Anwohner besetzen Haus in Köln-Stammheim„Unsere Siedlung stirbt“

Lesezeit 3 Minuten
Proteste in der Siedlung

Proteste in der Siedlung

Köln-Stammheim – Sie kämpfen, obwohl sie wissen, dass ihr Kampf an diesem Tag ausweglos bleiben wird. Es ist gegen sieben Uhr am Dienstagmorgen, als drei Aktivisten ein leerstehendes Haus an der Egonstraße in Stammheim besetzen. Mitarbeiter der Stadt wollen dieses und zwei weitere Gebäude an diesem Morgen abreißen lassen. Es ist ein neuer Höhepunkt eines massiven Tauziehens zwischen Anwohnern und Verwaltung.

Fast wirkt es so, als sei die ganze Siedlung an diesem Morgen auf der Straße. Anwohner schreien und gestikulieren, Aktivisten halten eines der leer stehenden Abbruchhäuser besetzt. Aus dem Erdgeschossfenster haben sie ein Transparent gehängt: „Ihr werdet uns nicht los“, steht darauf. Nachdem Polizisten durch das Fenster in die Wohnung klettern, verlassen die Aktivisten friedlich das Grundstück. Zuvor hatten sie bereits ein anderes der drei Abrisshäuser besetzt. Gegen sie hat die Stadt nun Strafantrag gestellt. „Uns geht es um den symbolischen Widerstand“, sagt Ursula Brehm, Sprecherin der Aktivisten, die gekommen sind, um die Anwohner zu unterstützen.

Es ist ein Widerstand gegen die von der Stadt forcierten Marschrichtung, die seit Jahren für Verwerfungen mit den Anwohnern sorgt. Bereits im November 2013 war es an gleicher Stelle zu ähnlichen Szenen gekommen. Schon damals pochte die Stadt als Besitzerin der Wohnflächen der Siedlung darauf, dass die Bebauung nicht legal sei.

Das könnte Sie auch interessieren:

Denn der Flächennutzungsplan erlaube wegen der nahe gelegenen Kläranlage hier keine Wohnbebauung, er sehe eine Grünfläche vor. Deshalb reißt die Stadt dort immer wieder Häuser ab, sobald Mieter ausziehen oder versterben. Inzwischen sind von den ursprünglich 81 Häusern weniger als 50 erhalten. Sie waren einst als Munitionslager errichtet worden und nach dem Zweiten Weltkrieg vornehmlich an Familien, die durch Bombenangriffe ihr Obdach verloren hatten, zu günstigen Mietkonditionen vergeben worden.

Am Dienstag ist die Stimmung an der Egonstraße erneut aufgeheizt. Ein Anwohner ruft einem einem Mitarbeiter der Stadt Drohungen hinterher, nachdem die beiden Männer zuvor in ein Wortgefecht geraten waren. Später entschuldigt sich der Anwohner für seine Reaktion, doch seine Nerven lägen blank. „Wir haben alle die Sorge, dass auch wir irgendwann rausmüssen, wenn erst genug Häuser abgerissen sind und die Siedlung dann als unwirtschaftlich gilt.“

Zwar gab es immer wieder politische Entscheidungen, nach denen die Mieter geschützt werden sollen. In einem Brief an die Anwohner hieß es 2014, „dass die Stadt Köln gegenwärtig nicht beabsichtigt, die bestehenden Mietverhältnisse aufzukündigen.“ Eine klare Positionierung sieht aber anders aus, meinen Anlieger. „Kein Haus wird geräumt, niemand wird vor die Tür gesetzt“, sicherte die zuständige Verkehrsdezernentin Andrea Blome am Freitag im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu. „Aber wir müssen uns auch an Recht und Gesetz halten.“ Deswegen verfolge die Stadt die Strategie des „sozialverträglichen Rückbaus“.

Am Mittag ist in der Siedlung wieder Ruhe eingekehrt. Die Polizei ist abgerückt, nur das Hämmern und Sägen der Abrissarbeiten ist zu hören. In einem der Häuser tragen Arbeiter die Küchenzeile vor die Tür , reißen die Teppichböden heraus. Augenscheinlich wirkt das Haus noch bewohnbar, doch der Eindruck täusche, erklärt ein Mitarbeiter des Liegenschaftsamts. Tragende Teile seien instabil, eine Sanierung nicht wirtschaftlich.

Nebenan steht Bärbel Kremer am Gartenzaun. Ihr Haus grenzt Wand an Wand an eines der Abbruchhäuser. In ihren Augen stehen die Tränen. „Unsere Siedlung stirbt in Scheibchen“, sagt sie. Schon ihre Eltern lebten hier, über Jahre habe sie das Haus renoviert – wie viele andere Anwohner auch. Nach den Verträgen mit der Stadt sind sie selbst für Renovierungsarbeiten zuständig. „Ich möchte hier nicht weg“, sagt Kremer, während es hinter ihr kracht und scheppert. Die Abbrucharbeiten laufen weiter. „So schön wie es hier ist, werde ich es woanders nicht mehr finden.“

KStA abonnieren