Zweisprachige GrundschuleIn der ersten Klasse die erste Fremdsprache

Lehrerin Theresia Zaruk hilft den Kindern – und spricht dabei konsequent Englisch.
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Raderberg – Morgens, 8.30 Uhr in der Klasse 1E der Gemeinschaftsgrundschule (GGS) Annastraße. „Sound“, „out“, „house“ – im Stuhlkreis im vorderen Teil des Klassenzimmers werden englische Vokabeln geübt. Die i-Dötzchen suchen auf dem Bild, das der Beamer an die Wand projiziert, nach Dingen, deren Namen den Laut „ou“ enthalten. „And remember: English is so tricky“ („Und denkt daran: Englisch ist so knifflig“), mahnt Lehrerin Theresia Zaruk, indem sie das „soooo“ ganz lang zieht. „Owl“ (Eule), erklärt Lehrerin Theresia Zaruk auf Englisch, werde zwar genauso ausgesprochen wie die anderen Wörter mit „ou“, aber ganz anders geschrieben.
Die 27 Kinder hören aufmerksam zu. Sie lernen hier, in der einzigen städtischen Grundschule, die eine deutsch-englische Klasse anbietet, ihre erste Fremdsprache: Englisch. Seit dem Schuljahr 2010/2011 gibt es den zweisprachigen Zweig mit bislang einer ersten und einer zweiten Klasse. Die Schüler erhalten fünf Stunden Englischunterricht pro Woche, zusätzlich zum normalen Pensum. Teile des Unterrichts in anderen Fächern finden ebenfalls auf Englisch statt, soweit die Lehrer über die entsprechenden Englischkenntnisse verfügen. Eingerichtet wurde der Zweig ursprünglich für die Kinder hochqualifizierter Arbeitskräfte, die vorübergehend oder dauerhaft für eine Firma in Köln arbeiten. Doch nicht nur bei diesen ist die Schule beliebt. Inzwischen übersteigen die Anmeldungen die Plätze um das Doppelte. Derzeit wird überlegt, ab dem Schuljahr 2013/2014 zwei englisch-deutsche Klassen für das erste Schuljahr anzubieten.
Großes Glück
Die Gründe der Eltern dafür, eine bilinguale Grundschule für ihre Kinder zu wählen, sind vielfältig. Cristina Ramalho wohnt in der Nähe. Ihr Sohn Matias wächst zweisprachig auf. Mit seiner brasilianischen Mutter spricht er Portugiesisch, mit seinem Vater Deutsch. „Wir haben lange überlegt, ob eine dritte Sprache nicht zu viel für ihn ist “, sagt Ramalho, die sich mit den Erzieherinnen im Kindergarten darüber intensiv beraten hatte. „Aber anscheinend ist es kein Problem für ihn. Er geht immer noch gerne zur Schule.“Petra Theiss hat ihren Sohn Bela für die bilinguale Klasse angemeldet, weil er schon eine zweisprachige Kindertagesstätte besucht hatt – nicht wegen der bilingualen Ausrichtung, sondern weil es dort freie Plätze für Kinder unter drei Jahren gab. Der Sprachtherapeutin leuchten die Vorzüge von bilingualem Unterricht dennoch ein. „Es ist sicherlich ein großes Glück für die Kinder, auf natürliche Art, ohne großen Leistungsdruck, eine zweite Sprache lernen zu können“, meint die Mutter des Siebenjährigen. In der Kindertagesstätte hat Bela Englisch von Muttersprachlern gelernt, die konsequent in der eigenen Sprache mit den Kindern kommunizierten und dabei ihre typischen Gesten und Redewendungen einsetzen. Immersion heißt das Prinzip, das auch in der Grundschule Annastraße zur Anwendung kommt. „Vom Verstehen geht das ganz schnell“, sagt Theiss über die Lernerfolge ihres Sohnes.
Im Unterricht wechseln sich verschiedene Aktivitäten ab. Mal lesen die Kinder mit Hilfe einer interaktiven Lernsoftware, von einem Beamer an die Wand projiziert. Mal sitzen sie an ihren Plätzen und ordnen englische Begriffe dem bezeichneten Gegenstand zu, bearbeiten Aufgaben in ihrem Übungsheft oder lesen die Geschichten von Clown Kipper. Ein anderes Mal wiederum singen sie gemeinsam. Lehrerin Zaruk legt den Finger an ihr Ohr, wenn die Kinder auf die Aussprache eines Wortes achten sollen. „Find your way through“ („Such dir einen Weg“), sagt sie zu einem Jungen, der als letzter in den Stuhlkreis kommt, und lobt, indem sie „Good job!“ („Gut gemacht!“) ruft. Eine Schülerin fragt auf Deutsch nach einem Klebestift. „Can I have the glue, you would say“ („Kann ich den Kleber haben, würdest du sagen“), antwortet die Lehrerin, während sie dem Mädchen das Gewünschte reicht. Die meisten antworten auf Deutsch – noch.
Am Anfang gab es manchmal Tränen
Heike Gerhards berichtet, dass es ihrem Sohn Otis am Anfang sehr schwer fiel zu akzeptieren, in einer ganz alltäglichen Situation etwas nicht zu verstehen. „Das hat Tränen gegeben“, sagt sie, „aber das wird ihm im Leben immer wieder passieren.“ Ob er so viel schlechter als die anderen ist, habe sich Otis gefragt. Sie musste ihm erst erklären, dass einige Kinder in seiner Klasse einen englischsprachigen Elternteil haben und deshalb so gut Englisch sprechen. Zum Glück stellten sich bei Otis rasch Erfolgserlebnisse ein. Inzwischen gefällt ihm der Unterricht so gut, dass er oft um 15 Uhr, wenn die Schule zu Ende ist, noch gar nicht gehen möchte. Gerhards freut sich auch, dass Otis Muttersprachler aus aller Welt kennenlernt. Sie ist überzeugt, dass er so Berührungsängste verliert und Lust bekommt, seinen Horizont zu erweitern, vielleicht zu reisen. Auch findet sie hier an der städtischen Grundschule die soziale Herkunft der Kinder ausgewogener als an den bilingualen Privatschulen, die sich durch Schulgeld finanzieren.
Alle Mütter erinnern sich gut an ihren eigenen Englischunterricht. „Bei uns früher kam direkt die Grammatik“, erzählt Theiss, „und hier lernen die Kinder sofort, dass die Sprache dazu da ist, um miteinander zu kommunizieren.“ Ihr Sohn Bela etwa schert sich wenig um die Grammatik, wenn er mit seinem Klassenkameraden Henry telefoniert, dem Sohn eines Briten. Seit kurzem wechselt er nämlich mitten im Gespräch mit ihm ab und an ins Englische. Die korrekte Grammatik spielt auch dann keine Rolle, wenn er ganz unvermutet mit seinen Eltern Englisch spricht – nämlich dann, wenn er will, dass ihn seine kleine Schwester nicht versteht.
Die Schulleiterin der GGS Annastraße Michaela Hegemann betont, dass ihre Schule keine Eliteschule für die ganze Stadt ist: „Wer nicht aus dem Viertel ist, hat keine Chance.“ Die Kinder für die zweisprachige Klasse werden in einem ein mehrstufigen Verfahren ausgewählt. Zunächst zählen Kriterien wie die Entfernung zum Wohnort oder ob schon Geschwister an der Schule unterrichtet werden. Dann lernen Hegemann und ihr Team Eltern und Kinder in einem persönlichen Gespräch kennen.
„Die bilinguale Klasse fordert mehr von den Kindern als normale Klassen. Ein Kind, das im Gespräch schon einen unkonzentrierten Eindruck macht und kein Interesse an der Entscheidung zeigt, ist vielleicht auch nicht geeignet“, sagt Hegemann. Voraussetzung ist, dass die Eltern ihre Kinder für den Ganztagsunterricht anmelden, anders lassen sich die zusätzlichen Stunden nicht unterbringen. (phh)