Mord ohne LeicheLebenslange Haftstrafe für Siegfried K.

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Frauen im Netzwerk Babaylan fordern „Gerechtigkeit für Lotis“.

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Die Kammer habe keinen Zweifel, sagte Richterin Sabine Kretzschmar: Siegfried K. hat am 18. April 2007 seine Ehefrau Lotis umgebracht – eine geplante Tat aus niederen Beweggründen.

Siegfried K. habe nicht ertragen können, dass das gemeinsame Kind bei der Mutter lebte, außerdem habe er keinen Unterhalt mehr zahlen wollen. Die Neuauflage im spektakulären Indizienprozess um den „Mord ohne Leiche“ ist mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe für den Ehemann zu Ende gegangen.

Die beiden Mitangeklagten, Schwester und Schwager des Verurteilten, wurden freigesprochen. Ihnen sei eine Tatbeteiligung nicht zu beweisen gewesen.

Erste Gefühlsäußerung

Regungslos folgten die drei Angeklagten der dreistündigen Urteilsbegründung. Siegfried K. verabschiedete sich schließlich mit einem Lächeln und Handschlag zurück ins Gefängnis. Er wirkte so, als wäre es hier nicht um ihn gegangen.

Als alles vorbei ist, kommen der Schwester ein paar Tränen – die erste Gefühlsäußerung nach unzähligen Prozesstagen. Sie und ihr Mann bleiben in Freiheit. Die Kammer hatte bereits vor Monaten ihre Untersuchungshaft aufgehoben.

Richterin Kretzschmar findet die richtigen Worte, weil sie immer wieder den jetzt zehnjährigen Sohn der Toten und des Angeklagten in den Mittelpunkt stellt. Ihm sei nicht nur die Mutter genommen worden, er habe auch alle anderen ihm wichtigen Bezugspersonen verloren – und müsse nun wie alle anderen Angehörigen mit der Ungewissheit über den Tod der Philippina und den Verbleib ihrer Leiche leben.

Dass die Angeklagten bis zuletzt geschwiegen hätten, sei ihr gutes Recht, so Kretzschmar. Aber sie hätten sich auch dafür entscheiden können, „einen Aufklärungsbeitrag“ zu leisten.

„Das wäre für die Angehörigen wichtig gewesen. Sie hätten ihnen und vor allem dem Kind helfen können.“ Kein Verständnis habe die Kammer für die Aussage der Verteidiger von Siegfried K. gehabt, die eine Einlassung ihres Mandanten von einem Entgegenkommen der Staatsanwaltschaft abhängig machen wollten.

Alles spricht für eine Alleintäterschaft

Die Familie K. sei „eine Festung“, die Außenstehenden keinen Einblick gewähre. „Sie haben darüber aber vergessen, dass auch das Kind ein Teil dieser Familie ist“, so die Richterin.

Beachtlich sei, wie der Junge mit der Belastung umgehe. Er habe die Ermittlungen gegen Menschen, denen er vertraut habe, „relativ gut überstanden“. Was die Zukunft bringe, wisse man nicht. Der Junge sehe die freigesprochenen Angeklagten als Gefahr. Sie könnten versuchen, ihn nun aus seiner Pflegefamilie herauszureißen.

Ausgerechnet ein Dokument des Vaters, das zu einem von mehreren Indizien wurde, die seine Verurteilung begründeten, könnte dafür die Handhabe sein. Siegfried K. hatte kurz nach dem Verschwinden seiner Frau eine Vorsorgevollmacht und sein Testament geschrieben, das seine Schwester und seinen Schwager zu Ersatzeltern und Vermögensverwaltern für seinen Sohn machen sollte.

Aus Sicht des Gerichts habe er damit Vorsorge für den Fall seiner Verhaftung treffen wollen. Vor diesem Hintergrund lasse sich auch die mögliche Alleintäterschaft von K. erklären. Er habe seine Verwandten nicht mit hineinziehen wollen, damit sie im Notfall für seinen Sohn sorgen könnten. Möglicherweise hätten Schwester und Schwager erst nach der Tat von dem Mord an Lotis erfahren.

Die Staatsanwaltschaft war davon ausgegangen, dass die drei den Mord gemeinsam geplant und begangen hatten.

Verteidiger kündigt Revision an

„Wir sind nicht an den Punkt gelangt, wo man nahtlos beweisen kann, was wirklich passiert ist“, so Kretzschmar. Die Kammer geht davon aus, dass Lotis in ihrer Wohnung erwürgt oder erdrosselt wurde.

In der Nacht nach dem Mord habe K. die Leiche verschwinden lassen – wahrscheinlich in der Baustelle an der Düsseldorfer Straße. Klar geworden sei im Prozess jedoch, wie und warum er die Tat geplant habe.

Zeugenaussagen, das heimliche Besorgen von Schlüsseln für die neue Wohnung der Ehefrau, die Weigerung, ihr Geld zu geben – zeitweise bekam Lotis 50 Euro Taschengeld pro Monat – , Spuren, die die Handys von ihm und der Toten hinterlassen hatten, oder die vielen Widersprüche, in die er sich nach Lotis Verschwinden verstrickt hatte – dies alles belege seine Schuld.

Nicht in die Urteilsfindung einfließen durfte ein abgehörtes Selbstgespräch mit Schuldeingeständnis. Der Bundesgerichtshof hatte ein erstes Urteil des Landgerichts aufgehoben, weil damals das Selbstgespräch als wichtiges Beweismittel gewertet worden war.

Im ersten Prozess waren auch Schwester und Schwager wegen Mordes verurteilt worden. Sie haben bis zu ihrer Freilassung fast fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Dafür müssen sie nun finanziell entschädigt werden. Siegfried K.s Verteidiger kündigten an, Revision einzulegen

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