noch schmal und unser Fußballtor.“

Wicky Junggeburth wurde 1951 im Severinsklösterchen geboren, die Familie lebte zunächst in Sülz, wo er auch zur Schule ging, von 1962 an in Refrath. Seit 1980 wohnt er mit Ehefrau Catherine in Lohmar. Doch solange die Eltern den Laden „Radio Junggeburth“ betrieben, sei Riehl „der Lebensmittelpunkt der Familie“ gewesen, „von morgens neun bis abends um halb sieben und samstagvormittags“. In der Mittagspause fuhr Vater Hans mit dem Auto von Riehl nach Sülz zum Mittagessen und nahm sein drittes Kind, Nesthäkchen Wicky, anschließend mit nach Riehl – und das alles zwischen 13 und 14.30 Uhr. „In zehn, 15 Minuten waren wir da: Grüne Welle auf der Inneren Kanalstraße. Das ist heute nicht mehr vorstellbar“, sagt Junggeburth, der auch die Schulferien meist in Riehl verbrachte. „Wir sind kaum in Urlaub gefahren, dafür war das Geld gar nicht da.“

Starker linker Fuß

Im Veedel habe er sich mit Gleichaltrigen aus der Nachbarschaft mühelos den ganzen Tag beschäftigen können, auf der Straße, mit Murmeln spielen, Karten werfen, oder mit Ausflügen zum Rheinufer. Unübertroffen aber sei die Begeisterung für Fußball gewesen, zumal es glorreiche Zeiten für den 1. FC Köln waren, der 1964 Deutscher Meister wurde. Junggeburths starker linker Fuß habe in der Nachbarschaft das eine oder andere Fenster zu Bruch gehen lassen. „Eins musste gleich dreimal dran glauben.“

Kleine Sünden wie diese mögen Junggeburth einst in St. Engelbert vergeben worden sein, der nächsten Station des Veedelsspaziergangs. Hier besuchte er im Alter von zehn Jahren den Kommunionsunterricht und legte die erste Beichte ab. „Ich habe immer gesagt: Der Beichtstuhl ist der Cascade-Schuppen. Cascade war ein Waschmittel – da wurden wir reingewaschen“, sagt Junggeburth und lacht. Der moderne Kirchenbau, 1930 bis 1932 nach einem Entwurf des Architekten Dominikus Böhm entstanden, hat es ihm angetan. „Wunderschön“, sagt Junggeburth, legt den Kopf in den Nacken und blickt in das Gewölbe aus weiß gestrichenem Beton, „es sieht alles so leicht aus.“ Und doch kommt der Kirche eine gewichtige Rolle in der Nachkriegsgeschichte zu, ist sie doch der Ort, an dem Kardinal Frings in seiner Silvesterpredigt vom 31. Dezember 1946 offiziell das „Fringsen“ erlaubte. Junggeburth zieht einen Zettel aus der Hosentasche, zitiert: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat.“ Junggeburth faltet den Zettel wieder zusammen. „Was für ein Satz! Da bekommt man Ehrfurcht“, sagt er.

Junggeburth hat einen Sinn für Geschichte, nicht nur für die eigene. Regelmäßig lese er Bücher über die Stadtgeschichte; außerdem pflegt er ein vom Vater begründetes Tonbandarchiv mit historischen Aufnahmen aus dem Kölner Karneval.

Durch die Stammheimer Straße geht es weiter Richtung Botanischer Garten, vorbei an herrschaftlichen Häusern mit Magnolien im Vorgarten. Hier lieferte Junggeburth früher mitunter Waren an die Kunden seiner Eltern aus. „Da wohnten die gut betuchten Leute“, erinnert er sich. Ein Kunde habe ein weißes Chevrolet-Cabrio besessen. „Das hat uns begeistert“, sagt Junggeburth, der sich nach einer Banklehre als Finanzberater das Auskommen verdiente, das ihm 1993 ermöglichte, Prinz im Dreigestirn zu sein. Was den Karneval betrifft, habe er Riehl in den 1960er Jahren als „eine absolute Diaspora“ in Erinnerung. Jahre später, 1993, kam er als Prinz Wilfried I. in karnevalistischer Mission nach Riehl. Mit Jungfrau Artura und Bauer Karl besuchte er eine Nacht lang Menschen, die arbeiten, wenn andere schlafen. Letzte Station war der Blumengroßmarkt an der Barbarastraße.

Wir betreten den Botanischen Garten. „Einer der schönsten Plätze hier ist für mich nach wie vor am Wasserfall“, sagt Junggeburth, der heute noch gern mit Frau, Tochter, Schwiegersohn und den beiden Enkeln herkommt. Das Ergebnis der 2014 abgeschlossenen historisch getreuen Sanierung der Flora gefällt ihm: „Es sieht aus wie früher. Ich könnte die Restauratoren knutschen, auch wenn es riesig teuer war.“

Durch ein Loch im Zaun

Wicky Junggeburth war als Kind ein Einbrecher. Mit diesem Geständnis überrascht der 63-Jährige, kaum dass wir zurück am Riehler Plätzchen sind. Hier zeigt uns Junggeburth, wo sich einst das Schlupfloch im Zaun befand, durch das er sich regelmäßig in den Zoo schlich. „Eines Tages erwischte mich ein Wärter. Dann habe ich mir für fünf Mark eine Jahreskarte gekauft.“

Wir schlendern zu den Geschäften auf der Stammheimer Straße. Wo einst die Konditorei Weiß war, in der sich Junggeburth als Kind mit Vorliebe „Mohnbrötchen ohne alles“ kaufte, ist heute die Bäckereikette Merzenich vertreten. Schräg gegenüber ist die Zeit schon eher stehen geblieben: Die Gaststätte „Körner’s“ habe zwar früher „Rörig“ geheißen, sagt Junggeburth, legt die Hand ans Schaufenster und blickt hinein, „aber die Theke, der Boden: alles noch wie damals.“

1971 schloss „Radio Junggeburth“, dem seit 1961 Saturn am Hansaring Konkurrenz machte. Damit endete Junggeburths Zeit in Riehl, die ihn fürs Leben geprägt hat, obwohl er nie hier gewohnt hat. „Ich war privilegiert durch das Radiogeschäft und die Tonbandaufnahmen, die mein Vater von den damaligen Rundfunk-Karnevalssitzungen gemacht hat. Die habe ich gehört und konnte im Alter von vier Jahren Büttenreden erzählen.“ In der Badewanne sitzend habe er als Kind eigene Sitzungen moderiert. Damit habe er sogar den Vater zum Lachen gebracht, obwohl der Kriegsheimkehrer ein ernsthafter Mensch gewesen sei. Inzwischen hat Junggeburth das einstige Tonband-Archiv des Vaters vollständig digitalisiert. Das Projekt „Wicky-Media“ umfasse mehr als 3500 Stunden Tonmaterial, in denen er „innerhalb einer Sekunde per Mausklick“ an jede gewünschte Stelle springen könne. „Ich bin interessiert an dem, was war“, sagt Junggeburth“, „aber ich lebe voll in der Gegenwart.“